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BILDUNG/1177: Der neue flexible Weg zum Facharzt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2019

Weiterbildung
Der neue flexible Weg zum Facharzt

von Dirk Schnack


Beratung über die neue Weiterbildungsordnung in der Kammerversammlung. Entscheidung Ende November. Vorstand spricht von einer "neuen Weiterbildungskultur".


Junge Ärzte in Schleswig-Holstein können sich auf eine neue Kultur in der Weiterbildung einstellen. Kommenden Monat verabschiedet die Ärztekammer Schleswig-Holstein voraussichtlich ihre neue Weiterbildungsordnung. Ein erstes Stimmungsbild nach einer Diskussion über das umfangreiche Werk in der Kammerversammlung zeigte die Tendenz, wesentliche Bestandteile der Musterweiterbildungsordnung auf Bundesebene im Norden zu übernehmen. Das bedeutet: Die Weiterbildungsordnung wird flexibler und kompetenzorientiert, die vermittelten Inhalte sind wichtiger als Richtzahlen.

Die Ärzte in Weiterbildung bekommen u. a. einen verbrieften Anspruch auf bestimmte Leistungen, können mehr Zeiten ambulant erbringen und sich auf ein elektronisches Logbuch stützen. Verbunden ist diese Entwicklung mit noch höherer Verantwortung der Weiterbildungsbefugten. Zugleich setzt die Ärztekammer darauf, dass sich in den Krankenhäusern und großen Praxen "Kümmerer" für die Weiterbildung herausbilden und die jungen Ärzte damit besser durch die in der Regel fünfjährige Zeit begleiten.

Wie die Weiterbildungsordnung in Schleswig-Holstein konkret aussehen wird, entscheidet die Kammerversammlung am 27. November. Anschließend wird die Ärztekammer die Neuerungen in den großen Krankenhäusern und Weiterbildungspraxen vor Ort vorstellen und die wichtigsten Inhalte erläutern.

Der neuen Weiterbildungsordnung waren jahrelange Beratungen auf Bundesebene vorangegangen. Schleswig-Holsteins Ärztekammer-Präsident Dr. Henrik Herrmann ist überzeugt, dass sich die intensive Vorarbeit gelohnt hat. Er wird sich für die Weiterbildung künftig in neu gewählter Funktion als einer der beiden Vorsitzenden der Weiterbildungsgremien auf Bundesebene einsetzen.


Neue Weiterbildungskultur ante portas

Diskussion über neue Weiterbildungsordnung in Schleswig-Holstein. Meinungsbild für Beschlussvorlage abgefragt. Sachliche Diskussion über Abweichungen von der Musterweiterbildung.


Sie ist eines der wichtigsten Regelwerke für Mediziner in Deutschland überhaupt: die Weiterbildungsordnung. Sie legt fest, auf welcher Grundlage sich Ärzte zu Fachärzten weiterbilden lassen, und bestimmt damit den Rahmen, in dem sich junge Ärzte und die Weiterbildungsbefugten bewegen. In den vergangenen Jahren hatten sich die Stimmen gemehrt, die eine Überarbeitung dieses Rahmens für überfällig hielten. "Wir brauchen eine neue Weiterbildungskultur", fordert auch Dr. Henrik Herrmann - nicht erst, seit er Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein ist.

Nach jahrelanger Arbeit an der inzwischen verabschiedeten Musterweiterbildungsordnung auf Bundesebene rückt nun die neue Weiterbildungsordnung für Schleswig-Holstein in Sichtweite. Die Ärztekammer arbeitet seit Monaten mit Hochdruck an der neuen Weiterbildungsordnung auf Landesebene. Über den aktuellen Stand informierte Herrmann die Delegierten der Kammerversammlung im September - Gelegenheit für alle, um über strittige Punkte zu diskutieren, Änderungswünsche einzubringen und ihre Positionen zu vertreten. Das aus der Diskussion entstandene Meinungsbild hilft nun bei der Erarbeitung der endgültigen Beschlussvorlage für die Kammerversammlung am 27. November. Dann entscheiden die Delegierten über die neue Weiterbildungsordnung und werden - wie Herrmann es ausdrückte - "den Schalter umlegen" für die von vielen Ärzten erhoffte neue Weiterbildungskultur.

Wie die neue Weiterbildungsordnung am Ende konkret aussehen wird, darüber wird die Ärztekammer nach Verabschiedung in ausgewählten Krankenhäusern und großen Weiterbildungspraxen vor Ort informieren und damit das Versprechen der "aufsuchenden Kammer" einlösen.

