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INTERNATIONAL/139: Ägypten - Auch Militärregime beschneidet Pressefreiheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Februar 2014

Ägypten: Auch Militärregime beschneidet Pressefreiheit - Muslim-Bruderschaft Tabuthema

von Jonathan Rozen


Bild: © Cam McGrath/IPS

Graffiti in Kairo zeigen Brutalität der Polizei
Bild: © Cam McGrath/IPS

New York, 26. Februar (IPS) - Drei prominente Journalisten des englischen Dienstes des arabischen Fernsehsenders 'Al Jazeera' müssen sich in Ägypten vor Gericht verantworten. Die Berichterstatter waren Ende des vergangenen Jahres, wenige Wochen vor dem dritten Jahrestag des Beginns der ägyptischen Revolution, in ihrem Hotel in Kairo festgenommen worden. Der nächste Gerichtstermin ist für den 5. März anberaumt.

Insgesamt sind neun Mitarbeiter von Al Jazeera und elf weitere Medienvertreter im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über die Muslim-Bruderschaft der Verschwörung mit Terroristen, der Gefährdung der nationalen Einheit und des sozialen Friedens sowie der Verbreitung von Falschinformationen angeklagt.

Medienzensur ist in Ägypten nichts Neues. Beobachter sind allerdings der Meinung, dass seit Beginn der politischen Übergangsperiode in den letzten drei Jahren die freie Meinungsäußerung weiter gelitten hat.

"Die Regierung setzt sowohl legale als auch illegale Mittel ein, um unabhängige und kritische Stimmen abzustrafen, einzuschüchtern und zu bedrohen", sagt Sherif Mansour, Direktor der Nahost- und Nordafrika-Sektion des 'Committee to Protect Journalists' (CPJ).


Zensur folgt immer demselben Muster

Seit dem Beginn des Aufstands gegen das Regime von Ex-Diktator Husni Mubarak 2011 sind in den unterschiedlichen Phasen ähnliche Formen der Pressezensur beobachtet worden. Wer zum Schweigen gebracht werden soll, hängt von den jeweiligen Machtverhältnissen ab. Das Justizsystem, das zur Zensur genutzt wird, bleibt aber immer dasselbe.

"Das Presse- und Strafrecht sind seit der Mubarak-Ära nicht erneuert worden", sagt Soazig Drollet, die die Nahost- und Nordafrika-Sektion der Organisation Reporter ohne Grenzen leitet. "Seit dem Aufstand haben alle Regime ihre Macht dazu missbraucht, die Medien zu unterdrücken. Wir haben diese Erfahrung mit dem Obersten Rat der Streitkräfte 2011 gemacht, dann mit der Muslim-Bruderschaft 2012. Jetzt erleben wir das Gleiche mit Feldmarschall Abdul Fattah al-Sisi", sagt sie. "Überall zeigt sich das gleiche Bestreben, die Medien zu kontrollieren und die Prinzipien des Pluralismus nicht zu achten."

Die legalen und illegalen Zensurmethoden richten sich vor allem gegen die frühere Regierungspartei der Muslimbrüder. Seit ihrem Machtverlust im vergangenen Jahr werden diese von der neuen Führung als terroristische Organisation gebrandmarkt. "Wenn man die Muslimbrüder unterstützt, gibt es Ärger", sagt Nader Gohar, Vorsitzender des Nachrichtensenders 'Cairo News Agency' (CNC), der seinen Hauptsitz am Tahrir-Platz hat.

Während der Fall der Al-Jazeera-Mitarbeiter nur einer von vielen ist, offenbart er eine neue Logik hinter den Unterdrückungstaktiken. "Man ist vor allem hinter prominenten Leuten her und versucht auf diese Weise diejenigen einzuschüchtern, die auf kritische Gedanken kommen könnten", erklärt Joe Stork, der stellvertretende Direktor der Nahost- und Nordafrika-Region der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW). "Die Al-Jazeera-Journalisten fallen in diese Kategorie."


Rechtfertigung von Zensur durch Terrorgefahr

Viele Regierungen würden immer häufiger auf Terrorismusvorwürfe zur Rechtfertigung der Zensur zurückgreifen und damit zu einem Niedergang der Pressefreiheit auf der ganzen Welt beitragen, warnt CPJ-Chef Joel Simon.

Im Januar dieses Jahres haben die Ägypter für eine neue provisorische Verfassung gestimmt. "In Teilen ist sie ein wenig besser als die der Muslimbruderschaft", sagt Drollet. "Doch wenn man genauer hinschaut, stößt man auf viele wirklich irritierende Passagen. Das gilt vor allem in Bezug auf mögliche Zensurmaßnahmen in Kriegszeiten und während eines Ausnahmezustands." Stork betrachtet jedoch nicht die Verfassung, sondern das Strafrecht als das Hauptproblem.

Im vergangenen Jahr rechnete CPJ Ägypten erstmals zu den zehn Ländern, die bekannt dafür sind, das sie Journalisten hinter Gitter bringen. RSF wiederum listete den Staat auf seinem Index für Pressefreiheit auf dem 158. von 179 Plätzen.

Nach Ansicht von Gohar und der Cairo News Company sind die Zustände unter dem jetzigen Militärregime allerdings nicht so schlimm wie vorher unter den Muslimbrüdern. Das gilt aber nur, solange die Muslim-Bruderschaft nicht in einem positiven Licht dargestellt wird. "Zu Beginn der Regierung der Muslimbrüder wurden wir von deren Milizen schikaniert. Sie waren Zensoren, die parallel zu den Zensurinstanzen der Regierung arbeiteten."

Auch die amtierende Regierung nimmt Einfluss auf die Arbeitsbedingungen des Senders. Seit dem Sturz von Präsident Mohamed Mursi weigert sie sich, die Lizenz von CNC zu verlängern. "Das erscheint uns wie eine Vorsichtsmaßnahme", meint Gohar. "Die Behörden wollen sehen, was veröffentlicht wird. Wenn jemand sich nicht nach ihren Vorstellungen verhält, können sie ihn leicht stoppen."


Die Schere im Kopf

Selbstzensur sei immer die erste Konsequenz, wenn Razzien gegen Nachrichtenmedien und Journalisten durchgeführt würden, sagt Delphine Halgand, Direktorin der US-Sektion von RSF. "Festnahmen, Inhaftierungen, Anklagen und zunehmende Verfolgung wirken sich äußerst abschreckend auf Journalisten aus."

Die zunehmend polarisierte und politisierte Bevölkerung Ägyptens hat ebenfalls Einfluss auf die Medienberichterstattung. Zurzeit steht eine große Mehrheit der Ägypter fest hinter der Militärregierung und al-Sisi, der bei den nächsten Präsidentschaftswahlen einen Erdrutschsieg davontragen könnte.

Den ägyptischen Journalisten ist bewusst, dass sie für ihre Kritik an der Regierung nicht nur von oben, sondern auch aus dem Volk attackiert werden. "Man wird wie ein Verräter behandelt", erklärt Gohar. "Dass wir jetzt auch von der Öffentlichkeit bedrängt werden, ist neu."

Die Vereinten Nationen haben bereits ihre Sorge über "das immer härtere Durchgreifen und die physischen Angriffe" gegen Medienvertreter in Ägypten zum Ausdruck gebracht. Den Mangel an Pressefreiheit öffentlich zu machen, halten die Menschenrechtsorganisationen für die beste Methode, die Militärführung zu zwingen, die Zensur zu lockern und inhaftierte Journalisten freizulassen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/02/press-freedom-goes-trial-egypt/

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IPS-Tagesdienst vom 26. Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2014