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BILDUNG/1188: Neue ärztliche Weiterbildungsordnung für Schleswig-Holstein verabschiedet (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2020

Weiterbildung
Keine Euphorie, aber Hoffnung auf Fortschritte

von Dirk Schnack


Die neue Weiterbildungsordnung ist verabschiedet - andere Probleme bestehen noch. Besonders der ökonomische Druck in den Kliniken wird vor Ort als Hürde betrachtet.


Schleswig-Holstein bekommt eine neue Weiterbildungsordnung (WBO), mit der große Hoffnungen verknüpft sind. Die Ärztekammer setzt darauf, dass das elektronische Logbuch, Train-the-Trainer-Kurse und die Neuausrichtung auf Inhalte statt Zeiten zu einer neuen Weiterbildungskultur führen, von der insbesondere die Ärzte in der Weiterbildung profitieren werden.

Für die Weiterbildungsbefugten bedeutet das noch mehr Verantwortung. Wer zur Weiterbildung befugt wird, sollte dies nach Ansicht von Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, wieder stärker als eine Auszeichnung und weniger als lästige Pflicht betrachten.

Wie wichtig die neue WBO ist, zeigt die derzeitige Stimmung in den Krankenhäusern und Praxen. Für manche Fachrichtungen wird es finden. So berichtet etwa der Praxisverbund MedBaltic von Ärzten in der Weiterbildung zur Allgemeinmedizin, für das Spezialgebiet des Verbandes, die Orthopädie und Unfallchirurgie, gebe es dagegen kaum Nachfrage. Auch Krankenhäuser bestätigen ein abnehmendes Interesse an einigen Fächern. Das ist aber nicht das einzige Problem: Der ökonomische Druck in den Kliniken erschwert es, die notwendigen Ressourcen für die Weiterbildung vorzuhalten. "Es sind nicht nur die Inhalte der Weiterbildung, sondern die Verdichtung der Arbeit, die Vermehrung der Bürokratie, die damit einhergehende Unattraktivität des Berufes und die sich daraus ergebende Instabilität der Dienstpläne", sagt etwa PD Dr. Ivo Heer, Ärztlicher Direktor des FEK Neumünster. Sein Kollege Prof. Andreas Schuchert sieht die personellen Kapazitäten, die Weiterbildung erfordert, im Fallpauschalensystem nicht abgebildet. PD Dr. Ronald Elfeldt nennt den "chronischen Personalmangel in den Kliniken" als Hindernis.


Knappe Ressourcen erschweren Umsetzung

Hoher Stellenwert in Praxen und Kliniken. Nicht in jedem Fall ausreichendes Interesse. Ökonomischer Druck wirkt sich nachteilig aus. Digitalisierung lässt Ärzte auf Entlastung hoffen.


Nicht nur für die Ärztekammer Schleswig-Holstein, auch für die Arztpraxen und Krankenhäuser im Land hat die Weiterbildung einen hohen Stellenwert, ist im Arbeitsalltag aber auch mit Aufwand und Hürden verbunden. Erfreulich: Die meisten betonen, dass sie gerne Ärzte in der Weiterbildung beschäftigen und zum Facharzt begleiten.

Nicht immer aber ist das Interesse an den Fächern vorhanden, die für die jeweilige Praxis oder Klinik im Vordergrund stehen. So bewerben sich etwa bei der ortsübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft MedBaltic, die an acht Standorten in Schleswig-Holstein orthopädisch und chirurgisch tätig ist, vorwiegend Ärzte, die den Facharzt für Allgemeinmedizin anstreben. "Das Interesse an unserem Fachbereich ist nur gering", bedauert Dr. Marc Koch von der MedBaltic. Der Verbund bietet zwar das gesamte operative Spektrum der Orthopädie und Unfallchirurgie an und würde auch gerne Ärzte weiterbilden, die in dieser Fachrichtung arbeiten möchten - die Nachfrage aber ist derzeit kaum vorhanden. Doch auch die angehenden Allgemeinmediziner sind willkommen: "Wir halten es für notwendig und sinnvoll, in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung tätig zu sein", sagt Koch. Die finanzielle Förderung für die Weiterbildung hält er jedoch auch künftig für unerlässlich.

Auch die Antworten aus den Krankenhäusern auf Fragen des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes zur Weiterbildung zeigen, dass die Bedeutung der Weiterbildung in den meisten Einrichtungen erkannt wurde.

Welchen Stellenwert hat die Weiterbildung für die Zukunft Ihrer Klinik?

