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NEUROLOGIE/678: Kein eindeutiger Beweis für "humanen chronischen Botulismus" - Stellungnahme der DGN (idw)


Deutsche Gesellschaft für Neurologie - 08.02.2012

Deutsche Gesellschaft für Neurologie - Kein eindeutiger Beweis für "humanen chronischen Botulismus"

Die Übertragung des bereits beim Rind seit zehn Jahren kontrovers diskutierten "chronischen Botulismus" auf den Menschen ist nicht nachgewiesen


Das Robert Koch-Institut als zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention verzeichnete in letzter Zeit vermehrte Anfragen zu "chronischem Botulismus" beim Menschen. Hintergrund sind Medienberichte, nach denen Menschen, die in landwirtschaftlichen Betrieben in Schleswig-Holstein und in Sachsen engen Kontakt zu an "chronischem Botulismus" erkrankten Rindern hatten, ähnliche neurologische Symptome wie die erkrankten Rinder aufwiesen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) nimmt hierzu Stellung.

Befördert durch eine 2009 veröffentlichte Übersichtsarbeit zum Thema Botulinum-Toxin1 (BT), wurde in den Berichten behauptet, die erkrankten Personen hätten sich durch Übertragung von Tier zu Mensch mit "chronischem Botulismus" angesteckt.2 In dieser Publikation von Dressler et al. wird von vier Personen berichtet, die zum Zeitpunkt des Auftretens ihrer Symptome in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Schleswig-Holstein gearbeitet hatten, dessen Rinderbestand von "chronischem Botulismus" betroffen war. Die Autoren diagnostizierten anhand der Symptome und bei Fehlen anderer Ursachen erstmals das Vorliegen eines "chronischen Botulismus" beim Menschen und sprechen von einem "neuen Krankheitsbild". Als mögliche Ursache der Symptome nennen sie entweder eine intestinale Besiedlung mit dem BT-produzierenden Bakterium Clostridium botulinum oder eine "kontinuierliche exogene Zufuhr von BT".

Wesentliche Kriterien für einen kausalen Zusammenhang fehlen

Vor diesem Hintergrund betont die DGN, dass bisher in keinem einzigen Fall das Vorliegen eines "humanen chronischen Botulismus" durch eine Erregerübertragung belegt ist. "Es wurden Analogien aus der Veterinärmedizin zur Humanmedizin gezogen, wenngleich in unabhängigen stichprobenartigen Stuhluntersuchungen der beiden humanen Patienten in verschiedenen Laboren, unter anderem im Robert Koch-Institut, kein Hinweis auf Botulinum-Neurotoxin oder das Bakterium Clostridium botulinum im Stuhl gefunden wurde", kommentiert der federführende Autor des Kapitels "Botulismus" der fünften Auflage der DGN-Leitlinien3, Prof. Dr. Erich Schmutzhard von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Derzeit sind wesentliche Kriterien für einen kausalen Zusammenhang (z.B. Kohärenz, Konsistenz, Spezifität, Stärke des Zusammenhangs) zwischen dem postulierten Krankheitsbild und einer Toxiko-Infektion aufgrund einer Besiedlung mit Clostridium botulinum bzw. einer kontinuierlichen exogenen Zufuhr von Botulinumtoxin nicht erfüllt.

Die entsprechende, von allen Koautoren mitgetragenen und nach Begutachtung freigegebenen Passage der neuesten DGN-Leitlinien lautet: "Das Syndrom eines humanen chronischen Botulismus bei Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, wird postuliert, ohne dass bisher ein eindeutiger Beweis für seine Existenz gelungen ist." Ob das Krankheitsbild des "chronischen Botulismus", das in der Veterinärmedizin seit mehr als zehn Jahren kontrovers diskutiert wird, auch bei Menschen, die in der Landwirtschaft in engem Rinder- bzw. Tierkontakt stehen, tatsächlich existiert und damit eine gesundheitspolitische Relevanz hätte, ist derzeit noch nicht bekannt.


Quellen

1. Dressler, Saberi, 2009
Botulinum Toxin: vom Medikament zum Toxin.
Fortschr Neurol Psychiat 77, Suppl. 1.

2. Z.B. Sendung "Report Mainz" (SWR) vom 11.10.2010:
"Botulismus: Die verharmloste Krankheit"
oder Frontal 21 vom 31.01.2012:
"Fleisch kranker Tiere im Handel".

3. On file.
Erscheint im Herbst 2012 im Thieme Verlag.



Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
E-Mail: presse@dgn.org
Pressesprecher: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Frank A. Miltner, 08.02.2012
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2012