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BERICHT/009: "Brand" - der Film, das Treffen, die Debatte ... (SB)



Filmpremiere von BRAND Teil I und II im Künstlerverein Malkasten in Düsseldorf am 11. März 2018

Scott Pruitt läßt grüßen - der Kohlelobbyist und Intimfeind der US-Umweltschutzbehörde EPA, die er als Generalstaatsanwalt von Oklahoma 40mal verklagte, wurde von US-Präsident Donald Trump, seinerseits ein vehementer Förderer fossiler Energieproduktion, als Chef eben jener Behörde eingesetzt. Auch die neue Bundesregierung hat für den Klimaschutz entscheidende Regierungsämter mit ausgesprochenen UnterstützerInnen der Kohleindustrie besetzt. Neben Energieminister Peter Altmaier läßt die neue Umweltschutzministerin Svenja Schulze keinen Zweifel daran, daß die größte fossile Energieressource der Bundesrepublik auch künftig eine wichtige Rolle im nationalen Energiemix spielen wird. Zwar gesteht sie den Erneuerbaren Energien den Vorrang vor allen anderen Energieträgern zu, spricht sich aber gleichzeitig für eine Modernisierung und Effizenzsteigerung im Bereich fossil befeuerter Kraftwerke aus, wobei sie ausdrücklich zur weiteren Erforschung und Erprobung der Technologie zur Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (CCS) auffordert [1].

Was in den USA unter dem Euphemismus Clean Coal gehandelt wird, wird aus schwerwiegenden Gründen als Fortschreibung fossiler Energieerzeugung unter Einsatz einer ökologischen Hochrisikotechnologie kritisiert. Carbon Capture and Storage (CCS) belastet den ohnehin geringen Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken um weitere 25 bis 40 Prozent, was wiederum bedeutet, daß mehr Kohle verbrannt werden muß, um zum gleichen Ergebnis an verfügbarer Elektrizität zu gelangen. Nicht mitgedacht bei dem ökologisch angeblich sinnvollen Einsatz von CCS werden die atmosphärischen Emissionen und anderen Umweltbelastungen, die im Braunkohletagebau wie beim Transport der Kohle anfallen. Zudem sind mit dem Verbringen des abgeschiedenen CO2 in Hohlräume in der Erde oder in die Tiefsee langfristige Risiken geologischer und ökologischer Art verbunden, mit dem heutige Probleme schlicht auf künftige Generationen umgelastet werden.


Kraftwerke hinter Pumpstationen - Foto: © 2017 by Hambacher Forst Filmkollektiv

Verbrauchsmaximierung
Foto: © 2017 by Hambacher Forst Filmkollektiv

Die frühere Beraterin des US-Regierungskontraktors Booz Allen Hamilton - jener Firma, deren bürgerrechtsfeindliche Praktiken ihren ehemaligen Angestellten Edward Snowden dazu brachten, als Whistleblower die Notbremse zu ziehen - und bisherige SPD-Generalsekretärin in NRW sowie langjährige Gewerkschafterin der IG BCE, die in NRW vehement für den möglichst langfristigen Betrieb des Braunkohletagebaus eintritt, auf einer Ebene mit Scott Pruitt zu vergleichen mag unfair erscheinen. Eine so stark mit der Kohleindustrie verbandelte SPD-Politikerin zur Chefin des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in einer Bundesrepublik zu machen, die ihren erklärten Klimaschutzzielen weit hinterherhinkt, ist dennoch eine politisch bezeichnende Entscheidung. Mit ihr werden Schritte zur schnellen Einstellung der fossilen Energieerzeugung noch unwahrscheinlicher, als sie aufgrund der strikten Orientierung der Bundesregierung auf Wachstum und Wettbewerb ohnehin sind. Wo die Staaten mit immer härteren Bandagen und anwachsender Kriegsgefahr um Handelsvorteile und den geostrategischen Zugriff auf verbliebene Ressourcen kämpfen, weil das Erwirtschaften realer Gewinne in der langfristigen globalen Krisenkonjunktur immer schwieriger wird, ist das Externalisieren ökologischer Kosten eine naheliegende, weil erst in größeren Zeiträumen negativ zu Buche schlagende und kausal nur schwierig zu verortende Option.

