Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 10, Oktober 2023
Zentren finden Gehör beim Gesundheitsminister
von Uwe Groenewold
ONKOLOGIE. Brustkrebspatientinnen, die in zertifizierten interdisziplinären Brustzentren behandelt werden, haben signifikant höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten. Darauf wiesen Expertinnen und Experten der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) zum Jubiläum "20 Jahre zertifizierte Brustzentren" in den vergangenen Monaten hin. Auch Spezialisten aus Schleswig-Holstein plädieren für die zentrierte Behandlung. Befürchtet wird von den Beteiligten, dass die geplante Ambulantisierung im Rahmen der Krankenhausreform die Versorgungssicherheit der Patientinnen gefährden könnte.
Dr. Maggie Banys-Paluchowski leitet das Brustzentrum am UKSH in
Lübeck und gehört zum Ausschuss Zertifikatserteilung und zur
Zertifizierungskommission der DKG. In dieser Position trat sie im Mai
für einen Moment ins Rampenlicht der deutschen Gesundheitspolitik.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wollte sich im Hinblick auf
die geplante Krankenhausreform einen eigenen Eindruck vom
Zertifizierungsverfahren der DKG verschaffen und nahm an einem Audit
im Brustzentrum des Vivantes Klinikums in Berlin teil, das von
Banys-Paluchowski geleitet wurde.
Die Begegnung wurde von zahlreichen Medienschaffenden begleitet, Fotos zeigen Ärztin und Minister im Gespräch vertieft. "Das war ein interessanter, sehr spannender Termin", erzählt Banys-Paluchowski. "Mein Eindruck war, dass Prof. Lauterbach sehr angetan von dem Zertifizierungsverfahren war. Wir haben uns verschiedene Abläufe angesehen, er hat viele Fragen zum Vorgehen gestellt und war sehr interessiert." Ihre Hoffnung sei, dass mit der Krankenhausreform die Behandlung onkologischer Patienten in interdisziplinären zertifizierten Zentren weiter aufgewertet wird - entweder durch eine Höhervergütung oder durch die Vorgabe, dass nur noch zertifizierte Zentren Krebspatienten versorgen dürfen. "Das würde allen Patientinnen und Patienten sehr zugute kommen", so die Lübecker Ärztin. Brustkrebs ist mit etwa 30 % aller Krebsfälle die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Aktuell wird die Diagnose Mammakarzinom rund 69.000-mal jährlich gestellt, dazu kommen etwa 6.000 In-situ-Karzinome. Derzeit erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brust-krebs - je älter, desto häufiger. Dank besserer Früherkennung und optimierter Therapien steigt das Langzeitüberleben, laut RKI überleben 86 % der Patientinnen die Erkrankung mindestens fünf Jahre.
Mitverantwortlich dafür ist offensichtlich die Behandlung in einem zertifizierten Tumorzentrum. In diesen meist virtuellen Zentren unter dem Dach einer größeren Klinik arbeiten alle für die jeweilige Tumorerkrankung relevanten Fachdisziplinen berufs- und sektorenübergreifend zusammen. Im Rahmen der Zertifizierung müssen die Zentrumspartner jährlich nachweisen, dass sie quantitative und qualitative Mindestvorgaben und Qualitätsindikatoren erfüllen. Eingeführt wurde das System vor 20 Jahren von DKG und DGS für die Behandlung von Brustkrebs, inzwischen gibt es zertifizierte Zentren für nahezu alle Tumorentitäten. Laut DKG werden 56 % aller neuerkrankten Krebspatienten in einem der 1.778 Zentren in 430 Krankenhäusern (Stand 31.3.2022) behandelt.
Seit vergangenem Jahr liegen erstmals auch Daten zur Versorgungsqualität vor. In der vom G-BA geförderten sogenannten WiZen-Studie ("Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren") konnte nachgewiesen werden, dass das Sterberisiko für in einem Tumorzentrum behandelte Patienten um 26 % niedriger war als für Patienten, die nicht dort behandelt wurden. Untersucht wurden rund eine Millionen Krankheitsfälle zwischen 2009 und 2017, unter anderem Kolon-, Mamma-, Bronchial- und Prostatakarzinomerkrankungen. Der Überlebensvorteil für Brustkrebspatientinnen war signifikant, insbesondere in den Tumorstadien I bis III (lokal begrenzt bis lokal fortgeschritten).
