Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FACHMEDIZIN


GERIATRIE/314: Die Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck - "Geriatriezentrum ein ideales Forschungsareal" (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 10, Oktober 2021

"Geriatriezentrum ein ideales Forschungsareal"

Uwe Groenewold sprach mit Sonja Krupp, der wissenschaftlichen Leiterin der Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck (FGL)

INTERVIEW. Seit zehn Jahren gibt es die Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck (FGL). Die wissenschaftliche Leiterin Dr. Sonja Krupp erläutert Uwe Groenewold die Beweggründe und Ziele der Einrichtung.


Wie kam es zur Gründung der Forschungsgruppe und welche Ziele verfolgt die FGL?

Dr. Sonja Krupp: Die Idee, eine Forschungsgruppe im Geriatriezentrum aufzubauen, entstand 2010, als das Krankenhaus Rotes Kreuz Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Lübeck geworden war. Damit sollte unterstrichen werden, dass auch außeruniversitäre Forschung dazu beiträgt, das Wissen zu generieren, das für eine stetige Verbesserung der Patientenversorgung erforderlich ist. Dass einerseits hochaltrige Menschen in Forschungsprojekten unterrepräsentiert sind, diese andererseits in unserer Klinik durchschnittlich länger verweilen als in Kliniken der Maximalversorgung, macht das Geriatriezentrum zu einem idealen Forschungsareal.


Das Lübecker Modell Bewegungswelten wurde von der FGL entwickelt und wird inzwischen bundesweit in geriatrischen Einrichtungen eingesetzt. Was zeichnet das Modell aus?

Krupp: Kerngedanke des Trainings in den Bewegungswelten ist, sowohl Muskelkraft, Gleichgewicht und Ausdauer zu trainieren, als auch simultan kognitiv anzuregen, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und gemeinsam Spaß zu haben.


Wie funktioniert das?

Krupp: Dadurch, dass die Übungen praktische Tätigkeiten imitieren, die in einer zusammenhängenden Handlung angesiedelt sind. Werden dann zum Beispiel in der Bewegungswelt "Hausbau" mit großen Armschwüngen "Tapeten eingekleistert", können - auch bei leichter Demenz - die passenden Bewegungen teilautomatisiert abgerufen werden. Und plötzlich tauchen aus dem episodischen Gedächtnis auch Erinnerungen an selbst erlebte Situationen auf, die gern in der Gruppe erzählt werden. Das bringt die Teilnehmenden einander näher und stärkt das Selbstwertgefühl.


Aktuell laufen Forschungsprojekte zur Prävention und zu mehr Bewegung in stationären Pflegeeinrichtungen. Gibt es hier bereits erste Ergebnisse?

Krupp: Beide Projekte stehen noch am Anfang, Kontrolluntersuchungen haben noch nicht stattgefunden. Wir wissen aber bereits, dass die speziell auf pflegebedürftige ältere Menschen ausgerichtete Assessment-Batterie gut einsetzbar ist. Leider erleben wir auch hautnah mit, wie schwierig es für das Personal in Pflegeeinrichtungen ist, die Bewohnerinnen und Bewohner über das Notwendige hinaus zu fördern.


In einem weiteren Projekt untersuchen Sie, wie der Verlust bestimmter körperlicher und geistiger Fähigkeiten die Selbstständigkeit beeinträchtigt. Welche Erkenntnisse haben Sie hier gewonnen?

Krupp: Wir haben festgestellt, dass bei der Erhebung des sogenannten Barthel-Index wichtige Informationen verloren gehen, wenn als Ergebnis lediglich ein Summenwert wie "Barthel-Index 80" mitgeteilt wird. Der von uns entwickelte "Barthel plus" dokumentiert zusätzlich, bei welchen Aktivitäten die Person sich zwar selbst versorgt, aber deutlich beeinträchtigt ist und dafür medizinische Hilfsmittel benötigt oder nur unter Schmerzen oder extremer Anstrengung die Aufgabe bewältigt. Hier vermuten wir ein erhöhtes Risiko dafür, die Selbstständigkeit innerhalb der nächsten drei Jahre einzubüßen, wenn nicht interveniert wird. Wir haben bereits herausgefunden, dass die Konstellation "Geht noch ohne personelle Hilfe - aber nur mit Ach und Krach" bei geriatrischen Patientinnen und Patienten häufig vorkommt.


Zur Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck: Wie groß ist die Gruppe, wie stark die interdisziplinäre Ausrichtung und wie gut die Zusammenarbeit mit geriatrischen Einrichtungen aus der Region?

Krupp: Zurzeit gehören 14 Personen zu unserem Team, darunter Physio- und Ergotherapeutinnen und -therapeuten mit akademischer Erfahrung, Pflege-, Gesundheits- und Sportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, eine Sekretärin, eine Medizinstudentin und ich als Geriaterin. In den vergangenen Jahren wurden zwei Forschungsarbeiten multizentrisch mit Unterstützung mehrerer geriatrischer Kliniken in Schleswig-Holstein durchgeführt. Wer mit der FGL kooperieren möchte, ob als geriatrische oder nicht-geriatrische Klinik, Praxis oder Pflegeeinrichtung, ist herzlich eingeladen.


Vielen Dank für das Gespräch.

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 10, Oktober 2021
74. Jahrgang, Seite 13
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 26. Oktober 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang