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INTERVIEW/015: Medien Pädagogik Zentrum - Fokus Gegenöffentlichkeit ...    Ulrike Gay im Gespräch (SB)


Interview am 17. Oktober 2018 im Hamburger Schanzenviertel


Das Medien Pädagogik Zentrum Hamburg e.V. (mpz) ist eines der ältesten Projekte selbstorganisierter linker Medienarbeit, das noch im Sinne seiner ursprünglichen Konzeption existiert. 1973 gegründet und nacheinander an verschiedenen Standorten in Hamburg angesiedelt, widmen sich die AktivistInnen des mpz weiterhin "einer eingreifenden und selbsttätigen Kultur- und Medienarbeit". Im Unterschied zu vielen Einrichtungen medialer Vermittlung heute halten sie fest an praktischen und inhaltlichen Prinzipien wie "Selbstorganisation, politische und ökonomische Unabhängigkeit, Unterstützung politischer, sozialer und kultureller Bewegungen, Parteilichkeit für die Benachteiligten in dieser Gesellschaft, offener Zugang zu den Medien, mediale Selbsttätigkeit, Verwendung relativ einfacher und billiger Medien, kollektive und nichthierarchische Arbeitsstrukturen, dezentrale Produktion und Verbreitung" [1].

Im Verlauf dieser Jahre sind zahlreiche dokumentarische Eigenproduktionen zu sozialen und ökologischen Kämpfen in Hamburg und der Region entstanden. Dem Standort des mpz gemäß liegt ein Schwerpunkt der filmischen Arbeiten in der Dokumentation von Arbeitskämpfen im Hamburger Hafen, dem Strukturwandel seiner Handelslogistik und den Konflikten um seine Erweiterungsprojekte. Ein anderer betrifft die Kämpfe gegen den Bau des AKWs Brokdorf und die Atompläne der niedersächsischen Landesregierung im Wendland. Aber auch internationalistische Bewegungen und andere Formen linken Widerstandes wurden filmisch dokumentiert, so daß das mpz über einen breiten Fundus an Material über soziale Kämpfe und bewegungspolitische Entwicklungen verfügt.

Zudem stellt das mpz seine Mittel anderen Initiativen und Gruppen zur Verfügung, indem seine AktivistInnen die Produktion von Dokumentarfilmen unterstützen oder sich an der Erstellung zeitgeschichtlicher Dokumente wie zum Beispiel dem filmischen Teil einer umfangreichen Materialsammlung zu den G20-Protesten beteiligen. Das Kollektiv hat die Medienarbeit auch textlich reflektiert und dazu die inzwischen eingestellten Publikationen "medienarbeit - Beiträge zur politisch-pädagogischen Medienarbeit" und "mpz Materialien - Theoretisch-wissenschaftliche Beiträge zur Theorie und Praxis alternativer Medienarbeit" herausgegeben. Die Digitalisate dieser Printprodukte sind auf der Webseite des mpz einsehbar [2].

In seinen Räumlichkeiten im Hamburger Schanzenviertel finden regelmäßig Filmvorführungen statt, auf denen unabhängige FilmemacherInnen ihre Arbeiten präsentieren und mit dem Publikum diskutieren. Am Rande der Präsentation des ersten Teiles der Trilogie Brand der Filmemacherin Susanne Fasbender hatte der Schattenblick Gelegenheit, mit Ulrike Gay eine Aktivistin zu befragen, die im Medien Pädagogik Zentrum Hamburg seit seinen Anfängen aktiv ist.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ulrike Gay
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ulrike, du bist seit seiner Gründung im Medien Pädagogik Zentrum (MPZ) aktiv. Könntest du einmal schildern, aus welchen Zusammenhängen und gesellschaftlichen Bedingungen es hervorgegangen ist?

