Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2017
Bewegung
Intensität geht vor Dauer
von Horst Kreussler
Wichtig ist: Der Wunsch nach Bewegung muss vom Patienten selbst kommen. Veranstaltung zur Prävention in Hamburg.
Präventives ärztliches Vorgehen erfreue sich zunehmender
Beliebtheit, sagte Prof. Andreas van de Loo vom Hamburger
Marienkrankenhaus (Schwerpunkt Kardiologie) zu Beginn einer
Vortragsveranstaltung des Ärztlichen Vereins und der
Fortbildungsakademie der Ärztekammer Hamburg. Immer wieder würden zwar
lukrative, aber wenig evidenzbasierte Maßnahmen eingesetzt. Dies
konnte der erste Referent zum Teil bestätigen. Prof. Martin Halle vom
Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München (ebenfalls
Kardiologe) nannte immerhin eine Reihe von Studien aus den letzten
Jahren, die den allgemein angenommenen Nutzen von Bewegung und
sportlicher Betätigung in primär- und sekundärpräventiver Hinsicht
bestätigten. Eine kleinere Studie konnte den bekannten Slogan "An
apple a day keeps the doctor away" jedenfalls für den Verzehr jeweils
eines mittelgroßen Apfels belegen: deutlich weniger Arztkontakte und
Verschreibungen. Eine andere Studie (2011) ergab ebenfalls keine große
Überraschung, als sie den größten Effekt für Herz/Kreislauf mit Beginn
des Bewegungsprogramms (nur 500-1.000 kcal pro Woche) feststellte,
also schon bei 20-30 Minuten Spazierengehen täglich. Was aber ist
wichtiger, Dauer oder Intensität der Bewegung? Diese Frage sei für den
Arzt selbst von Bedeutung, denn: "Welcher Arzt kann schon bei der
üblichen beruflichen Belastung täglich 30 Minuten Sport machen?" An
die 30 Prozent der Ärzte treiben nach einer Befragung keinen Sport.
Aber vielleicht zehn Minuten intensiv? Eine Studie aus Kopenhagen von
2012 besagt: Intensität bringt mehr. Eine große Studie aus Taiwan
zeigt, dass acht intensive Minuten täglich das kardiovaskuläre Risiko
um 20 Prozent reduzieren.
Womit kann der Herzpatient beginnen? Am besten Gehen und abwechselnd Trippel-Laufen ("Intervall-Walking"). Folge: Alle entscheidenden Parameter wie Blutdruck, Blutfettwerte, Blutzucker würden positiv beeinflusst. Schon bei Beginn des Trainings solle sich der Patient zwar moderat, aber doch mit gewisser Belastung bewegen, so laute eine neue Erkenntnis der Sport-Kardiologie nach einer australischen Studie. Damit der Patient mitmacht und dabeibleibt (Adhärenz), sei psychologisches Vorgehen wichtig: Der Wunsch zu neuer Bewegung müsse von ihm selbst kommen. Also fragt der Arzt: "Wie viele Schritte täglich wollen Sie gehen/laufen?" Oft genannt: "5000". In der ersten Woche nur "train the brain", dann Steigerung mit konkret ausgeschriebenem Rezept (x Minuten Radfahren, Schwimmen usw.), Schrittzähler und Bewegungstagebuch.
Anders eine hauptsächlich in Deutschland verbreitete und als erfolgreich angesehene Vorsorgeuntersuchung, das Koloskopie-Screening. Ist sie wirklich so erfolgreich, fragte Prof. Thomas Rösch, Gastroenterologe aus dem UKE. Schwer zu sagen, denn es gibt, so Rösch, immer noch keine wirklich aussagefähige Studie darüber, nur partielle Berechnungen von Beteiligten mit dem Ergebnis, wie toll das Ganze sei: "Wir haben immer noch keine einzige Studie mit dem Ergebnis, dass durch Koloskopie-Screening die Gesamtmortalität gesenkt wird."
Eine gute Vorsorgeuntersuchung müsse diese Kriterien erfüllen: Ein einfacher Test wie eine Blut- oder Urinprobe, von daher eine hohe Akzeptanz, eine große Treffsicherheit für frühe krankhafte Formen mit wenig falsch-positiven Befunden sowie ein Filter für weitergehende Diagnostik. Die ersten beiden Kriterien jedenfalls seien fraglich. Weitere Probleme seien bekannt: Oft sei der Darm nicht sauber genug für eine eindeutige Beurteilung, der Schlauch könne nicht weit genug vorgeschoben werden, es würden nicht genügend Läsionen entdeckt oder schlecht polypektomiert und schließlich sei das Follow-up nicht immer genügend.
Hingegen ist die Qualität nicht das Problem, so der Referent, seitdem die Qualitätssicherung durchweg eingeführt wurde. Daher sei die Rate der entdeckten Adenome auch gestiegen, natürlich eher kleiner Adenome. Auch die Sicherheit der Untersuchung sei hoch bei nur etwa 0,012 Prozent Perforationen und weniger als doppelt so vielen Blutungen. Was aber fehle, sei eine brauchbare Nutzenbewertung, wie sie bei einer laufenden großen Studie aus Spanien vorgenommen werde. Zu vermuten ist, so der Gesamteindruck des Berichterstatters, dass unsere Vorsorgekoloskopie insgesamt einen viel höheren Nutzen hat als Stuhltests, aber auch einen signifikant höheren Nutzen als Sigmoidoskopien wie in Großbritannien mit etwa 30 Prozent Senkung der Karzinomrate bringt - aber besonders für welche Patientengruppen?
Eine methodische Schwierigkeit bei der Ermittlung positiver Effekte aus höherer Beteiligung am Koloskopie-Screening wurde kurz genannt: Das Problem der Kausalität einer bestimmten Variablen unter einer Mehrzahl anderer. Das würde hier etwa heißen: Wer zum Screening geht, wird häufiger als andere auch sonstige gesundheitsfördernde Dinge tun. Inwieweit wäre dann das Screening allein von Nutzen?
Abschließend wies der Moderator des zweiten Vortrags, Prof. Ansgar W. Lohse (UKE) auf das aktuelle Schwerpunktheft DÄ 6 (C S. 85ff.) hin, in dem zwei Originalstudien des DKFZ Heidelberg die Vorteile einer besseren Ausgestaltung des Screenings darlegen: persönliche Einladung sowie Einbeziehung der Männer schon ab 50 Jahre.
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, April 2017, Seite 34
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2017
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