Das Klinikum Itzehoe betrachtet es laut Gunda Dittmer, Leiterin Personalmanagement, als seine "Pflicht, eine gute Weiterbildung zu gewährleisten". Prof. Stephan Timm, Ärztlicher Direktor des Flensburger Malteser Krankenhauses, hält Weiterbildung für einen "essenziellen und unabdingbaren Bestandteil für die aktuelle und künftige Entwicklung". Geschäftsführer Alfred von Dollen aus dem Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) in Neumünster bezeichnete es als "existenziell notwendig, eine gute Weiterbildung für den ärztlichen Nachwuchs anzubieten". Das Ameos Klinikum betonte, dass eine gute Versorgung nachhaltig nur zu gewährleisten ist, "wenn wir unsere jungen Ärzte auf hohem Niveau selber ausbilden können und wir so einen Teil unseres eigenen fachärztlichen Nachwuchses generieren". Das gilt auch für das Westküstenklinikum. "Weiterbildung sichert unseren Fachkräftebedarf für die Zukunft", sagt der kaufmännische Geschäftsführer Dr. Bernward Schröder.

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Info

Das Klinikum Itzehoe beschäftigt rund 180 Ärzte in der Weiterbildung, Flensburg rund 25, Ameos 49 und das Westküstenklinikum rund 140. An den Westküstenkliniken haben 33 Ärzte eine Weiterbildungsbefugnis, Ameos beschäftigt vier für die Neurologie und zwölf für die psychosozialen Fächer. In Flensburg haben 34 Ärzte eine Weiterbildungsbefugnis.
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Nehmen Sie gesteigertes Interesse an der Weiterbildung in Ihrer Klinik wahr?

Im Klinikum Itzehoe ist das Interesse "in diversen Bereichen weiterhin hoch", aber dieses Bild ist uneinheitlich. Geringes Interesse nimmt Itzehoe etwa an der Weiterbildung zum Facharzt Psychiatrie wahr. Im Flensburger Klinikverbund aus Malteser und Diako ist die Zahl der Ärzte in der Weiterbildung in den vergangenen Jahren gestiegen. Aber auch hier gilt: In einigen Disziplinen spürt man ein tendenziell vermindertes Interesse. Das FEK spürt zwar kein abnehmendes Interesse, von Dollen sagt aber auch: "Richtig ist, dass es immer schwieriger wird, die Stellen zeitnah zu besetzen." Ameos und die Westküstenkliniken vermelden dagegen ein steigendes Interesse.

Was macht die Weiterbildung an Ihrer Klinik interessant?

Itzehoe nennt das breite medizinische Spektrum und die kompletten Weiterbildungsbefugnisse. Als Plus führt das Klinikum flache Hierarchien, Mentorenprogramme und Unterstützungsangebote zu überfachlichen Themen wie Gesprächsführung, Präsentation und Projektmanagement an - neben einem "konstruktiven Betriebsklima". Flensburg punktet mit dem Schwerpunktkrankenhaus und seiner überregionalen Bedeutung. Daneben nennt Flensburg das breite Spektrum, hochspezialisierte Zentren und die "volle Weiterbildungsbefugnis auf höchstem Niveau". Neumünster nennt das breite medizinische Leistungsangebot, auch das FEK kann "nahezu durchgängig für die gesamte Weiterbildungszeit die Weiterbildung anbieten". Ameos bietet Weiterbildungen für die Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie und Psychosomatik an. Zum Teil bestehen laut Klinikträger an den sieben Standorten in Schleswig-Holstein "einzigartige Weiterbildungsangebote, zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen wie Huntington oder im Kompetenzzentrum für Menschen mit geistiger Behinderung mit psychiatrischen Problemen". Es gibt Zusatzangebote mit Weiterbildungstagen zu speziellen, am Logbuch orientierten Themen, die durch die Ärztlichen Direktoren und die Chefärzte geleitet werden. Dies sind ganztägige Veranstaltungen an zwei bis drei Samstagen im Jahr, In-House-Angebote von IFA- und Balintgruppen sowie Supervisionen der Psychotherapiefälle. Des Weiteren bestehen enge Kooperationen mit psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten und an allen Standorten regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen zu aktuellen Entwicklungen. Das WKK bietet eine Weiterbildungsgarantie. Neben dem Arbeitsvertrag erhalten alle Ärzte in der Weiterbildung eine Weiterbildungsvereinbarung, die feste Zeiten garantiert - mit Unterschrift von der Geschäftsführung und von den jeweiligen Klinikleitungen. Wenn die Klinik einen Teil davon nicht einhält, zahlt sie einen Zuschuss zur weiteren Ausbildung des Arztes. Daneben führt auch das WKK u. a. sein breites medizinisches Spektrum an und nennt den hohen Digitalisierungsgrad und eine "attraktive Gehaltsstruktur".

