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PRESSE/145: Qualitätsjournalismus? - Eine Polemik (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2012

Qualitätsjournalismus? - Eine Polemik

Von Norbert Bicher



Journalismus ist out, "Qualitätsjournalismus" ist in. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Auf den Spuren nach der Qualität in einer verunsicherten Branche.


Ist es Anmaßung oder Wichtigtuerei? Wer etwas auf sich hält in der Medienszene, der betreibt nicht mehr einfach nur Journalismus. Nein, Qualitätsjournalismus muss es sein. Darunter macht es kein Verleger, kein Journalist, kein Chefredakteur mehr. Dabei handelt es sich um eine Imagination, als sei der Journalismus besser geworden, seit man ihm inflationär das Attribut "Qualität" voranstellt.

Eher aber erinnert diese verbale Qualitätsoffensive an die Gesetzmäßigkeiten von Lebensmittelskandalen. Mit jeder neuen Entdeckung von Gammelfleisch sinkt das Vertrauen der Verbraucher, die Zahl der Qualitätssiegel aber wird größer: mehr Bio, mehr Fleisch aus der Region, mehr Herkunftsnachweise. Und wenig souverän ist diese journalistische Werbetrommel obendrein. Man stelle sich einen Moment vor, Ärzte kämen auf die Idee, nicht mehr von Medizin, sondern von Qualitätsmedizin zu reden, Juristen würden sich als Qualitätsjuristen prämieren. Wie muss es um das Selbstwertgefühl einer Branche bestellt sein, die sich seit Jahren selbst in Qualitätsbekundungen badet?


Filettieren und Ausschlachten

Keine Medientagung, kein Kongress, kein Verlegertreffen, bei dem die Qualität nicht bis zum Überdruss bejubelt wird. In der Folge wird es dann für so manchen Redakteur eng. Um den Qualitätsjournalismus auch in Zukunft garantieren zu können, hat ein großer westdeutscher Verlag fast ein Drittel seiner Redakteursstellen abgebaut. Der Präsident des Deutschen Zeitungsverlegerverbandes, Helmut Heinen - der zugleich auch Herausgeber der Kölnischen Rundschau ist -, hat um der angeblichen Qualität willen seine Zentralredaktion so gut wie aufgelöst und. lässt sich die klassischen Ressorts - von Politik über Wirtschaft bis Kultur und Sport - von einem anderen Verlag liefern. Qualitätsjournalismus als Chiffre für das Filettieren und Ausschlachten von Redaktionen.

Die Vergabe von Journalisten-Preisen wird in der Branche inzwischen inszeniert wie Bambi-Verleihungen. Henri Nannen, der legendäre Herausgeber des stern und der große Urahn der Reportage, Egon Erwin Kisch, müssen herhalten für eine Show, bei der der rote Teppich nicht dem Journalismus, sondern den Juroren und Veranstaltern, dem Event selbst ausgelegt wird. Fast scheint es, als sei der Pomp dieser Selbstinszenierungen in gleichem Maße größer, aber auch abstoßender geworden, wie die Branche an Akzeptanz, an Aufmerksamkeit verloren hat, als werde Qualität nur deshalb inszeniert, um vom schleichenden Qualitätsverlust abzulenken. Nicht mehr die abgeklärte Berichterstattung ist gefragt, sondern deren Überhöhung. Reizvoll sich auszumalen, wie der legendäre Kisch darüber in seinen Reportagen gelästert hätte. Journalismus ist längst zum Journaltainment abgeglitten. Nicht mehr das simple, aber eben deshalb so überzeugende "Schreib das auf, Kisch" ist angesagt, sondern ein "weil WIR es aufschreiben, ist es WICHTIG".


Klare Sicht in trübem Wasser?

Was also soll Qualitätsjournalismus sein? Die einen halten ihn lediglich für einen Kampfbegriff der Verleger, um das umstrittene Leistungsschutzrecht, eine Gebühr für die Verbreitung von Nachrichten in Internet-Suchmaschinen, durchzusetzen. Die anderen glauben wie selbstverständlich, dass er ihnen von den großen Leitmedien, den Markenführern der journalistischen Premiumklasse, von Edelfedern und Alphatieren des Journalismus geliefert werde. Wieder andere vermuten ihn hinter dem Label des Investigativen, wo die Hohepriester der Recherche hinter die Kulissen schauen.

Recherchepools und Investigativboards haben Konjunktur. Sie werden aus dem Boden gestampft und sollen wohl suggerieren, in jedem trüben Wasser klare Sicht vermitteln zu können. Welch aufgeblasene Begriffe für das, was früher altmodisch noch Reporter ans Licht gebracht haben. In den meisten Zeitungsredaktionen ist die Reportage in den 80er und 90er Jahren abgeschafft oder eingeschränkt worden, weil zeitaufwendige Recherche den Verlegern als zu teuer und nicht wirklich wichtig erschien. Höchstens am Telefon wurden Agenturberichte nachrecherchiert. Journalismus aus zweiter Hand. In der Einheitskost der Agenturen verlor die Berichterstattung einzelner Medien ihr Alleinstellungsmerkmal und damit das Interesse der Leser. Diese pompösen Etiketten sind fast eine Art Eingeständnis, dass es ein Irrweg war. Recherche ist für Journalismus unerlässlich. Allerdings, auch durch eine Rückkehr zur Recherche entsteht nicht zwangsläufig Qualitätsjournalismus. Und bei Lichte dominiert wieder ein ökonomisches Argument: So wie in der Vergangenheit Verlegern eigene Recherche zu teuer erschien, ist ihnen heute die solide Dienstleistung von Nachrichtenagenturen zu teuer geworden. Und wie die Reporter wurden lange Zeit auch die Spezialisten aussortiert, an Newsdesks zu Experten für Alles degradiert. Musikkritiker seien in diesem Prozess herangezogen worden, so lästerte der im August zurückgetretene Chefredakteur der Wiener Presse, Michael Fleischhacker, die keine Partituren mehr lesen könnten, Politikjournalisten, die in Geschichte und Staatswissenschaften nicht mithalten könnten und sogenannte Wirtschaftsjournalisten, mit denen Banken- und Industriewelt wegen mangelnder Spezialisierung gerade in Zeiten der Finanzkrise Katz und Maus spielen könnten. Fleischhackers Liste kann man beliebig verlängern. In Berlin ist beispielsweise im letzten Jahrzehnt die Zahl der Korrespondenten, die kompetent über Sicherheitspolitik berichten, dramatisch gesunken. Selbst in den großen Zeitungen der Republik wird den komplizierter gewordenen sicherheitspolitischen Weltverflechtungen nur noch wenig Beachtung geschenkt.

So wie die Zahl der Spezialisten abgenommen hat, hat auch die Vielfalt gelitten. Besonders in der politischen Hauptstadtberichterstattung hat die Verflechtung der Verlage in den letzten Jahren rasant zugenommen. Korrespondentenbüros einzelner Regionalzeitungen, früher einmal der Stolz jeder Redaktion und jedes Verlegers, sind mittlerweile in Berlin Rarität - stattdessen gibt es immer mehr große Gemeinschaftsbüros.


Norbert Bicher (* 1951) arbeitete als Journalist, als Pressesprecher der SPD-Bundestagsfraktion und betreut heute die Arbeitseinheit "Medienpolitik" in der Politischen Akademie der FES.
(Norbert.Bicher@fes.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2012, S. 52-53
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2012