Ulrike Gay (UG): Die meisten, die das MPZ gegründet haben, waren an der Hochschule für bildende Künste und haben dort schon Politik gemacht. So haben wir damals den Fachschaftsrat und auch den Asta gestellt. Fast alle MPZ-Gründungsmitglieder waren in dieser politischen Gruppe. Es ging uns darum, den hochschulbornierten Rahmen zu überwinden, mit Medien anders zu arbeiten und mit unseren Kenntnissen auch außerhalb der Hochschule gesellschaftliche Kämpfe mit Medien zu unterstützen. Es waren auch Kunsterzieher dabei, denen es darum ging, in der Schule mit Medien anders zu arbeiten. Medienpädagogik im Sinne der Unterstützung der Eigentätigkeit und des Versuchs, die Öffentlichkeit in die eigenen Hände zu nehmen. Gleichwohl haben wir uns nie als verlängerten Arm der Kamera verstanden, sondern immer als politische Gruppe aus Individuen, die eine eigene Meinung haben und nicht einfach alles machen, was die Leute, die wir unterstützen, gerne hätten.

SB: Du gehörst seit den 70er Jahren der feministischen Bewegung an. Wie würdest du die Entwicklung des Feminismus insbesondere in Hinblick auf die Film- bzw. Kulturproduktion bewerten?

UG: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe in der 218-Bewegung angefangen, also schon sehr früh, und war eigentlich immer in der Frauenbewegung aktiv gewesen. Wir hatten auch im mpz jahrzehntelang eine Frauengruppe gehabt. In der alten Frauenbewegung waren wir immer dagegen, gefilmt zu werden, weil es im Fernsehen fast nur männliche Kameraleute gab. Deswegen wurde oft nicht gefilmt, was aus heutiger Sicht sehr schade ist, weil wir kaum filmische Dokumente aus der Frauenbewegung haben.


Drei Cover von DVDs - Foto: © 2018 by Schattenblick

Frauenkämpfe in Eigen- wie Fremdproduktion im Angebot des mpz
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Geht es bei den Filmen, die im mpz zu frauenspezifischen Themen gemacht wurden, eher um Gleichstellungspolitik oder um grundsätzlichere Fragen?

UG: Das ist unterschiedlich. Der letzte Film, den wir hier gemacht haben, ging über die Frauengeschichtswerkstatt im Industriemuseum in Elmshorn, also eine Frauengruppe, die seit über 20 Jahren arbeitet und innerhalb des Industriemuseums als Ehrenamtliche immer den Frauenaspekt in die einzelnen Ausstellungen eingebracht hat, eben aus dem Gedanken heraus, die Frauenbewegung und deren Geschichte festzuhalten. Wir haben aber auch Vulva 3.0 gezeigt, was eine ganz andere Ecke ist. Natürlich haben wir hier auch zum Paragraphen 219 einen Film gezeigt, bezeichnenderweise aus dem Fernsehen, aber es gibt, wie ich finde, noch immer viel zu wenig politische Medien bzw. Filme. Als Dokumentarfilmerin weiß ich, wovon ich spreche.

SB: Ihr seid nicht im etablierten Fernsehbetrieb involviert, oder habt ihr Filme auch ans Fernsehen weitergereicht?

UG: Nein. Wir haben ein ganz anderes Konzept.

SB: Versteht ihr euch eher als Gegenbewegung?

UG: Ja, als Gegenöffentlichkeit. Du findest auf unserer Webseite unter MPZ-Materialien 1 [3] unser Konzept, das in sehr studentischer Sprache gehalten ist. Vor unserer Gründung haben wir erst einmal ein Konzept diskutiert, wie das so war. Wir hatten die Idee, und das versuchen wir immer noch, wenn auch inzwischen mit einer sehr kleinen Gruppe, mit Medien in alltagspolitische Zusammenhänge einzugreifen und Kämpfe zu unterstützen. Das tun wir seit 1978. Damals haben wir den Hafenarbeiterstreik begleitet und hinterher auch einen Film darüber gemacht. Wir sind in zwei Teams angetreten, die einen bei den Streikposten und Streiks und die anderen am Gewerkschaftshaus, und das haben wir dann immer getauscht. Wir haben damals die Politik der Kollegengruppe Alternative, einer Gewerkschaftsgruppe, die eigenständige Interessen vertreten hat, unterstützt und versucht, auch innerhalb des Streiks diese Position einzubringen und den Streik voranzutreiben.

