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REPRODUKTIONSMEDIZIN/166: Eizellspende und Leihmutterschaft auch in Deutschland? - Diskussion des Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF)


Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) - 03.11.2023

Fachtag des AKF e.V. am 3.11.2023
Der Arbeitskreis Frauengesundheit warnt vor einer Vermarktung weiblicher Körperfunktionen
im Zuge einer Liberalisierung von Leihmutterschaft und Eizellspende


Der gestrige Fachtag des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF e.V.) hat intensiv die Fragestellungen zu "Eizellspende und Leihmutterschaft auch in Deutschland?" diskutiert.

Der Fachtag fand statt im Rahmen der Jubiläumsjahrestagung des AKF 2023. Aktueller Hintergrund für diese Debatte sind die umstrittenen Pläne der Bundesregierung, die Gesetzgebung zu Eizellspende und Leihmutterschaft zu 'liberalisieren'. Begründet werden die Pläne der Bundesregierung und deren Unterstützer*innen von diversen Menschen mit Kinderwunsch und reproduktionsmedizinischen Praxen mit der Forderung nach individueller reproduktiver Selbstbestimmung. Die Ministerien für Gesundheit, Justiz und Frauen und Familie haben zur Vorbereitung eines Gesetzentwurfs eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin eingesetzt, die bis März 2024 die Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und "altruistischen" Leihmutterschaft prüfen soll.

Dr. Doris Tormann, Frauenärztin und Mitglied des Vorstands des AKF und eine der Mitorganisatorinnen des Fachtags mit dem Titel: "Ungewollte Kinderlosigkeit - vom Mythos der grenzenlosen Machbarkeit und den Schattenseiten der Reproduktionsmedizin":

"Wer schnellen Veränderungen der bisherigen Rechtslage in Deutschland das Wort redet und dabei den Scheinwerfer nur auf das Leid von ungewollt Kinderlosen, Wunscheltern, queeren Paaren, die sich leibliche Kinder wünschen, richtet, weil moderne Reproduktionsmedizin dieses Leid vermindern könnte, macht es sich zu einfach".

Befürwortung schneller 'Liberalisierung' verkenne, so Tormann weiter, "dass Folgenabschätzung durch valide Studien über psychische und körperliche Schäden für Eizellgeberin, Eizellnehmerin, Miet-Mütter und so entstandene Kinder nicht vorliegen. Vielmehr wissenschaftlich bewiesen sind bisher schon gesundheitliche Schäden." Tatsächlich bleibe im grellen Scheinwerferlicht der auf 'reproduktive Selbstbestimmung' fokussierten Diskussion eine wichtige Dimension ausgeblendet: die der Ausbeutung und der meist extremen sozialen Ungleichheit zwischen Eizellgeberin bzw. Miet-Mutter einerseits und Auftraggeber/in andererseits. Weitgehend unbeachtet bleiben dabei die gesundheitlichen Folgen, wie gravierende Schwangerschaftskomplikationen mit Folgen für die Wunschmutter, die Mietmutter und das Kind. (Für Details: Link zum Manuskript des heutigen Referats Dr. med. Angelika Linckh und zur Stellungnahme der Gynäkologinnen im AKF).

"Eine feministische, offene Debatte muss über die neoliberale Perspektive auf individuelle reproduktive Selbstbestimmung hinausdenken und in Frage stellen, ob im Namen solcher 'Selbstbestimmung' die Körper anderer Frauen benutzt werden und - wie die so erzeugten Kinder - de facto zur marktgängigen Ware gemacht werden dürfen," fordert Silke Koppermann, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Mitglied beim Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF). Sie sagt weiter: "Auch gesellschaftliche Auswirkungen, wie die Umlenkung von Ressourcen - Fachpersonal und Geld - aus der medizinischen Grundversorgung in die Bereiche der gewinnversprechenden Wunschmedizin spielen in der bisherigen Diskussion keine Rolle." Während eine einmal vollzogene gesetzliche 'Liberalisierung' solche "Reproduktionsmedizin" stimulieren dürfte, werden andere Modelle nicht-leiblicher Elternschaft (wie z.B. die Erfüllung von Kinderwünschen durch Annahme von Pflegekindern) nicht angemessen diskutiert.

"Bei der derzeitigen Verkürzung der Diskussion auf Belange von bisher unfreiwillig Kinderlosen bleiben auch wichtige Treiber und Profiteure dieser marktförmigen Nutzung weiblicher Körperfunktionen verdeckt: die ökonomischen Interessen der internationalen Fruchtbarkeitsindustriekonzerne, der Pharmaindustrie und ihrer Kapitalgeber," so die Medizinethikerin Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt.

"Wir warnen aus all diesen Gründen vor eiligen Liberalisierungs-Schritten," fassen Dr. Doris Tormann und Silke Koppermann zusammen und fordern: "Die genannten medizinischen, ethischen und politisch-sozialen Problembereiche brauchen Zeit für eine breite Diskussion und eine Korrektur des bisher beschränkten Blickwinkels der Debatten. Der von der Bundesregierung und interessierten Lobbyorganisationen des reproduktionsmedizinisch-industriellen Komplexes aufgebaute Zeitdruck ist der Tragweite des Themas nicht angemessen!"


Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)
ist der größte unabhängige Zusammenschluss von Frauengesundheitsorganisationen und Fachexpertinnen zur Frauengesundheit im deutschsprachigen Raum. unabhängig - überparteilich Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)


Stellungnahme der Fachgruppe der Frauenärztinnen im AKF zur "Eizellspende und altruistischer Leihmutterschaft"
https://ionos-322eac62f.sendserver.email/i/UfDS-a_n2EBl0rHU1l0D_nmP3ZcGPiX0


Programm des Fachtags vom 03. November 2023 des AKF e.V.
https://ionos-322eac62f.sendserver.email/i/rkvC48sgIo-OsJVpsbQj8h0X2jv4ztfa

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Quelle:
Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)
Pressemitteilung zum Fachtag des AKF e.V., 03.11.2023
Bundesallee 42, 10715 Berlin
Telefon: 030/86 39 33 16, Fax: 030/86 39 34 73
E-Mail: buero@akf-info.de
Internet: www.arbeitskreis-frauengesundheit.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. November 2023

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