Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

GERIATRIE/235: Demenz ist kein Tabuthema mehr, sorgt aber für große Ängste (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2011

Geriatrie
Demenz ist kein Tabuthema mehr, sorgt aber für große Ängste

Von Judith Eick


Demenz ist keine Frage der Einschätzung, sondern erfordert sorgfältige Diagnostik.


Jeder zweite Deutsche hat Angst vor Alzheimer. Eine von der DAK in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass von 3.000 Frauen und Männern 50 Prozent die größte Angst vor Demenz haben, wobei die Sorge bei den Frauen deutlich ausgeprägter war. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen war die Angst vor schweren Gedächtnis- und Orientierungsstörungen mit 60 Prozent fast so groß wie die Angst vor Krebs mit 63 Prozent.

Warum ist die Angst so auffallend groß? "Allein mit Blick auf die quantitative Seite der medialen Behandlung des Demenzthemas muss festgestellt werden, dass von einem Tabu im Sinne eines Totschweigens keineswegs gesprochen werden kann. Es wird über Demenz gesprochen und geschrieben - zumeist aber in einer Form, die sich an Defizitbildern orientiert und Stigmatisierung fördert", schreibt Peter Wißmann in seinem Beitrag "Demenz - ein soziales und zivilgesellschaftliches Phänomen" (Handbuch soziale Arbeit und Alter, 2010). Die Angst wird nicht nur durch ein verzerrtes Bild in der öffentlichen Wahrnehmung geschürt, sondern zusätzlich durch unsachlichen und leichtfertigen Umgang mit dem Begriff Demenz verstärkt.

"Das Krankheitsbild 'Demenz' erfordert eine ausführliche und saubere Diagnose", betont Dr. Marie-Luise Strobach, Ärztin im Flensburger Zentrum für Geriatrie. Diese braucht Zeit und Erfahrung. In Flensburg verteilt sich die Diagnostik auf zwei Tage, danach folgt die Ergebnisbesprechung. "Das Setting eines klinischen geriatrischen Zentrums, in dem ein multiprofessionelles Team aus Arzt, Neuropsychologe, Ergotherapeut unter Einbeziehung von Labordiagnostik und bildgebenden Verfahren beteiligt sind, ist nicht mit dem einer Hausarztpraxis zu vergleichen. Dafür hat der Hausarzt den großen Vorteil, seine Patienten oft über Jahre begleiten zu können und deren psychische Grundverfassung aus seinen Erfahrungswerten besser einschätzen zu können, als wenn wir den Menschen zum ersten Mal in einer für ihn fremden Umgebung kennen lernen", so Strobach. Wichtig ist die Abgrenzung demenzieller zu depressiven Erkrankungen (Stichwort Depressive Pseudodemenz). Auch Symptome eines Schlaganfalls und Schwerhörigkeit führen leicht zu Fehldiagnosen, weil sie die Testergebnisse verfälschen.

Die Diagnose ist oft eine Erleichterung für den Umgang mit dem demenziell veränderten Menschen, für Pflegepersonal und Angehörige. "Sie liefert eine hilfreiche Erklärung für z.B. auffälliges Verhalten. Dennoch ist der professionelle Umgang mit dem Patienten die Kernaufgabe", so die klinische Neuropsychologin Ursula Wendt. "Demente Menschen brauchen eine Umgebung, in der sie sich wahrgenommen und verstanden fühlen, und dies von allen Teammitgliedern, von der Stationshilfe bis zum Arzt. Dies erfordert eine veränderte hierarchische Struktur, in der auch Angehörige als Teammitglied verstanden werden. Der Umgang mit den Betroffenen stellt das Personal vor eine Herausforderung, da nicht die Patienten an den Stationsalltag angepasst werden können, sondern das Team sich an den Ressourcen der Betroffenen orientieren muss."

Erst wenn die Klarheit einer Diagnose eintritt, kann entsprechende Hilfe organisiert werden. Die meisten Geriatrischen Zentren bieten bei unklaren Fällen Unterstützung über ihre Demenz-Sprechstunden an. Das in Norderstedt ansässige Kompetenzzentrum Demenz der Alzheimergesellschaft Schleswig-Holstein zeigt zusätzlich zu den klinischen Zentren auch niedrigschwellige Informationsangebote auf. Hier können sich Betroffene und Angehörige beraten lassen, ob eine differenzierte Diagnostik gewünscht und sinnvoll ist und welche Konsequenzen mit der Diagnose der Demenzerkrankung verbunden wären. Bisher können Medikamente den Verlauf mildern oder verzögern, die Krankheit aber nicht heilen. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten, um mit der Erkrankung umzugehen und zu leben. (www.demenzsh.de).


*


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201109/h11094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


*


Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt September 2011
64. Jahrgang, Seite 26
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011