Der erste Film, den wir gemacht haben, war zum Postlerstreik. Seitdem begleiten wir Betriebsauseinandersetzungen. Gerd Müller vom mpz zum Beispiel war jahrzehntelang Betriebsrat und hat noch heute ganz viel mit Kollegen zu tun. Ich war nur einmal Betriebsobfrau und habe dann einen anderen Weg eingeschlagen. Wir haben immer gesagt, wir müssen nicht nur Filme machen über etwas, sondern uns auch dort wehren, wo wir selber unser Geld verdienen. Im mpz arbeiten ja alle ehrenamtlich.


Regal mit Zeitschriften des mpz - Foto: © 2018 by Schattenblick

Theoretische Reflektionen zur Medienarbeit auch in Wort und Schrift
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Ist Filmarbeit für dich eine Form des Aktivismus, eine Intervention in politische Verhältnisse aufgrund eines persönlichen Engagements und nicht nur aus der Warte des Beobachters oder distanzierten Chronisten heraus?

UG: Ja, auf jeden Fall. So würde ich mich und auch die meisten von uns sehen. Wir haben einen Film zum NPD-Parteitag und sieben Filme über die Hafenstraße gemacht. Im Grunde genommen haben wir die wichtigen Bewegungen der letzten Jahrzehnte in Hamburg begleitet wie die Elbvertiefung, Altenwerder Fischerfest, überhaupt die ganze Elbgeschichte. In der Hochzeit waren wir über 20 Leute. Es war immer klar, bei uns verdient niemand Geld, dann ist es auch nicht kompliziert, wenn Leute eine Zeitlang bei uns mitarbeiten. Wir sind eines der ältesten der noch bestehenden Medienzentren.

SB: Neben der Medienwerkstatt Freiburg, oder gibt es die nicht mehr?

UG: Die ist nicht ganz so alt wie wir. Sie existiert noch, aber die Gruppe gibt es eigentlich nicht mehr. Die einzelnen Leute machen inzwischen alle irgendwo Filme. Wenn ich richtig informiert bin, wird das Zentrum vor allem von einer Person aufrechterhalten.

SB: Du kennst die Geschichte der Vermittlung über audiovisuelle Medien noch aus einer Zeit, als ihr mit einfachsten Mitteln gefilmt habt. Heutzutage ist man einem ganz anderen Ausmaß von audiovisuellem Input durch Smartphone und PC ausgesetzt. Was macht die Digitalisierung aus deiner Sicht mit den Menschen, werden sie dadurch in irgendeiner Form bewußter und können mit der Welt besser umgehen oder vermutest du eher einen gegenteiligen Effekt?

UG: Das hängt davon ab, was du für einen Blick auf die Welt hast und wo du politisch stehst. Fast alle Sachen haben etwas mit dem Standpunkt zu tun. Wenn du dich informieren möchtest, kannst du das inzwischen natürlich sehr gut. Wir machen solche Veranstaltungen wie heute in der Regel mindestens einmal im Monat, damit Menschen zusammenkommen. Damit wir uns finden und uns überlegen, was wir tun und, wenn wir Glück haben, wie wir gemeinsam etwas entwickeln können. Entweder kannst du dich anschließen oder selbst überlegen, wo du aktiv werden kannst. Das ist der Sinn der Veranstaltung. Wenn wir historische Filme zeigen, geht es um die Frage, was wir daraus lernen und wie wir das heute in unsere politische Arbeit und Aktivitäten übertragen können.

Wenn ich in der S-Bahn sitze und sehe, wie sich die Leute Filme auf diesen kleinen Handys anschauen, dann denke ich, was bleibt davon hängen. Ich glaube, da entsteht eine Vermatschung im Kopf. Du wirst von den tausend Sachen einfach erschlagen. Wenn ich auf You Tube gehe, kriege ich manchmal die Krise und muß mich richtig daran halten, gezielt zu suchen. Nun, ich habe einen Standpunkt oder weiß zumindest, was und warum ich etwas suche. Wenn du aber darin hängenbleibst, kommst du von einem zum anderen und am Ende bleibt nichts mehr übrig. Was soll daraus noch werden? Ich glaube, da ist noch viel Arbeit zu tun.