Voraussetzung für die Neuerungen ist die neue Musterweiterbildungsordnung (MWBO) auf Bundesebene. Diese ist kompetenzbasiert und flexibel, Inhalte sind wichtiger als Zeiten. Die zu erwerbenden Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten sind dort aufgeteilt in kognitive und Methodenkompetenzen sowie in Handlungskompetenzen. Neu ist in der MWBO u. a.:

  • Richtzahlen sind in der Handlungskompetenz nur noch teilweise vorgeschrieben. Die Weiterbildungsassistenten haben einen verbrieften Anspruch auf bestimmte Leistungen.
  • Die Mindestdauer für einen Weiterbildungsabschnitt beträgt nur noch drei statt vorher sechs Monate.
  • Stationäre Zeiten sind nur noch dort festgelegt, wo sie zwingend erforderlich sind. Eine ambulante Begrenzung gibt es dagegen grundsätzlich nicht mehr, diese soll sich aus den Inhalten ergeben.
  • Für die Dokumentation wird ein elektronisches Logbuch eingeführt.
  • Für Weiterbildungsbefugte gibt es künftig verpflichtende Schulungen.
  • Für die Allgemeinmedizin sind 24 Monate hausärztliche Versorgung und ein Jahr Innere Medizin in der stationären Akutversorgung, aber keine verpflichtende chirurgische Zeit mehr vorgeschrieben.

Dies sind nur Auszüge und Herrmann stellte klar, dass allein die Kammerversammlung bestimmt, wie die Weiterbildungsordnung auf Landesebene aussehen wird: "Sie sind der Souverän." Fest steht aber, dass zu große Abweichungen von der MWBO Folgen insbesondere für die Ärzte in Weiterbildung haben. Die bilden sich in zunehmendem Maße in verschiedenen Bundesländern weiter. Je größer die Abweichungen zwischen den Weiterbildungsordnungen dieser Bundesländer, umso schwerer macht man es den angehenden Fachärzten. Deutlich wird dies zum Beispiel bei den Richtzahlen. Wechselt ein Weiterbildungsassistent aus einem Bundesland, das eine Richtzahl aus einem Abschnitt der MWBO übernommen hat, in ein Bundesland, das diese Richtzahl nach oben gesetzt hat, kann dies unter Umständen negative Folgen haben: Einem Arzt, der diesen Abschnitt zuvor schon absolvierte hatte, kann damit neuen Bundesland unter Umständen eine Verlängerung der Weiterbildungszeit drohen. Für die Ärztekammer mit der nach oben abweichenden Richtzahl wiederum kann dies bedeuten, dass der Arzt sich für ein anderes Bundesland entscheidet.

Die von Herrmann moderierte Diskussion zu den einzelnen Abschnitten der MWBO und den in Schleswig-Holstein gewünschten Änderungen zeigte, welche Themen die Ärzte am meisten bewegen. Ein zentraler Diskussionspunkt war die Reduzierung von Richtzahlen und von festgelegten Zeiten in Kliniken. Für die Delegierte Katja Reisenbüchler folgt aus der Abkehr von den Richtzahlen, dass man den Weiterbildungsbefugten mehr Vertrauen entgegenbringen müsste. "Worauf basiert dieses Vertrauen?", fragte Reisenbüchler und verwies in diesem Zusammenhang auf das Risiko falsch bescheinigter Kompetenzen.

Mehrere Delegierte brachten außerdem Beispiele von Inhalten aus ihren Fächern, die nach ihrer Ansicht nicht ausschließlich ambulant vermittelbar sind. Herrmann stellte klar, dass genau diese Inhalte auch weiterhin in der Klinik vermittelt werden können. Festgelegt werden muss dies jedoch nicht. Die Ärzte in Weiterbildung werden dort ihre Abschnitte absolvieren, wo sie die Inhalte vermittelt bekommen. Dr. Svante Gehring aus dem Vorstand der Ärztekammer verwies in diesem Zusammenhang auf den Wunsch, dass Sektorengrenzen eine geringere Rolle spielen sollen als früher - dies müsse sich auch in der Weiterbildungsordnung abbilden. "Wir brauchen diese neue Denke. Es ist eine Leistung der Landesärztekammer, wenn wir diesen modernen Blick auf die Weiterbildung bekommen", warb Gehring für den Abbau der festgeschriebenen stationären Zeiten.

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Info

Kompetenzbasiert und flexibel, Inhalte sind wichtiger als Zeiten: Diesen Grundsätzen folgt die neue Musterweiterbildungsordnung.
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Auf die Fragen der Delegierten Erik Voges und Reisenbüchler zu Überprüfungen und zu möglichen Sanktionen für Weiterbildungsbefugte, die nicht erworbene Kenntnisse bescheinigen, stellte Herrmann klar: "Wir setzen darauf, dass sich Ärzte in Weiterbildung, denen so etwas passiert, bei uns melden."

Außerdem sollen sich in den Abteilungen "Kümmerer" herausbilden, die sich vor Ort für die Belange der Ärzte in Weiterbildung einsetzen und dafür sorgen, dass auch tatsächlich das vermittelt wird, was in der Weiterbildungsordnung vorgeschrieben ist. "Wir werden dann zunächst auf Gespräche setzen. Wir wollen keine Polizei sein", sagte Herrmann. Sollte dieser Weg nicht erfolgreich sein, stehen der Kammer Sanktionsmöglichkeiten für die Weiterbildungsbefugten zur Verfügung. Zur Anregung des Delegierten Hans-Henning Harden, neben den Kompetenzen auch die "Weiterbildungspower" einer Klinikabteilung zu überprüfen, verwies Herrmann auf die in Schleswig-Holstein schon eingeführte Höchstzahl von zehn Ärzten in Weiterbildung, die pro Weiterbildungsbefugtem in einer Abteilung beschäftigt werden dürfen.

Konstruktiv diskutiert wurde auch über die geplanten Änderungen für die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Künftig sollen von den 60 Monaten 24 in der ambulanten hausärztlichen Versorgung abgeleistet werden, zwölf Monate Innere Medizin in der stationären Akutmedizin und weitere sechs Monate in mindestens einem anderen Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung. Das heißt: 42 Monate in der hausärztlichen Praxis wären für die Ärzte in Weiterbildung möglich, mindestens 24 Monate sind obligat. Dass dies in Schleswig-Holstein außer bei Fachärzten für Allgemeinmedizin auch bei hausärztlich tätigen Internisten möglich sein wird, begrüßte u. a. Allgemeinmediziner Mark Weinhonig aus dem Vorstand der Ärztekammer. Pro und Contra tauschten die Delegierten zur Frage aus, ob die chirurgische Zeit wie von der Kammer vorgeschlagen künftig nur noch fakultativ sein soll. Der Delegierte Dr. Christian Hirschner warb für eine Beibehaltung der obligaten sechs Monate, weil er dies als Basiswissen für Allgemeinmediziner betrachtet. Die Delegierte Karen Hartwig dagegen berichtete aus ihrem hausärztlichen Alltag: "Ich mache hauptsächlich HNO und Orthopädie, aber verschwindend wenig Chirurgie." Die Mehrzahl der Delegierten zeigte beim abgefragten Meinungsbild, dass die Chirurgie-Zeit in der Beschlussvorlage nach ihrer Ansicht nur fakultativ aufgenommen werden sollte, was nichts daran ändert, dass die chirurgischen Inhalte vermittelt werden müssen.

Ein besonderer und mit Spannung erwarteter Punkt war die Diskussion zur Frage, ob die Homöopathie auch künftig Bestandteil der Weiterbildungssystematik bleiben soll. Weil es schon im Vorwege viele Diskussionen zu diesem Punkt gegeben hatte, stellte Herrmann, der die Diskussion hierzu moderierte, fest: Es ist eine Versorgungsrealität vorhanden. Jeder Arzt kann weiterhin homöopathisch tätig sein. "Es geht ausschließlich um die Weiterbildung." Und er legte Wert auf die Feststellung, dass der Vorstand im Vorwege keinerlei Druck auf Delegierte ausgeübt habe und den Beschluss der Kammerversammlung selbstverständlich respektieren werde: "Die Kammerversammlung soll entscheiden."

Der Vorstand hatte sich im Vorwege ausführlich und über einen langen Zeitraum mit dem Thema beschäftigt und einstimmig das nachstehend abgedruckte Positionspapier (Seite 9) verabschiedet, das den Kammerversammlungsmitgliedern zur Vorbereitung der Sitzung zugegangen war.

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900 Seiten an Informationen stehen den Kammerdelegierten für die Änderungen an der Weiterbildungsordnung zur Verfügung. Das Meinungsbild zu den wichtigsten Änderungen wurde am 4. September abgefragt. Am 27. November entscheiden die Delegierten.
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In der Kammerversammlung selbst verlief die Diskussion in professioneller und sachlicher Weise, auch wenn einzelne Kammerversammlungsmitglieder und Gäste ihrer Betroffenheit ob der Überlegungen zur Nichtwiederaufnahme der Homöopathie in die Weiterbildungsordnung der schleswig-holsteinischen Ärzteschaft Ausdruck verliehen. So wurde zunächst Kritik am zitierten Münsteraner Kreis geäußert: Es handele sich ausschließlich um Medizintheoretiker und Forscher fern der Versorgungsrealität. Allerdings hatte eine schleswigholsteinische Delegation den Münsteraner Kreis im Mai 2019 vor Ort kennenlernen dürfen. Demnach repräsentieren die neun Ärzte der 19 Autoren des Münsteraner Memorandums die Fächer Innere, Onkologie, Allgemeinmedizin, Geriatrie und Alternativmedizin. Ferner gehört ein Zahnarzt ebenso dazu wie Philosophen, Medizinethiker sowie ein Biologe und Juristen. Im Gespräch mit immerhin sechs der Autoren habe der wissenschaftstheoretische Ansatz zwar im Vordergrund gestanden, der Praxisbezug sei aber stets spürbar präsent gewesen.

Als weiteres Missverständnis konnte die mehrfach geäußerte Behauptung geklärt werden, der Deutsche Ärztetag habe (insbesondere 2018) einen Verbleib der Homöopathie in der Weiterbildungsordnung beschlossen. Das Thema ist gemäß Wortprotokoll auf den letzten drei Ärztetagen nicht angesprochen worden (vgl. baek.de / Deutsche Ärztetage).

Insbesondere einige Gäste der Kammerversammlung, aber auch vereinzelte Delegierte, vertraten hierzu eine konträre Auffassung, verwiesen auf den bestehenden Bedarf bei den Patienten, auf Studien und beklagten eine fehlende Lobby.

Darüber hinaus befürchten sie auch finanzielle Nachteile für homöopathisch tätige Ärzte. Die Delegierte Dr. Regina Sternfeldt erwartet, dass die Krankenkassen bestehende IV-Verträge kündigen könnten. Als Folge werden sich nach ihrer Erwartung viele Menschen die Homöopathie nicht mehr leisten können und deshalb darauf verzichten. Sie kritisierte einen nach ihrer Ansicht zu beobachtenden Weg in Richtung "Algorithmus-Medizin". Auch Neurochirurg Dr. Volker Klotz-Regener aus Flensburg warnte davor, sich immer mehr der Evidence Based Medicine zu beugen. Nach Wahrnehmung von Anja Hölscher, Fachärztin für Allgemeinmedizin aus Neumünster, werden Erkenntnisse aus der Homöopathie in den vergangenen Jahren verstärkt "vom Tisch gewischt".

Für andere Delegierte wie etwa für den Allgemeinmediziner Dr. Daniel Lohmann aus Preetz ist Evidenz dagegen der zentrale Punkt - und dafür fehlen ihnen bei der Homöopathie die Belege. Dr. Anouchka Nazarenus sagte: "Was sind die Argumente der Befürworter für einen Verbleib in der Weiterbildungsordnung? Es gibt ein Fachorgan, das eine qualitativ hochwertiges Diplom anbietet. Andere Fachrichtungen haben auch eigenständige Organisationen." Der Pädiater Dr. Alexander Gick stellte fest: "Es geht nicht darum, ob die Homöopathie gut oder schlecht ist, sie ist nicht evidenzbasiert."

Deutlich wurde, dass es dem Vorstand auch um die Wahrung der Glaubwürdigkeit gegenüber Vertretern anderer Verfahren wie etwa ayurvedische oder traditionelle chinesische Medizin, denen eine Aufnahme in die Weiterbildungsordnung versagt wurde, geht. Der Vorstand steht weiterhin zu seinem Positionspapier, Entscheidungen fallen im November.

Fest steht, dass Schleswig-Holstein mit dem im November abzustimmenden Schritt nicht die erste Landesärztekammer in Deutschland wäre, die diesen Weg einschlägt. Wenige Tage nach der Diskussion in der Kammerversammlung in Bad Segeberg beschloss die Ärztekammer Bremen eine Weiterbildungsordnung ohne die Zusatzbezeichnung Homöopathie.

Im Bericht des Präsidenten ging Herrmann auf ausgewählte Gesetzesvorhaben des Bundesgesundheitsministeriums ein. Eines der aus seiner Sicht wichtigsten: Der Gesetzentwurf zur doppelten Widerspruchslösung, zu dem der Ausgang der parlamentarischen Debatte offen ist. Herrmann erinnerte daran, dass sich der Deutsche Ärztetag eindeutig für die doppelte Widerspruchslösung ausgesprochen hat. Er selbst unterstützt diesen Paradigmenwechsel, sieht ihn aber nur als einen Mosaikstein zur Verbesserung der Organspende. Herrmann ist überzeugt, dass allein schon die Debatte um neue Lösungen, die das Thema vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hat, der Organspende nutzt. Klar ist für ihn aber auch die wichtige Rolle der Ärzte in dieser Frage: "Es liegt insbesondere an uns, der Ärzteschaft."

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Im Sozialgesetzbuch V ist die Homöopathie im Gesetzestext als Therapie nicht im engeren Sinn festgeschrieben, sondern lediglich wie folgt erwähnt: "Bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapieeinrichtungen wie homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimitteln ist der besonderen Wirkungsweise dieser Arzneimittel Rechnung zu tragen."
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Zur Diskussion um die Zahl der Krankenhausstandorte in Deutschland - ausgelöst durch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung - warnte Herrmann davor, die Schlussfolgerungen auf jede Region zu übertragen. "Unbestritten haben wir zu viele Akutkrankenhäuser, insbesondere in den Metropolregionen, hier sind Fusionen und Schließungen indiziert. Doch Köln und Umland ist nicht überall", so Herrmann. Er erinnerte daran, dass gerade Schleswig-Holstein auch kleinere stationäre Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge vor Ort für gleichwertige Lebensverhältnisse benötigt. "Wir brauchen regionale Lösungen für eine flächendeckende Versorgung, sektorenverbindend gemeinsam von niedergelassenen und stationär tätigen Ärzten", so der Präsident.

Ein anderer Entwurf des Ministeriums zur Einrichtung Integrierter Notfallzentren (INZ) in Krankenhäusern wird ebenfalls bereits diskutiert und stellt einen Paradigmenwechsel dar. Überlegt wird, die INZ mit standardisierter Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs gemeinsam von KVen und Krankenhäusern betreiben zu lassen. Festgelegt werden sollen die Standorte über die Landeskrankenhausplanung. Rettungsdienst und Sicherstellungsauftrag der KV wären berührt und sollen laut Entwurf neu ausgerichtet werden. Herrmann sieht darin eine Abkehr von der Subsidiarität und verwies darauf, dass viele Bundesländer diesen Entwurf kritisch sehen. "Es wird sich im weiteren politischen Prozess einiges noch ändern", ist seine Erwartung. Fest steht für ihn: Die in Schleswig-Holstein erwarteten maximal 15 INZ müssen sorgfältig geplant und ausgestaltet werden. Unabdingbar bleibt aus seiner Sicht: "Es geht nur gemeinsam und im Konsens."

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ZUSATZ-WEITERBILDUNG HOMÖOPATHIE AUF DEM PRÜFSTAND

Der Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein hat im Februar 2019 einstimmig beschlossen, die weitere Aufnahme der Zusatz-Weiterbildung Homöopathie in die Weiterbildungsordnung kritisch zu hinterfragen und in der Kammerversammlung zur Abstimmung zu stellen. Dieser Beschluss wurde offengelegt und Vertretern der Homöopathie zeitnah kommuniziert.

Dieser Vorstandsbeschluss gründet auf folgenden Argumenten:

Die Akzeptanz der Homöopathie in der Bevölkerung ist vorhanden, die homöopathischen Angebote von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von anderen Berufsgruppen werden wahrgenommen. Die Entwicklung der Inanspruchnahme ist schwer abzuschätzen. Die Anzahl der homöopathisch tätigen Ärztinnen und Ärzte nimmt seit 2015 um durchschnittlich 2% pro Jahr ab. In Schleswig-Holstein wurden 2017 und 2018 keine Anträge und Prüfungen zur Zusatzweiterbildung Homöopathie vorgenommen. Die von der Akademie der Ärztekammer angebotenen Homöopathiekurse mussten mehrfach mangels Beteiligung abgesagt werden. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), in dem viele homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte organisiert sind, umfangreiche Kurse selber anbietet.

Die Homöopathie sieht sich als integrativer Ansatz in der Medizin mit folgender Grundlage (siehe MWBO 2018): "Philosophische, wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen der homöopathischen Lehre, Therapieansatz der Homöopathie und Verständnis von Krankheit und Gesundheit". Die Definition in der MWBO lautet: "Die Zusatz-Weiterbildung Homöopathie umfasst in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die konservative Behandlung mit homöopathischen Arzneimitteln, die aufgrund individueller Krankheitsanzeichen als Einzelmittel nach dem Ähnlichkeitsprinzip angewendet werden."

Für eine Wirksamkeit der in der Definition hinterlegten konservativen Behandlung mit homöopathischen Mitteln fehlen nach wie vor wissenschaftliche Nachweise. Bereits 1957 hat sich die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) dahingehend geäußert: "Die Beurteilung des therapeutischen Wertes homöopathischer Mittel erfolgt also nach wesentlich anderen Gesichtspunkten, als sie bei der Erarbeitung der Stellungnahmen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft ausschlaggebend sind. Die Arzneimittelkommission hat daher aus grundsätzlichen Überlegungen heraus beschlossen, künftig nicht mehr zu dem therapeutischen Wert von homöopathischen Mitteln bzw. von solchen zusammengesetzten Präparaten Stellung zu nehmen". Diese Position wurde 1998 in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt mit dem Titel: "Außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehende Methoden der Arzneimitteltherapie" nochmals bestätigt, das Grundsatzpapier der AkdÄ dazu wurde auf einer diesbezüglichen Presseveranstaltung der Bundesärztekammer thematisiert. Nachfolgend kam es zu einer erwarteten ausgeprägten Diskussion darüber, als deren Folge wohl der Arbeitskreis "Pluralismus in der Medizin" gegründet wurde, an dem auch der damalige Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dietrich Hoppe, teilgenommen hat. Die bislang vorgebrachten Studien konnten keine nachvollziehbare Evidenz der homöopathischen Mittel erbringen, weil Arzneimittel verwendet werden, die jenseits der Avogadrischen Zahl verdünnt sind. Deswegen muss die Gabe homöopathischer Mittel aus Sicherheitsgründen nicht von Ärztinnen und Ärzten ausgeführt werden, sondern kann von nichtärztlichen Berufsgruppen betrieben werden. Im Sozialgesetzbuch V ist die Homöopathie im Gesetzestext als Therapie nicht festgeschrieben, sondern lediglich wie folgt erwähnt: "Bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapieeinrichtungen wie homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimitteln ist der besonderen Wirkungsweise diese Arzneimittel Rechnung zu tragen." Wirksamkeit und Effekt der Homöopathie sind im Zusammenhang mit einer ärztlichen Betreuung gegeben, das heißt, der "an sich unwirksamen, aber für wirksam gehaltenen Medikation" kommt sehr wohl eine Bedeutung zu. Dies ist ein Erfolg der "sprechenden" Medizin, die jenseits der Evidenz und von randomisierten Studien unzweifelhaft einen sehr hohen Stellenwert hat. Dies bezieht sich jedoch nicht allein auf die Homöopathie, sondern gilt ohnehin für jedes Gebiet der Medizin und darüber hinaus für weitere integrativ-komplementäre Angebote außerhalb der Weiterbildungssystematik wie anthroposophische Medizin, ayurvedische Medizin, traditionelle chinesische Medizin etc. Die Ärztekammer Schleswig-Holstein unterstützt diesen nicht evidenzbasierten Ansatz der "sprechenden" Medizin ausdrücklich und erachtet ihn für wichtig. Die Unterstützung gilt für die homöopathisch tätigen wie für alle anderen Ärztinnen und Ärzte, die diesen Ansatz neben der wissenschaftlichen Medizin vertreten.

Im Heilberufekammergesetz Schleswig-Holstein ist in § 33 "Bestimmung der Bezeichnung" hinterlegt: "(1) Gebiets-, Teilgebiets- und Zusatzbezeichnungen bestimmen die Kammern für ihre Kammermitglieder, wenn dies im Hinblick auf die wissenschaftliche Entwicklung und eine angemessene gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung oder des Tierbestandes durch Kammermitglieder erforderlich ist.(2) Bezeichnungen nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht mehr gegeben sind". Im Rahmen der Zusatz- Weiterbildung Homöopathie ist mit Sicherheit die angemessene gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gegeben, diese Leistungen werden nachgefragt und stellen eine Therapie dar, die auch Ärztinnen und Ärzte wo geboten einsetzen sollen. Die wissenschaftliche Entwicklung dagegen ist auch nach Jahrzehnten nicht gegeben, es ist somit gerechtfertigt, kritisch zu hinterfragen, aus welchen Überlegungen heraus die Homöopathie in die Weiterbildungsordnung aufgenommen werden konnte. In den letzten Monaten hat bereits in unserem Kammerbereich eine Diskussion dazu stattgefunden, welche die Argumente weiter präzisiert hat und z. B. auch Abrechnungseinschränkungen infolge entsprechender Entscheidungen eindeutig ausräumen konnte.

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Um 2 % sinkt die Zahl der homöopathisch tätigen Ärzte pro Jahr bundesweit seit 2015.

Die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei den von der Akademie der Ärztekammer angebotenen Homöopathiekursen lag bei 10. Mehrfach mussten Kurse wegen zu geringer Zahlen abgesagt werden.

0 Anträge zum Erwerb der Zusatzqualifikation Homöopathie wurden in den Jahren 2017 und 2018 in Schleswig-Holstein gestellt.
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Aufgrund der genannten Argumente schlägt der Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein auch nach erneuter eingehender Beratung in seiner Sommerklausur der Kammerversammlung mit einstimmigem Votum vor:

  • Ergebnisoffene Diskussion und Beschlussfassung am 27. November 2019, ob die Zusatz-Weiterbildung Homöopathie in die Weiterbildungssystematik wieder aufgenommen werden soll.
  • Bei Nichtaufnahme wird die weitere Ausgestaltung der Qualitätsanforderungen außerhalb der ärztlichen Weiterbildungsordnung in die Hände der homöopathisch tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie z.B. der Fachgesellschaft (DZVhÄ) gegeben, deren bestehendes Diplom über die Anforderungen der Weiterbildungsordnung hinausgeht.
  • Entsprechende Qualifikationsnachweise z.B. des DZVhÄ können mit dem entsprechenden Zusatz geführt und angekündigt werden, bisher erworbene Zusatzbezeichnungen Homöopathie behalten ihre Gültigkeit.
  • Abrechnungsveränderungen ergeben sich daraus nicht, da es sich um eine Weiterbildungsordnung handelt und nicht um eine Gebührenordnung.

22. Juni 2019 / Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Kammerpräsident Dr. Henrik Herrmann bei seinem Bericht des Präsidenten. Er warf einen Blick auf die wichtigsten Gesetzesvorhaben aus dem Bundesgesundheitsministerium und auf Entwicklungen im Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein. Später moderierte Herrmann den Austausch über die geplante neue Weiterbildungsordnung, um dem Vorstand für dessen Beschlussvorlage ein Meinungsbild zu verschaffen. Nach Umsetzung wird die Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer vor Ort in den Krankenhäuser und großen Weiterbildungspraxen informieren.

- Das Meinungsbild zu verschiedenen Fragen der neuen Weiterbildungsordnung wurde mehrfach abgefragt. Mark Weinhonig sprach sich dafür aus, dass auch hausärztliche Internisten angehende Allgemeinmediziner ausbilden. Dr. Svante Gehring begrüßte, dass die Sektoren bei der Wahl der Weiterbilungsstätte künftig eine geringere Rolle spielen.

- Für die Kammerdelegierte Katja Reisenbüchler aus Dithmarschen folgt aus der Abkehr von Richtzahlen, dass man den Weiterbildungsbefugten mehr Vertrauen entgegen bringt - oder sie stärker kontrolliert. Dr. Christian Hirschner (unten) wünscht sich, dass die chirurgischen Zeiten in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin obligat bleiben.

- Kontrovers, aber sachlich verlief die Diskussion über die Homöopathie. Dr. Anouchka Nazarenus (links) fragte nach den Argumenten, die Homöopathie in der Weiterbildungsordnung zu belassen. Die Kammerdelegierte Dr. Regina Sternfeldt trat dafür ein, dass die Homöopathie weiterhin Zusatzweiterbildung bleibt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201910/h19104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Oktober 2019, Seite 1 + 6 - 10
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2019

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