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ONKOLOGIE/1227: Dioxin-ähnlicher Botenstoff macht Hirntumoren besonders aggressiv (idw)


Universitätsklinikum Heidelberg - 06.10.2011

Dioxin-ähnlicher Botenstoff macht Hirntumoren besonders aggressiv

Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg entdecken neuen Stoffwechselweg / Erfolgreiche Forscherallianz veröffentlicht in Fachzeitschrift "Nature"


Eine Forscherallianz des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums hat gemeinsam mit Kollegen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig einen neuen Stoffwechselweg entdeckt, der bei Patienten mit bösartigen Hirntumoren (Gliome) den Tumor aggressiver macht und das Immunsystem schwächt. Die Blockierung dieses Stoffwechselwegs mit Hilfe von Medikamenten stellt einen neuen Angriffspunkt für die Krebsbehandlung dar. Die Arbeiten sind in der aktuellen Ausgabe der bedeutenden Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Gliome sind die häufigsten und bösartigsten Hirntumoren bei Erwachsenen. In Deutschland erkranken jährlich ca. 4.500 Menschen an einem Gliom. Etwa 75 Prozent davon gelten als besonders aggressiv. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt acht Monate bis zwei Jahre. Standardtherapie ist die möglichst vollständige Entfernung des Tumors gefolgt von einer Strahlenbehandlung, meist in Kombination mit Chemotherapie. Dennoch sind die Resultate unbefriedigend, da der Tumor eine hohe Widerstandskraft besitzt und frühzeitig nachwächst. Neue Behandlungsansätze werden daher dringend benötigt.

Tumoren wachsen stärker und Immunsystem wird geschwächt

Die Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe Experimentelle Neuroimmunologie am Deutschen Krebsforschungszentrum unter Leitung von Professor Dr. Michael Platten sowie die Abteilung Neuroonkologie des Universitätsklinikums Heidelberg und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen unter der Leitung von Professor Dr. Wolfgang Wick sind bei ihren Arbeiten an Zellen von Krebspatienten sowie im Mausmodell auf die Spur des Moleküls Kynurenin gestoßen. Es entsteht, wenn im Körper die Aminosäure Tryptophan - ein Bestandteil von Eiweißen, die mit der Nahrung aufgenommen werden - abgebaut wird. "Wir konnten in Krebszellen von Gliom-Patienten, bei denen der Tumor besonders aggressiv ist, verstärkt Kynurenin nachweisen", erklärt Professor Michael Platten. Aber auch bei anderen Krebsarten, wie z.B. Blasen-, Darm-, oder Lungenkrebs, scheint nach den aktuellen Heidelberger Forschungsergebnissen dieser Zusammenhang zu bestehen.

Was die Forscher noch mehr erstaunte: Kynurenin aktiviert den so genannten Dioxinrezeptor. Dies führt wiederum zu einer Kette von Reaktionen, die schließlich das Tumorwachstum fördern und das Immunsystem schwächen. Bislang war lediglich bekannt, dass der Dioxinrezeptor, wissenschaftlich auch Arylhydrokarbonrezeptor (AHR) genannt, durch Umweltgifte, z.B. das krebserregende Dioxin, aktiviert wird. "Warum dieser Rezeptor überhaupt in Körperzellen vorhanden ist und welchen körpereigenen Aktivierungspartner er hat, war bislang nicht bekannt", so Dr. Christiane Opitz, Erstautorin der Forschungsarbeit. Aber: "Kynurenin scheint ganz ähnliche Auswirkungen zu haben wie Dioxin, nur dass es vom Körper selbst gebildet wird", erläutert Professor Platten.

Und noch ein weiteres Novum können die Forscher präsentieren: Der Abbau der Aminosäure Tryptophan erfolgte durch einen Eiweißstoff, ein so genanntes Enzym, den die Wissenschaftler bislang vor allem in Leberzellen entdeckt hatten. "Dass das Enzym mit dem Namen Tryptophan-Dioxygenase, kurz TDO, auch in Krebszellen und verstärkt in besonders aggressiven Tumoren aktiv ist, hat uns überrascht."

Substanzen suchen, die diesen Stoffwechselweg gezielt blockieren

Der neu entdeckte Stoffwechselweg stellt einen möglichen Angriffspunkt für die Krebstherapie dar. Ziel ist es, das Tumorwachstum zu hemmen und das Immunsystem zu stärken. "Wir werden nach Substanzen suchen, die diesen Stoffwechselweg gezielt blockieren und sich als mögliche Tumormedikamente eignen", blickt Professor Wolfgang Wick in die Zukunft.

Literatur:
Christiane A. Opitz, Ulrike M. Litzenburger, Felix Sahm, Martina Ott, Isabel Tritschler, Saskia Trump, Theresa Schumacher, Leonie Jestaedt, Dieter Schrenk, Michael Weller, Manfred Jugold, Gilles J. Guillemin, Christine L. Miller, Christian Lutz, Bernhard Radlwimmer, Irina Lehmann, Andreas von Deimling, Wolfgang Wick, Michael Platten.
An endogenous ligand of the human aryl hydrocarbon receptor promotes tumor formation. An endogenous ligand of the human aryl hydrocarbon receptor promotes tumor formation.
DOI: 10.1038/nature10491

Informationen im Internet:
http://www.dkfz.de/de/neuroimmunologie/
http://www.dkfz.de/de/neuroonkologie/
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Abteilung-fuer-Neuroonkologie.106684.0.html

Kontakt:
Prof. Dr. med. Michael Platten
Leiter der
Helmholtzgruppe Experimentelle Neuroimmunologie
Deutsches Krebsforschungszentrum
Ltd. Oberarzt
Abteilung Neuroonkologie
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
E-Mail: michael.platten@med.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. med. Wolfgang Wick
Ärztl. Direktor
Abteilung Neuroonkologie
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
KKE Neuroonkologie (G370)
Deutsches Krebsforschungszentrum
E-Mail: wolfgang.wick@med.uni-heidelberg.de


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www.klinikum.uni-heidelberg.de


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung 141 / 2011
Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 06.10.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011