Erstes zertifiziertes Krebszentrum in Schleswig-Holstein war das Holsteinische Brustzentrum, das vor über 20 Jahren gegründet und 2005 erstmals zertifiziert wurde. Ihm gehören die Frauenkliniken in Itzehoe, Heide, Neumünster und Rendsburg an. "Es war unser Ziel, mitten im Herzen des Flächenlandes Schleswig-Holstein für die häufigste Krebsdiagnose der Frau die beste Therapie nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu garantieren. Pro Jahr behandeln wir seitdem über 500 Patientinnen und Patienten mit neu aufgetretenem Brustkrebs. Damit sind wir das größte dezentrale Brustzentrum in Deutschland", so Geschäftsführer Prof. Oliver Behrens. "Zentrales Instrument ist dabei die gemeinsame interdisziplinäre Tumorkonferenz, bei der seit Gründung unseres Zentrums bei über 10.000 Brustkrebspatientinnen und -patienten ein individueller Therapieplan auf der Basis der aktuellen Leitlinien erstellt wurde."
Von der Diagnose bis zum Ende der Therapie - und oft noch weit darüber hinaus - stehen sogenannte Breast Care Nurses den Patientinnen zur Seite. Nadja Kläschen bekleidet diese Funktion seit 15 Jahren im Holsteinischen Brustzentrum in der imland Klinik Rendsburg. Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin ist der onkologischen Ambulanz angegliedert, gleichzeitig auch auf Station Ansprechpartnerin für Patientinnen und Kolleginnen und begleitet jede Visite. "Den Patientinnen zur Seite zu stehen, möglichst vom Erstkontakt in der Sprechstunde an, ist eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe, die ich sehr gern und mit viel Herzblut ausfülle", erläutert Kläschen. Einige Patientinnen benötigen so gut wie keine Unterstützung, doch bei vielen Frauen sei es wichtig, sie über die bevorstehende Therapie auch von pflegerischer Seite zu informieren und ihnen Ängste zu nehmen. Das gelinge in dem familiären Klima, das in der Frauenklinik herrsche, sehr gut. Sie selbst, so Kläschen, ist perfekt vernetzt - sowohl innerhalb der Rendsburger Einrichtung als auch mit den Kollegen und Kolleginnen der anderen drei Kliniken im Holsteinischen Brustzentrum. "Das Telefon habe ich immer am Ohr, befinde mich mit den unterschiedlichsten Professionen permanent im Austausch. Mit den anderen Häusern treffen wir uns dienstags zur Videokonferenz und mit den Breast Care Nurses aller Einrichtungen kommen wir zweimal jährlich zum persönlichen Treffen in einer der Kliniken zusammen." Sie selbst bezeichnet sich als empathisch, ihr Motto lautet "Immer menschlich bleiben". Unterstützt wird sie dabei unter anderem von den Landfrauen Hüttener Berge, die für operierte Patientinnen spezielle Kissen ("Herzkissen") nähen, die sie sich beim Schlafen unter die Achsel schieben. "Manche Frauen, die ich viele Jahre später zufällig in der Stadt treffe, erzählen mir strahlend, dass sie das Kissen immer noch haben. Das ist dann wirklich was fürs Herz - für beide Seiten."
Auch in den erfolgreichen onkologischen Zentren wird jetzt die Ambulantisierung, die mit der Krankenhausreform vorangetrieben werden soll, diskutiert. Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie gehörte dies zu den zentralen Themen. Etwa jede vierte Klinikbehandlung, darunter viele operative Eingriffe, sollen Plänen aus dem Gesundheitsministerium zufolge künftig ambulant durchgeführt werden. Eine Entwicklung, die den Beteiligten Sorgenfalten bereitet. "Die Behandlung von Brustkrebs ist viel mehr als nur die Operation. Die interdisziplinäre Planung der Systemtherapie, die Psychoonkologie, die Sozialberatung - all das macht die Versorgung in einem Brustzentrum aus. Meine große Sorge ist, dass begleitende Angebote wegfallen würden, doch damit wird man den Patientinnen nicht gerecht", sagt Banys-Paluchowski aus Lübeck.
Und hat sie dies dem Minister bei ihrem Treffen in dieser Deutlichkeit gesagt? "Vor allem haben wir über die komplexen Abrechnungen im ambulanten Bereich gesprochen." Gemeinsam habe man eine ambulante Chemotherapieeinrichtung auditiert. Dort würden Patientinnen nach drei verschiedenen Systemen abgerechnet - je nachdem, welche Form der Systemtherapie die Patientin erhält, werde über das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ), die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) oder die Tagesklinik abgerechnet. "Die Patientin merkt davon nichts, aber für das Personal ist das eine riesige Belastung, jedes Mal zu überlegen, welche Therapieform in welchem System abgerechnet wird. Das macht viel zusätzliche Arbeit!"