Hürden, um mehr junge Ärzte in die Weiterbildung zu bekommen

"Die größte Hürde besteht in der zunehmend schwieriger werdenden adäquaten Ausbildung unter Anleitung, welche zuweilen zu erheblicher Frustration bei Auszubildenden und Ausbildern führt", sagt PD Dr. Michael Dördelmann, Chefarzt der Diako-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Flensburg. Die Ursache dafür sieht er in der Arbeitsverdichtung im klinischen Alltag bei gleichzeitigem ökonomischem Druck. "Die Hauptursache liegt hierbei in der fehlenden Finanzierung von Ausbildung in deutschen Krankenhäusern, die in der DRG-Vergütung nicht berücksichtigt wird", so Dördelmann.

Dr. Stefan Mahlmann hat die gleiche Erfahrung gemacht: "Durch die Arbeitsverdichtung besteht eigentlich keine Möglichkeit mehr, konkrete Weiterbildung durchzuführen", sagt der Chefarzt der FEK-Klinik für Hämatologie, Onkologie und Nephrologie. In der Neurochirurgie nennen Dr. Mathias Haman und PD Dr. Till Burkhardt den Imagewandel des Arztberufes "hin zum Schichtarbeiter mit patientenfernen Aufgaben" und die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. PD Dr. Nicolas Schwarz (Chirurgie) gibt zu bedenken: "Es kam in den letzten Jahren zur langsamen, wenn auch stetigen Verlagerung von Arbeitsprozessen in den ärztlichen Dienst und damit zur Zunahme von operativen Tätigkeiten für die Mitarbeiter. Dies behindert die chirurgische Ausbildung." Nach seiner Beobachtung erhoffen sich Bewerber eine gezieltere Ausbildung, wenn sie in einem rein chirurgischen statt wie im FEK in einem fächerübergreifenden Dienstsystem arbeiten.

Ameos wiederum beobachtet, dass die Weiterbildung in Psychiatrie und Psychotherapie von manchen Bewerbern fälschlicherweise als "einfach" angenommen wird. Folge: "Nicht alle bleiben dem Fach erhalten." Eine weitere Hürde: "Es gibt kaum noch Bereitschaft, Freizeit in die eigene Weiterbildung zu investieren." Chefärztin Dr. Meike Reh aus dem WKK nennt die Verpflichtung zur Zusatzqualifikation für Weiterbildungsbefugte als Hürde. Auch fehlende Kinderbetreuung kann nach ihrer Erfahrung eine Hürde sein, sich für eine Weiterbildungsstätte zu entscheiden. Weil klinikeigene Lösungen nicht jedem Bedürfnis gerecht werden können, sieht sie die Kommunen gefordert.

Probleme aus Sicht der Ärzte in der Weiterbildung

Die tägliche Dokumentation nennt Alexander Gutwerk, Arzt in der Weiterbildung im zweiten Jahr in Flensburg, als Hürde. "In vielen chirurgischen Kliniken wird propagiert, dass wir Assistenten neben unserer Alltagstätigkeit auf Station oder in der Notaufnahme Erfahrungen im normalen Tagesgeschäft - in Eigeninitiative - sammeln sollen. Dies stellt sich jedoch aufgrund der Fülle an Dokumentationspflichten und Verwaltungsaufwand oft als schwierig dar", sagt Gutwerk. Er erhofft sich Verbesserungen von der Digitalisierung: "In diesem Bereich sehe ich noch klares Verbesserungspotenzial - elektronisch dokumentierte Visiten; Zugriff auf Konsile".

Die mit der neuen WBO verbundenen Änderungen werden von Dördelmann begrüßt, auch die verpflichtenden Schulungen für Weiterbildungsbefugte. Der Chefarzt gibt aber auch zu bedenken: "Weiterbildung kostet Zeit und bindet zusätzliche Ressourcen." Ohne weiteren Stellenaufbau dürfte dies aus seiner Sicht kaum realisierbar sein.

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Logbuch

Die Dokumentation der Weiterbildung im Logbuch obliegt dem in Weiterbildung befindlichen Arzt. Die Kammer empfiehlt, diese im Rahmen des jährlichen Weiterbildungsgesprächs vom Weiterbildungsbefugten bestätigen zu lassen. Das Logbuch ersetzt nicht das ausführliche Weiterbildungszeugnis und ist kontinuierlich während der gesamten Weiterbildungszeit zu führen.
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202001/h20014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Januar 2020, Seite 1 + 6-7
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2020

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