Um so wichtiger ist es, angesichts der ungeminderten Beschleunigung des Klimawandels, der in seiner Folge längst eingetretenen Katastrophen über mehrere Jahre währender Dürren und dementsprechender Ernteausfälle, der deutlichen Zunahme von Extremwetterereignissen wie sintflutartige Regenfälle und zerstörerische Wirbelstürme bis zum spektakulären Abschmelzen der Polkappen mit Überflutungsfolgen, aufgrund derer zahlreiche küstennahe Städte aufgegeben werden und Milliarden Menschen neue Siedlungsräume suchen müssen, das Bewußtsein für die sozialen und ökologischen Gefahren dieser Entwicklung zu schärfen. In einem Land, dessen Bevölkerung mit den immensen Verbrauchsaufwendungen und Mobilitätserfordernissen der industriellen Überproduktion vergleichsweise gut lebt, stehen Probleme dieser Art nicht im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte. Die Verpflichtung, einen Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels zu leisten, wird zwar bei jeder PR-technisch lohnenden Gelegenheit auf den Lippen getragen, das Ergreifen wirksamer Maßnahmen bleibt jedoch fernab der erklärten Absicht auf der Strecke von Interessen, die sehenden Auges Menschen und Natur zerstörene Produktionsverhältnisse fortschreiben.


Häuser und zerstörte Natur - Foto: © 2018 by Susanne Fasbender

Sterbendes Immerath
Foto: © 2018 by Susanne Fasbender


Sehen, hören, sprechen, denken

Als die Künstlerin Susanne Fasbender im Juni 2012 erstmals das Rheinische Braunkohlerevier erkundete, war die Düsseldorferin überrascht über das schiere Ausmaß an Fläche, das die unweit der Landeshauptstadt NRW gelegenen Braunkohletagebaue in Anspruch nehmen. Obschon von hohen Gebäuden aus mit bloßem Auge zu erkennen, wissen viele Menschen in den großen Städten am Rhein kaum etwas über die Kohlekraftwerke, die das Gros der von ihnen verbrauchten elektrischen Energie zum Preis massiver Luftverschmutzung und Naturzerstörung erzeugen. Dies sollte sich jedoch mit der Besetzung des noch erhaltenen Hambacher Forstes, der bei Einhaltung des staatlich genehmigten Betriebsplanes des Tagebaus Hambach fast vollständig gerodet werden soll, allmählich ändern.

Zwar hatten mehrere Bürgerinitiativen als auch die Umweltschutzorganisationen BUND und Greenpeace schon vor dem April 2012, als die erste Waldbesetzung begann, mit Protestaktionen wie auch juristischen Mitteln versucht, die Zerstörung der auf dem Abbaugebiet der Tagebaue Garzweiler und Hambach liegenden Dörfer und des Hambacher Forstes zu verhindern. Im angeblichen Gemeinwohlinteresse wurde jedoch stets der Kohleindustrie der Vorzug gegeben. Rheinbraun, später RWE Power, setzte seine Interessen dank erheblichen politischen Einflusses auf die Landesregierung NRW und regionale Regierungsbehörden als auch mit der Unterstützung der Belegschaften, die ihre Arbeitsplätze nicht verlieren wollten, bis heute fast vollständig durch. Mit der Waldbesetzung und der Formierung einer Anti-Kohle-Bewegung, die ebenfalls zu Mitteln des zivilen Ungehorsams griff und seit mehreren Jahren große Klimacamps in der Region organisiert, nahm der Widerstand gegen die fossile Energieproduktion Konturen der Antiatombewegung der 1970er und 1980er Jahre an.


Kohlekraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier - Foto: © 2013 by Gabor Fekete