Das Audit mit Banys-Paluchowski hat bei Lauterbach offenbar Eindruck hinterlassen. Beim Symposium "20 Jahre zertifizierte Brustkrebszentren" der DKG in Berlin bekräftigte er seine Unterstützung für das Zertifizierungssystem: "Die Exzellenz der Brustkrebszentren hat vielen Frauen das Leben gerettet. Die guten Erfahrungen mit dem Zertifizierungssystem zeigen, dass es sich für Patientinnen und Patienten lohnt, in die Qualität der Behandlung zu investieren. Den Erkenntnissen dieses Erfolgsmodells folgen wir auch mit der Krankenhausreform: Die Menschen sollen sich darauf verlassen können, dass sie gut versorgt werden, wenn sie in die Klinik müssen."
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Im Jahr 2021 sind in Schleswig-Holstein 2.910 invasive Brustkrebsfälle diagnostiziert worden, dazu kommen noch 283 Frühformen. Das Krebsregister Schleswig-Holstein (www.krebsregister-sh.de) hat in diesem Jahr erstmals den Zeitpunkt der Heilung nach einer Krebserkrankung ermittelt, ein aus statistischer Sicht wichtiges Maß etwa beim Abschluss von Versicherungen oder Kreditverträgen. Frauen, die im frühen Stadium I diagnostiziert werden, haben statistisch betrachtet die gleiche Sterblichkeit wie nicht erkrankte Frauen. 42 % aller Brustkrebserkrankungen werden in diesem günstigen Stadium entdeckt. In Stadium II dauert es fünf bis sechs Jahre bis zur statistischen Heilung, in Stadium III und IV liegt der Heilungszeitpunkt bei über 12 Jahren, wobei weniger als 40 % der betroffenen Patientinnen diesen Zeitpunkt erreichen.
Laut Deutscher Krebsgesellschaft gehören zehn Kliniken in Schleswig-Holstein zu den zertifizierten Brustzentren. Neben den beiden UKSH-Kliniken in Kiel und Lübeck sowie den vier Kliniken des Holsteinischen Brustzentrums (Itzehoe, Rendsburg, Heide, Neumünster) sind dies die Park-Klinik Kiel, die Regio-Klinik in Pinneberg, das Ameos Klinikum Eutin und das Diako Flensburg. Jedes Zentrum hat jeweils 15 - 27 Kooperationspartner.
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• Bei kaum einer anderen Tumorentität ist die Entwicklung der personalisierten Präzisionsmedizin so weit vorangeschritten wie beim Mammakarzinom. Das beginnt bei der Diagnose: Nach Auswertung der Biopsie liegen vielfältige Informationen etwa zum Rezeptorstatus und zu Biomarkern vor, sodass die weitere Systemtherapie bereits vor der Operation geplant werden kann.
• Die neoadjuvante Therapie ist für viele Tumorsubtypen zum Standard geworden: Die Systemtherapie verkleinert den Tumor vor einer OP, ermöglicht eine bessere Prognoseabschätzung und eine individualisierte postoperative (post-neoadjuvante) Therapie.
• Antikörper-Wirkstoff-Konjugate stellen eine der wichtigsten Entwicklungen auf dem Gebiet der zielgerichteten Onkologie dar und führen zu signifikant längerem krankheitsfreiem Überleben. So haben zum Beispiel Patientinnen mit Her-2-positivem Tumor, die auf vorherige neoadjuvante Systembehandlung nicht vollständig angesprochen haben, mit einer Antikörperbehandlung, an die Chemomoleküle gekoppelt werden, größere Chancen, rezidivfrei zu bleiben.
• Deeskalation ist ein wichtiges Stichwort der modernen Brustkrebstherapie. Dank Genexpressionstest kann besser als zuvor vorhergesagt werden, welche Patientin von einer Chemotherapie profitiert und welche nicht. Häufig kann deshalb etwa bei hormonrezeptor-positiven Patientinnen auf eine Chemotherapie verzichtet werden.
• Die Immuntherapie ist zu einem wesentlichen Baustein der Behandlung geworden und gehört beim metastasierten und inzwischen auch beim frühen, nicht-metastasierten Mammakarzinom zum Standard. Bei triple-negativen Karzinomen, denen mit der schlechtesten Prognose, wird sehr erfolgreich eine Chemotherapie mit Immun-Checkpointinhibitoren kombiniert.
• Ausweitung des Mammografie-Screenings: Die Altersgrenze ist gerade auf 75 Jahre angehoben worden, wie der G-BA kürzlich mitteilte. Studien hätten gezeigt, dass der Nutzen die Risiken überwiegt. Damit könnten ab 1. Juli 2024 weitere 2,5 Millionen Frauen am Mammografie-Screening teilnehmen. Bislang erhielten Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre eine Einladung zum Mammografie-Screening.
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 10, Oktober 2023
76. Jahrgang, Seite 8-10
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 20. Oktober 2023
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