Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2020
Digitalprojekt
Diagnostische Lücke im Blick
Digitale Technik zur Beurteilung der Krankheitslast. Kieler Universität und UKSH sind Partner im neuen 42 Millionen EU-Projekt IDEA-FAST
Viele chronische Erkrankungen bringen Beschwerden mit sich, die
nicht anhand objektiver Messwerte beziffert werden können. Für
Betroffene sind sie oft ebenso belastend wie die klassischen
Krankheitssymptome. Zu diesen Begleitsymptomen zählen Schlafstörungen
und Fatigue. In klinischen Studien werden diese Krankheitsfolgen bei
der Beurteilung des Therapieerfolgs nur am Rande berücksichtigt, weil
praktikable Methoden, um sie zuverlässig und objektiv messen zu
können, fehlen. Diese diagnostische Lücke nimmt sich das
Forschungsprojekt IDEA-FAST ("Identify Digital Endpoints to Assess
FAtigue, Sleep and acTivities of daily living") vor.
Ziel ist es, digitale Endpunkte zu identifizieren, mit denen Fatigue, Schlaf und Aktivitäten des täglichen Lebens bei verschiedenen neurodegenerativen und entzündlichen Erkrankungen beurteilt werden können. Hierfür werden tragbare Sensoren getestet, die kontinuierlich Daten im Alltag sammeln. "Wir glauben, dass es wesentlich relevanter ist, die Symptomatik im häuslichen Umfeld zu messen als in der Klinik oder in der Arztpraxis", sagt der Kieler Neurologe Prof. Walter Maetzler, der an der Koordination des europäischen Großprojekts leitend beteiligt ist. Solche Informationen seien erforderlich, um die tatsächliche Krankheitslast und den Erfolg von Therapien zu beurteilen.
Im Fokus des Projekts stehen folgende Krankheiten: Idiopathisches Parkinsonsyndrom, Huntington-Krankheit, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, primäres Sjögren-Syndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen. "Interessant an dem Projekt ist auch, dass Symptome wie Erschöpfung und Schlafstörungen über neurologische und internistische Erkrankungen hinweg beobachtet werden", betont Maetzler. "Wir stellen die Frage, ob das Symptom Fatigue bei den verschiedenen Erkrankungen technisch ähnlich gemessen werden kann."
Fatigue und Schlafstörungen wirken sich auf die täglichen Aktivitäten von Betroffenen aus, sind Hauptfaktoren für verminderte Lebensqualität und erhöhen die Krankheitskosten. In klinischen Studien werden diese Symptome bisher allerdings nicht zur Bewertung der Wirkung von Therapien herangezogen, da es keine zuverlässigen Messgrößen hierfür gibt. Die aktuellen fragebogenbasierten Ansätze sind oft ungenau und stark tagesformabhängig und daher als Endpunkte für klinische Studien nicht gut geeignet.
Eine neue Option, um Fatigue, tägliche Aktivitäten und Schlafstörungen zu messen, bieten tragbare Sensoren etwa in Smartwatches, Fitnessarmbändern und dergleichen. Auch die Nachtschlafaktivität des Gehirns lässt sich mit digitaler Technik in einer Art Stirnband erfassen. Welche Sensoren tatsächlich geeignet sind, die belastende Symptomatik abzubilden, soll in der ersten Projektphase, der Pilotstudie, getestet werden. "Es wird wahrscheinlich eine Kombination aus verschiedenen Informationen sein, die wir zusammentragen", sagte Dr. Kirsten Emmert aus der Arbeitsgruppe von Maetzler. Zum Beispiel könne es sinnvoll sein, Informationen zur Tagesaktivität und Gangqualität mit Hirnstromableitungen in der Nacht zu kombinieren. Basierend auf der Weiterentwicklung von tragbaren digitalen Technologien will IDEA-FAST neue digitale Endpunkte für Fatigue, Schlafstörungen und Einschränkungen bei täglichen Aktivitäten identifizieren. Ziel ist es, Ausmaß und Folgen dieser Symptome in der realen Welt objektiv, empfindlich und zuverlässig zu messen. Solche digitalen Endpunkte können die Effizienz klinischer Studien verbessern und den Zeit- und Kostenaufwand für die Einführung neuer Therapien reduzieren.
An die Pilotstudie schließt sich eine Längsschnittstudie mit 2.000 Patienten an, in der die Ergebnisse für die vielversprechendsten digitalen Endpunkte validiert werden sollen. In Kiel werden hierfür 150 Parkinsonkranke in der Neurologie und 100 Personen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin rekrutiert. (PM/RED)
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Info
Am Konsortium IDEA-FAST sind 46 Zentren aus 14 europäischen Ländern,
darunter Pharmaunternehmen, akademische und gemeinnützige
Institutionen, kleine und mittlere Unternehmen sowie
Patientenorganisationen beteiligt. Kieler Projektpartner sind die
Klinik für Neurologie, die Klinik für Innere Medizin und das Institut
für Allgemeinmedizin und die Medizinische Fakultät der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Das Projekt hat eine Laufzeit von 66 Monaten und wird von der
Innovative Medicines Initiative 2 Joint Undertaking (JU) mit 42
Millionen Euro finanziert. Das gemeinsame Projekt erhält auch
EU-Unterstützung.
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2020
im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202003/h20034a.htm
Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, März 2020, Seite 23
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2020
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