Emissionsvertikale im Rheinischen Braunkohlerevier
Foto: © 2013 by Gabor Fekete

War deren Erfolg spätestens mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 unausweichlich geworden und wurde vom Super-GAU in Fukushima 2011 auf negative Weise eindrucksvoll bestätigt, so müssen die AktivistInnen des Kohlewiderstands, auch wenn ihr Vorteil darin besteht, viel vom Kampf gegen die Atomenergie gelernt zu haben, dickere Bretter bohren. Die von den Tagebauen angerichteten Zerstörungen erscheinen weniger spektakulär, weil etwa der Nachweis durch giftige Emissionen und Stäube bedingter Schädigungen der menschlichen Physis umfassenderer medizinstatistischer Erhebungen bedarf. Auch sind die negativen Folgen des Abfalls des Grundwasserpegels, geologischer Verschiebungen und dadurch bedingter Bauschäden, der Austausch eines CO2-absorbierenden Waldes mit erheblicher Biodiversität oder höchst fruchtbaren Ackerbodens aus Lößerde gegen die im Wortsinn verwüstete Landschaft, die die Harvester und Bagger des Tagebaus hinterlassen, eher lokaler und regionaler Art. Die CO2-Emissionen der Kohleverstromung werden zwar in gigantischen Rauchsäulen über den Kohlekraftwerken manifest, doch um die verheerenden Folgen des Klimawandels und deren Verschleierung durch eine auf den Verbrauch fossiler Energie abonnierte Politik beurteilen zu können, bedarf es eines genaueren, die sinnliche Wahrnehmung des fossilen Brandes mit dem Verständnis seiner treibenden Faktoren erweiternden Blickes auf das Problem.


Mit Mikrofon - Foto: © 2018 by Schattenblick

Susanne Fasbender
Foto: © 2018 by Schattenblick

Mit der Film-Trilogie "Brand" hat Susanne Fasbender eben dies getan. Die von ihr in Kooperation mit dem Hambacher Forst Filmkollektiv unternommene Reise ins Rheinische Braunkohlenrevier nahm angesichts dieser Komplexität schon bald den Charakter einer "Denkreise zum Kern der ökologischen Krise" an. Die besonders unter jüngeren Menschen anerkannte Bedeutsamkeit des Kampfes gegen die Fortsetzung fossiler Energieerzeugung ergibt sich nicht zuletzt aus dem globalen Charakter des Problems. Man muß schon auf naturgeschichtliche Zäsuren wie das Sterben der Dinosaurier zurückgreifen, um eine Analogie für den Paradigmenwechsel zu finden, der im Dimensionssprung von regionalen bis bestenfalls kontinentalen Erschütterungen menschlicher Lebenswelten hin zur weltbedrohenden ökologischen Katastrophe des Anthropozäns besteht. Nicht umsonst verweist die Bewegung für Klimagerechtigkeit auf die globale Reichweite der Freisetzung von Treibhausgasen, geht das wirtschaftliche Wachstum der hochproduktiven Industriegesellschaften des Nordens doch zu Lasten eines globalen Südens, für den keine nachholende Entwicklung gleicher Art mehr vorstellbar erscheint.

Dieser sich nicht etwa schließenden, sondern in der Divergenz von Armut und Reichtum, Hunger und Sattheit, niedriger und hoher Lebenserwartung immer weiter auseinanderklaffenden Widerspruchslage zwischen beiden Welten sind denn auch zentrale Wortbeiträge zu Beginn der Trilogie gewidmet. Im Diskurs über die komplexe Materie der Inwertsetzung des Lebens am Beispiel des Handels mit Verschmutzungsrechten und indigene Lebensformen diskriminierender Klimaschutzmaßnahmen [2] zeigt sich, daß die Erfahrungen von Enteignung und Umsiedlung betroffener Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier in den materiellen Nöten der Bevölkerungen Lateinamerikas, Afrikas und Südasiens wiederauferstehen. Die globalen Wirkketten der imperialen Lebensweise, die ihre Freiheiten in Konsum und Mobilität mit hohem Verbrauch fossiler Energie erkaufen, kreuzen sich am Ort der Freisetzung jener Brennstoffe, die in der Erde zu belassen von immer mehr Menschen in aller Welt gefordert wird, und in den Schicksalen von Menschen, die ihren angestammten Lebensmittelpunkt zugunsten einer angeblich gemeinnützigen, im Kern jedoch vom Interesse an ertragreicher Kapitalverwertung angetriebenen Produktionsweise aufgeben sollen.


Auf den Stufen vor dem Malkasten sitzende Menschen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Sonntäglicher Ausflug in ein Kunstetablissement
Foto: © 2018 by Schattenblick

"Vom Eigentum an Land und Wäldern" hat die Regisseurin die ersten zwei Stunden ihrer insgesamt sechsstündigen Denkreise überschrieben. Ohne die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung und ihre regulative Fundierung in den Eingriffsrechten eines Staates, der zuvörderst den Interessen monopolkapitalistischer Akteure verpflichtet ist, wäre die Durchsetzung einer weniger destruktiven Form der Energieerzeugung und die Einstellung einer gleichfalls von Kapitalinteressen bedingten Überproduktion bei gleichzeitigem Mangel an essentiellen Versorgungsleistungen unter mittellosen Menschen sicherlich weniger schwierig zu bewerkstelligen. "Warum gehört denn die Welt nicht denen, die in ihr leben?" fragten Floh de Cologne schon vor 47 Jahren, ohne daß sich Grundsätzliches an den herrschenden Eigentumsverhältnissen geändert hätte.