SB: Brand I heute war ein ruhiger Film, ohne großes Tempo und besondere Erregungskurven, und trotzdem war das Publikum sehr aufmerksam, was man auch bei der anschließenden Diskussion erleben konnte. Kannst du dir vorstellen, daß es wieder eine Art Renaissance für besinnlichere oder inhaltslastigere Formen filmischer Arbeit gibt?

UG: Seit neun oder zehn Jahren, seit ich nicht mehr gegen Geld arbeiten muß, fahre ich nach Leipzig zum Dokumentarfilmfest. In den letzten Jahren habe ich mich sehr darüber gefreut, zunehmend ruhige Dokumentarfilme zu sehen, die von Bildern und von Inhalten leben. Das ist eine echte Freude. Natürlich gibt es auch inhaltsschwangere Filme, die vom filmischen Arrangement her zum Teil schwierig sind. Ich hoffe, daß diese unsägliche Berieselung dazu führt, daß die Leute sich wünschen, wieder etwas Inhaltlicheres zu kriegen. Ob das der Fall sein wird, kann ich nicht sagen. Als Frau sehe ich, daß in den letzten Jahren plötzlich Stricktreffen und jetzt auch noch Nähtreffen in Mode gekommen sind, wo man also etwas Handwerkliches macht. Okay, das ist eine Ebene, aber ich hoffe immer noch, daß bei Filmen auch der Wunsch danach aufkommt, tatsächlich mehr zu verstehen. Wenn ich mir anschaue, wie sich die Medien verändern, dann entsteht bei mir der Eindruck, dort wird nach der Devise verfahren, möglichst keine schwierigen und komplexen Themen - und das so flach wie möglich - zu bringen. Das scheint mir zumindest im Moment der vorwiegende Trend zu sein.

SB: In der Bundesrepublik gilt Arte als anspruchsvoller Sender, der Wert auf eine bestimmte filmische Gestaltung und Bildästhetik legt. Was hältst du von diesem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

UG: Ich gucke kaum fern, und wenn, dann ganz gezielt. Wir zeichnen seit 1974 Fernsehsendungen auf, die wir wichtig finden, und haben inzwischen ein riesiges Sichtungsarchiv zu den klassischen Themen Internationalismus, Frauenbewegung, Betrieb, Gewerkschaft usw. In der letzten Zeit habe ich zwei oder drei Filme auf Arte gefunden, die auch inhaltlich und politisch sehr gut waren. Ich mache in dem Dorf, wo wir wohnen, in der Flüchtlingsgruppe mit. Dort haben wir den Film Sklavinnen des IS - schrecklicher Titel - mit den kurdischen Menschen, den Jeziden, die dort leben, vorbereitet und dann gemeinsam eine Veranstaltung gemacht. Der Film ist von Arte gesendet worden.

Es gibt immer wieder gute Filme, aber leider viel zu wenig. Man versucht, den Dokumentarfilm immer billiger einzukaufen, wodurch die Leute unheimlich unter Druck kommen. Von meinen FreundInnen, die Filme machen, kriege ich mit, daß es kaum noch eine Finanzierung gibt. Ich vertrete den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr, aber er sollte endlich seinem Bildungsauftrag stärker nachkommen. Wenn wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr hätten, sähe es ganz schrecklich aus, das wäre es eine Katastrophe. Die Diskussion, ihn abzuschaffen, kommt immer wieder hoch. Es heißt dann immer, die nehmen so viel Geld von uns, und was machen sie damit? Nun, dann gilt wie überall: Man muß sich darum kümmern.

SB: Ulrike, vielen Dank für das Gespräch.


Vorderseite des Heftes 'verdatet, verkabelt, verkauft - Nein zu Personalinformationssystemen' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Broschüre zur Kritik neuer Kontrolltechnologien von mpz-AktivistInnen 1983
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://mpz-hamburg.de/eine-seite/konzeption/

[2] http://mpz-hamburg.de/projekte/publikationen/

[3] http://mpz-hamburg.de/neu/wp-content/uploads/2010/12/mpz-material-1-102MB.pdf


23. Oktober 2018


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