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INNERE/1430: Übergewicht, Stoffwechsel und Immunsystem - eine unheilige Allianz, aber auch Ansatz für neue Therapien (DGIM)


Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) e. V. | Pressemitteilung vom 20. April 2023

Übergewicht, Stoffwechsel und Immunsystem: eine unheilige Allianz, aber auch Ansatz für neue Therapien


Wiesbaden, April 2023 - Starkes Übergewicht ist ein wichtiger Risikofaktor für einen schweren Verlauf der Infektionskrankheit COVID-19. Warum, das ist Gegenstand aktueller Forschung. Es könnte an der engen Interaktion zwischen Stoffwechsel und Immunsystem liegen - sie wird von Forschenden zunehmend in den Blick genommen. Bekannt ist schon länger: Adipositas, insbesondere das viszerale Fett, löst eine chronische Entzündung im Körper aus, und betrifft somit auch das Immunsystem. Expertinnen und Experten bezeichnen Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes deshalb inzwischen auch als chronisch-entzündliche Erkrankungen. Warum Fettstoffwechsel und Immunsystem sich gegenseitig so stark beeinflussen und wie dies neue Therapieansätze für die Folgeerkrankungen von Übergewicht ermöglichen könnte, ist Thema der Kongress-Pressekonferenz sowie des Symposiums "Novel concepts in obesity-related metabolic diseases" im Rahmen des Internistenkongresses 2023.


Evolutionär haben Stoffwechsel und Immunsystem einen gemeinsamen Ursprung. "In einfachen Lebewesen wie etwa der Fruchtfliege lässt sich erkennen, dass es Interaktionen zwischen immunologischen und metabolischen Signalwegen gibt", erklärt Professor Dr. med. Andreas Schäffler, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Gießen. Diese sogenannten Crosstalks seien bis heute auch beim Menschen erhalten geblieben. "In unserem menschlichen Organismus steuern identische Moleküle sowohl Stoffwechsel- als auch Entzündungsvorgänge." Die enge Verknüpfung ist oft wichtig und nützlich: So versorgen Zellen des Fettgewebes bei einer akuten Infektion oder Entzündung die Immunzellen mit Energie, um die Immunreaktion zu unterstützen. Vice versa bewirken Erkrankungen, die den Stoffwechsel betreffen, Reaktionen im Immunsystem, wie etwa erhöhte Entzündungswerte.

Problematisch wird die enge Interaktion, wenn Fettgewebe, insbesondere im Bauchraum, das normale Maß überschreitet. Die erhöhte Aktivität der Fettzellen lässt Makrophagen, also Zellen des Immunsystems, in das Gewebe einwandern. "Dies führt zu einer leichten aber fortwährenden chronischen Entzündungsreaktion, die sowohl im lokalen Fettgewebe als auch im gesamten Körper auftritt." Das zeige sich dann im Blut unter anderem durch einen Anstieg des C-reaktiven Proteins, auch "Adipositas-CRP" genannt. Zudem kommt es zur Insulinresistenz, bei der die Zellen Insulin nicht mehr ausreichend aufnehmen können und somit der Blutzucker steigt. Diese durch den Stoffwechsel (Metabolismus) ausgelöste lokale und systemische Entzündungsreaktion (Inflammation) bezeichnen Forschende als "Metaflammation". "Die chronische Aktivierung des Immunsystems hat eine reduzierte Infektionsabwehr zur Folge, aber auch Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, metabolisches Syndrom und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfälle", erklärt Schäffler.

"Metaflammation" ist aber auch zum Ansatz für die Erforschung neuer Behandlungsmethoden ebendieser Erkrankungen geworden. Die Idee: Mittels Kontrolle der Entzündungsreaktion die Risiken für die Folgeerkrankungen der Adipositas zu reduzieren. "Zu den wichtigsten Studien gehören dabei zwei Arbeiten aus 2017 und 2019", erklärt Schäffler. Der CANTOS Trial 2017 war die erste prospektive, randomisierte, klinische Phase-III-Studie an über 10 000 Patientinnen und Patienten. Hierbei wurden Hochrisikopatientinnen und- patienten aufgenommen, die einen Myokardinfarkt erlitten hatten und ein erhöhtes CRP aufwiesen. Sie bekamen den entzündungshemmenden Antikörper Canakinumab. Zwar konnte das Diabetesrisiko dadurch nicht vermindert, dafür aber die kardiovaskuläre Sterblichkeit deutlich reduziert werden. "Hingegen zeigte sich im CIRT-Trial von 2019, bei dem adipösen Patienten eine anti-entzündliche und das Immunsystem unterdrückende medikamentöse Therapie mit dem Wirkstoff Methotrexat erhielten, keine kardioprotektive Wirkung."

"Das zeigt, dass wir noch viel mehr Erkenntnisse darüber erlangen müssen, wie genau - auf Ebene der Organe, Zellen, Organellen - die immuno-metabolische Schnittstelle funktioniert", so Schäffler. "In Zukunft könnten molekular maßgeschneiderte anti-entzündliche Therapien ein wichtiger neuer Therapieansatz sein, mit einem ganz neuen Wirkmechanismus als die bisherigen Therapien des metabolischen Syndroms - nämlich über das Immunsystem."


Literatur:

- Schäffler, A.: Rolle der Metaflammation als systemische Manifestation bei Stoffwechselerkrankungen. Innere Medizin 64, 313-322 (2023).
https://doi.org/10.1007/s00108-022-01416-7

- Ridker PM, Everett BM, Pradhan A et al (2019): Low-dose methotrexate for the prevention of atheroscleroticevents.NEngl JMed380:752-762

- Ridker PM, EverettBM, Thuren T et al (2017): Antiinflammatory therapy with canakinumab for atheroscleroticdisease. NEngl JMed377:1119-1131

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Quelle:
DGIM - Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V.
Pressemitteilung vom 20. April 2023
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. Mai 2023

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