Um die "Gegenwart der Dörfer und Bepreisung von Natur" geht es in Teil 2. Auch in der Erzählung vom Verlust einer viele Generationen in die Vergangenheit reichenden Heimat, die in der Authentizität der individuellen Schilderung jeden Anwurf, hier werde mit rechtsoffenen Begrifflichkeiten gehandelt, als ideologisch überdeterminiert erkennen läßt, werden persönliche Erfahrungen in grenzüberschreitende Dimensionen gefaßt, die die Flucht- und Wanderungsbewegungen notgetriebener Menschen in der globalen Peripherie und die Machtverhältnisse im hochproduktiven Zentrum auf den einen Nenner zerstörerischen Naturverbrauches bringen. Wie lassen sich Verluste quantifizieren, um sie mithilfe abstrakter Tauschprozesse null und nichtig zu machen, während sie tatsächlich im Schutz marktgestützter Wechselverhältnisse um so verhängnisvoller anwachsen? Was hat die Zurichtung des Menschen auf seine Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit mit der Art und Weise seiner sozialen Reproduktion zu tun? Warum glauben die BürgerInnen der Bundesrepublik an die Berechenbarkeit und Rechenschaftspflichtigkeit eines Staates, der ihnen immer wieder beweist, daß er alles andere als das ist?

Fragen wie diese klingen auch in dem dritten Teil dieses ungewöhnlichen Dokumentarfilms auf. "Widerstand im reichen Land" - das erinnert an "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt". Im Gespräch mit AktivistInnen der Wald- und Wiesenbesetzung erfahren die ZuschauerInnen, wieso dieser angegrauten Parole heute noch und wieder Gültigkeit zukommt. Das im Hambacher Forst gegen den Brand der fossilen Industrie verteidigte Leben ist in den Parametern seiner Verwertbarkeit nicht zu erfassen. Es widersetzt sich seiner verbrauchsorientierten Quantifizierung ebenso wie den Kategorien einer Gesellschaft, die Mensch und Natur der Verallgemeinerung ihrer angeblich übergeordneten Nutzung aussetzt. In der Autonomie seines Daseins ist das im Wind flatternde Blatt und der im Laub raschelnde Käfer ebenso ein vollständiges Universum seiner selbst wie der Wald und seine Bäume oder die Menschen in ihren Hütten. Einen Baum als Lebewesen zu begreifen, dessen Existenz nicht minder beeinträchtigt werden sollte als die eigene physische Integrität, mag in Zeiten, wo ein Buch über "Das geheime Leben der Bäume" die Bestsellerlisten erklimmt, nicht mehr ganz abwegig erscheinen. Die ganze Vielfalt eigener Subjektivität nicht ihrer Verbrauch- und Ausbeutbarkeit preiszugeben bleibt dennoch ein Geheimnis, das sich nicht in Wort und Schrift vermitteln läßt, sondern der mutigen Praxis aktiver Widerständigkeit bedarf.


Publikum und Aktivistin - Foto: © 2018 by Gabor Fekete

Filmvorführung im Theatersaal
Foto: © 2018 by Gabor Fekete


Treffen der Ungehorsamen

Am 11. März war es soweit. Im Theatersaal des Künstlervereins Malkasten in Düsseldorf fand die Uraufführung der ersten beiden Teile der Trilogie "Brand" statt. Fast 300 Menschen wollten sich die Premiere des Langzeitprojekts nicht entgehen lassen. Nicht wenige von ihnen hatten selbst Teil an der Entstehung des Werkes, sei es als AktivistInnen aus dem Kohlewiderstand oder als von den Umsiedlungen betroffene BürgerInnen. Die Wahl des Ortes, bei dem es sich nicht um ein konventionelles Kino handelte, sondern ein Veranstaltungszentrum des Düsseldorfer Kunstbetriebes, unterstrich den gestalterischen Charakter des Filmwerkes. Susanne Fasbender hat sich bereits in mehreren Kunstprojekten vor allem mit filmischen und grafischen Mitteln mit den Problemen des Extraktivismus und der sozialökologischen Folgen der Kohleverstromung auseinandergesetzt.

Da es sich bei ihrer Arbeit um ein weitgehend in Eigenregie mit kaum vorhandenem Budget entstandenes Projekt handelt, war auch die Ausrichtung der Premierenfeier in hohem Ausmaß vom Engagement für die Sache des Braunkohlewiderstands geprägt. So wartete ein ansonsten für Demonstrationen und Veranstaltungen sozialer Bewegungen kochender Aktivist mit einem großzügigen Buffet auf, von dem sich die Gäste gegen Spende bedienen konnten. Überhaupt wäre das Treffen im Malkasten ohne die unentgeltliche Hilfe zahlreicher Menschen, die an der Vor- und Nachbereitung der Premiere teilhatten, nur unter großen Schwierigkeiten zu bewerkstelligen gewesen. Dementsprechend war der Eintritt kostenlos, die Anwesenden kamen zusammen, um an einem der vielen Ergebnisse des sozialen Widerstandes im Rheinischen Braunkohlerevier teilzuhaben und dabei dessen anwachsende Wirkmächtigkeit zu unterstützen.


Unterhaltung mit Inge Broska - Foto: © 2018 by Schattenblick

Gedankenaustausch am Buffet
Foto: © 2018 by Schattenblick

Zur Einführung in die Trilogie lag eine 67 Seiten starke Broschüre bereit, die auch auf der Webseite des Filmprojektes abrufbar ist [3]. In ihr schildert Susanne Fasbender die Beweggründe und Überlegungen, die sie zu einer Arbeit veranlaßt haben, deren Ausgang nicht von vorneherein feststand, weil sie sich selbst in einem Erkenntnisprozeß mit teils überraschenden Eröffnungen und Wendungen befand. Die Autorin und Literatur-Dozentin Frauke Tomczak ist mit einem längeren Text vertreten, in dem sie die drei Teile des Filmes inhaltlich zusammenfaßt und analytisch gewichtet. Zahlreiche Einstellungen aus den Filmen illustrieren die Broschüre und vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt der ProtagonistInnen, die das Publikum durch diese Denkreise führen und einen Einblick in ihre Motive gewähren. Im mindesten Fall geht daraus hervor, warum Widerstand gegen die Fortsetzung des fossilen Brandes auch dann zu leisten wäre, wenn der jeweilige Mensch dadurch nur mittelbar betroffen ist.


Büchertische und Plakat Hambi bleibt! - Fotos: © 2018 by Schattenblick Büchertische und Plakat Hambi bleibt! - Fotos: © 2018 by Schattenblick Büchertische und Plakat Hambi bleibt! - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Druckformate bleiben wichtig ...
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Die inhaltliche und ästhetische Qualität der beiden gezeigten Filme wurde nicht nur durch die anerkennenden Worte vieler Premierengäste bezeugt. Sie zeigte sich auch darin, daß der Saal zum Ende des zweiten Filmes so gut gefüllt war wie zu Beginn des ersten Teils fünf Stunden zuvor. Zwar verließen einige ZuschauerInnen die Premierenveranstaltung nach dem ersten Teil, dafür kamen wieder andere, die lediglich den zweiten Teil sehen wollten. Ein insgesamt 344 Minuten währender Dokumentarfilm entzieht sich schon aufgrund seiner unüblichen Länge der Verbreitung durch konventionelle Distributionskanäle. Sich dem Themenkomplex aus "Fossilem Wirtschaften, Braunkohle, Klimapolitik und dem Widerstand im Rheinischen Revier" auf eine zeitlich so großzügig bemessene Weise zu nähern bietet allerdings auch Einstiegsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte, die, wenn überhaupt vorhanden, im Tempo marktüblicher Dokumentationen untergehen könnten.


Premierenpublikum - Foto: © 2018 by Schattenblick Premierenpublikum - Foto: © 2018 by Schattenblick

Wilfried Lörkens, Haus Palandt in Borschemich - Christel Honold-Ziegahn, Vizebürgermeisterin Erkelenz (rechts)
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Das Publikum im Düsseldorfer Malkasten war in den fast vier Stunden, in denen die Kulturlandschaften und Naturräume des Rheinischen Braunkohlereviers ohne jeden Konsum- oder Erledigungszwang betrachtet und genossen werden konnten, so aufmerksam bei der Sache, daß noch genügend Energie blieb, um danach in kleinerer Runde zu einem Gespräch mit einigen ProtagonistInnen zusammenzutreffen. Das Gesehene und Gehörte in einem Gespräch nachwirken zu lassen, lose Fäden weiterzuspinnen und offenen Fragen zu diskutieren, wäre sicherlich auch bei vielen anderen Filmveranstaltungen wünschenswert, die soziale und gesellschaftliche Konfliktkonstellationen zum Gegenstand haben. Schon in der großen Pause zwischen den beiden Teilen wurde die Gelegenheit zum Gespräch intensiv genutzt, zumal sich bei dieser Gelegenheit auch viele Menschen trafen, deren gemeinsames Ziel nicht von vornherein durch den Vorteil einer kollektiven aktivistischen Praxis gedeckt ist, auf kurzem Weg Verständigung zu erzielen und wirksam in Aktion zu treten.


Abgeholzter Park in Borschemich - Foto: © 2015 by Susanne Fasbender

1100 Jahre Dorfgeschichte verschwinden in der Garzweiler Grube [4]
Foto: © 2015 by Susanne Fasbender


Aus den Erfahrungen und Fehlern der Vergangenheit lernen

Das fast einstündige Nachgespräch erwies sich auch deshalb als sinnvolle Ergänzung der Filme, als einige der darin auftretenden ProtagonistInnen heute an anderen Orten leben oder zu weiterführenden Schlußfolgerungen gelangt sind als zu dem Zeitpunkt vor einigen Jahren, als sie sich der Kamera und dem Mikrofon der Regisseurin stellten. So sind die Gebrüder Helmut und Joachim Meier, die eine Gärtnerei in Borschemich führten und viele Jahre in erbittertem Streit mit RWE lagen, inzwischen in den Allgäu gezogen. Eigens für die Premierenveranstaltung nach Düsseldorf gereist verneinten sie die Mutmaßung, der Konzern mache den BewohnerInnen der zum Abbaggern vorgesehenen Dörfer gute Angebote. Ihnen sei als Ersatz für ihr 30.000 Quadratmeter Anbaufläche umfassendes Unternehmen eine Gärtnerei mit nur 10.000 Quadratmetern Fläche angeboten worden. Sie sahen keinen Sinn darin, den laufenden Betrieb zu verkleinern und damit der faktischen Enteignung zu entsprechen. Ohnehin wäre RWE eine reale Bewertung der alten Häuser zu teuer. Eine Entschädigung ohne Wertminderung stellte die ganze Enteignungspraxis in Frage, denn RWE würden die dann erforderlichen Kompensationen schlicht zu teuer sein. Da die Kaufkraft im Allgäu dreimal so hoch sei wie im Rheinischen Revier, hätten sie sich schließlich zum Umzug entschlossen, so die Brüder, deren Erzählungen über ihren Kampf mit RWE ganze Bücher füllen könnten.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Helmut und Joachim Meier
Foto: © 2018 by Schattenblick

Für die durch die Androhung einer Zwangsenteignung erwirkten Umsiedlungen werden Ausweichquartiere in Dörfern angeboten, die die Existenz der unumkehrbar in der Grube verschwundenen Orte nicht nur durch das Präfix "Neu-" im Ortsnamen simulieren sollen. Ob nun Artefakte der früheren Kirche den Neubau des Gotteshauses schmücken, die gleichen Straßennahmen verwendet und die Toten umgebettet werden, so erfüllen diese Reißbrettsiedlungen keineswegs den Zweck, daß sich die Umgesiedelten durch die bloße Ähnlichkeit zum verlassenen Dorf dort wieder heimisch fühlen. So berichtete eine Betroffene davon, daß die frühere Dorfgemeinschaft unwiderruflich zerstört wurde bis dahin, daß man in einen Wettbewerb um den schöneren Neubau trete und andere Formen des Nachbarschaftsstreits ausbrächen, die es vorher nicht gegeben habe.

Auch Willi Hoffmann, der 65 Jahre lang in seinem nun nicht mehr vorhandenen Dorf gewohnt hat, bestritt, am neuen Ort auch nur annähernd die gleiche Lebensqualität erreicht zu haben. Wer überhaupt eine Entschädigung erhalten wolle, müsse umziehen. Die Leute kompensierten die Kränkung des Verlustes der Heimat und des Hauses durch den Versuch, ein Traumhaus zu errichten, das natürlich schöner sein müsse als das des Nachbarn. Wurde früher das eigene Haus einfach der nächsten Generation übergeben, so daß Schulden gar nicht erst entstehen konnten, hätten sich die von Rheinbraun angebotenen Kredite bei unerfahrenen Menschen häufig als Kostenfalle erwiesen. Sie hätten sich reihenweise übernommen und mußten das neue Haus wieder verkaufen. Ohnehin hätten die Umsiedlungen negative soziale Folgen wie geschiedene Ehen und zerbrochene Freundschaften hervorgebracht. In den neuen Orten konnte sich keine gleichwertige sozialen Struktur bilden. Auch baute schon 10 bis 15 Jahre vor der Umsiedlung kein jüngerer Mensch mehr ein Haus im alten Ort, weil es später wieder abgerissen würde. Damit falle eine ganze Generation aus, und auch die umgesiedelten Menschen könnten den Bruch ihrer Sozialstrukturen nicht einfach fugenlos übergehen. So bestehe der neue Ort nur noch aus Fragmenten der Bevölkerung des alten Ortes.

Ihr sei es daher sehr wichtig gewesen, die Frage des Eigentums im Film zu thematisieren, erklärte die Regisseurin. Die Eigentumsverhältnisse seien rechtsförmig auf die Bevorteilung der Industrie ausgerichtet und begünstigten die Entstehung von Monopolen. Daß die Leute sich von unten selber organisieren sei nicht gewollt und werde durch die Rohstoff- und Eigentumsgesetze wirksam verhindert. Dabei begünstige das als gemeinnützig deklarierte Bergwerkseigentum das Unternehmen, werde es doch als Grundlage für Kredite genutzt, mit denen Investitionen in den Betrieb des Tagebaus getätigt werden könnten. Wenn der Widerstand bezichtigt werde, dem Konzern Verluste bereitet zu haben, dann sei zu fragen, welche Verluste dem Gemeinwesen durch dessen Geschäftsaktivitäten entstehen. Ein RWE-Angestellter habe ihr berichtet, daß ein Konzern in Leverkusen, der einer der größten Kunden von RWE sei, allein soviel Strom wie die Haushalte von Düsseldorf, Essen und Köln zusammengenommen verbrauche. So werde der Strom vor allem für große Konzerne produziert, die besonders günstige Konditionen beim Strompreis erhielten.


Von RWE Betroffene - Foto: © 2018 by Gabor Fekete

Helmut Meier, Joachim Meier, Willi Hoffmann, Vera Püttmann Foto: © 2018 by Gabor Fekete

Nun hatte das Gespräch Fahrt aufgenommen. Willi Hoffmann schilderte noch einmal ganz emotional, wieso ein seelenloser Umsiedlungsort niemals ein angemessener Ersatz für den ihm zugefügten Verlust sein könne. Allein die Gerüche des alten Ortes trieben ihn um. Er könne sich mit geschlossenen Augen erinnern, wie es roch, wenn man beim Nachbarn ins Haus ging. Jetzt könne er nur noch in Träumen in seinen Ort zurück, denn es gibt ihn nicht mehr. Man kann dieses Land nicht mehr betreten, den Baum nicht mehr sehen, dort ist nur noch ein Loch, und das geht wirklich an die Substanz. Er würde alles dafür geben, noch einmal wieder durch den Ort zu gehen, den Geruch in die Nase zu bekommen, zu spüren, wie es damals war. Wenn man in einen richtig alten Wald gehe, dann rieche und spüre man die Bäume, doch wer auf die rekultivierte Sophienhöhe gehe, der finde nur grüne Zahnstocher vor. So sei es in dem neuen Ort auch, da fehle vieles.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Elisabeth Hoffmann-Heinen
Foto: © 2018 by Schattenblick

Die viele Jahre im Braunkohlewiderstand aktive Elisabeth Hoffmann-Heinen berichtete, wie groß der Einfluß des Konzerns auf die Bevölkerung der Region sei. So seien an ihrem Auto, wenn sie es, mit einem Schild gegen Rheinbraun versehen, an ihrem Arbeitsplatz in Grevenbroich parkte, häufig die Scheibe kaputtgeschlagen oder Dellen ins Blech gedrückt worden. Sie sei jetzt leider in einem Alter, wo sie nicht mehr wie jüngere Leute Widerstand leisten könne. Um so größer sei ihr Respekt vor den AktivistInnen, die sich jetzt mit anderen Mitteln als ihre Generation wehrten. Sie unterstütze das in jeder Form, unter anderem auch damit, daß sie andere Leute darüber aufkläre, daß es sich bei ihnen nicht, wie in den Medien propagiert, um Kriminelle handle, sondern um Menschen, die sich auf eine Art wehrten, die dieses Unternehmen und das ganze Konglomerat aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren verdient habe. Auch sie würde auf die Bäume gehen, wenn sie jung wäre, das müsse sein, so diese Protagonistin des Films unter großem Applaus.

Eine andere Frau schilderte, wie beeindruckt sie von der Darstellung des Widerstandes in den Dörfern gewesen sei, wo man über Jahrzehnte gekämpft habe. Sie halte gerade auch die emotionalen Momente wie bei der Entwidmung des Immerather Doms für wichtig, weil sie die Unmöglichkeit belegten, die Seele und das kollektive Zusammenleben eines Dorfes künstlich wiederherzustellen. Man müsse sich klarmachen, in welchen Machtverhältnissen wir tatsächlich leben. Was im Rheinischen Braunkohlerevier passiert, verorte man üblicherweise in den Ländern des globalen Südens, aber es finde mitten in Deutschland statt.

Ein Aktivist, der mehrere Jahre in der Wald- und Wiesenbesetzung gelebt hat, schlug für die Zukunft vor, mehr gegen die Spaltungsstrategien von RWE zu tun. Der Konzern versuche, mit den Betroffenen individuelle Verhandlungen zu führen. Es gebe jedoch in anderen Regionen Dörfer, die das Wegziehen in vergleichbaren Situation verweigerten und nur kollektiv in Verhandlungen getreten sind. Ihm sei in der Gesprächsrunde klargeworden, wie wichtig es ist, daß die in den Dörfern noch widerständig agierenden Menschen und die Leute auf der Besetzung mehr miteinander in Austausch treten. Dies sei bislang zu wenig geschehen, meinte der Aktivist. Ein anderer Aktivist entgegnete, daß es schon seit über fünf Jahren das Bündnis gegen Braunkohle im Rheinischen Braunkohlerevier gebe, an dem sehr viele Akteure, Bürgerinitiativen als auch Teile der Waldbesetzung beteiligt seien. Es gehe also auch anders.

Ein Aktivist berichtete, daß sie 2011 auf dem Klimacamp in Manheim noch 80 bis 90 AktivistInnen waren, die von RWE nicht ernstgenommen wurden. 2014 seien es schon mehrere hundert gewesen, und nun seien zu der Aktion im Hambacher Loch anläßlich des Weltklimagipfels in Bonn Anfang November 5000 Leute zusammengekommen. Die Anti-Kohle-Bewegung sei in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen, das mache die Entwicklung in den nächsten Jahren hochinteressant. Im kollabierenden Kapitalismus würden Widerstandsformen wie Ende Gelände und Hambacher Forst immer direkter, ohne dabei gewalttätig zu werden. Auch das habe der Film gezeigt, bedankte sich der Aktivist.


Aushang am Malkasten - Fotos: © 2018 by Schattenblick Aushang am Malkasten - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Fotos: © 2018 by Schattenblick

Mit einem Ausblick auf die Premiere des dritten Teils, die in absehbarer Zeit stattfinden und durch eine Podiumsdiskussion ergänzt werden soll, klang die Runde aus. Die dann anstehende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Widerstandes dürfte auch deshalb interessant werden, weil die politischen Maßnahmen zur Durchsetzung herrschaftlicher Interessen immer repressiver werden. Man darf also gespannt darauf sein, wie es weitergeht, auf daß eine Debatte entstehe, die nicht im theoretischen Raum verpufft.


In der Abenddämmerung - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.heise.de/tp/news/Svenja-Schulze-Kohlefrau-als-Umweltministerin-3990288.html

[2] BERICHT/110: Naturbegriffe - rechen-, teil- und handelbar ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0110.html

[3] http://www.brandfilme.org/broschuere-brochure.html

[4] BERICHT/067: Klimacamp trifft Degrowth - Blick auf das braune Sterben ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0067.html


19. März 2018


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