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ETHIK/980: Jahrestagung - Die Ernährung der Weltbevölkerung (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 8 - August 2011 - 02/11

JAHRESTAGUNG

Die Ernährung der Weltbevölkerung


Mehr als 400 Teilnehmer folgten der Einladung des Deutschen Ethikrates zu seiner dritten Jahrestagung am 26. Mai 2011, die Handlungsoptionen zu Fragen der Welternährung aufzeigte und dabei insbesondere die ethischen Implikationen in den Blick nahm.


Nachdem Edzard Schmidt-Jortzig, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, die Tagung unter dem Titel "Die Ernährung der Weltbevölkerung - eine ethische Herausforderung" eröffnet hatte, führte Eberhard Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, in den ersten Teil der Tagung ein, der Fakten, Entwicklungstrends und die sich daraus ergebenden Handlungsnotwendigkeiten hinsichtlich der Ernährung der Weltbevölkerung thematisierte.

Im Einführungsvortrag untersuchte Hans Rudolf Herren, Präsident des Millennium Institute in Arlington, USA, die Frage der Nahrungssicherheit in einer Welt unter Stress. Er betonte, dass es in den letzten Jahren mehrere Krisen, insbesondere in Bezug auf Klima, Umwelt, Artenvielfalt, Nahrung sowie Finanzen, gegeben habe, die alle miteinander verbunden seien. Daher erfordere es einen holistischen Ansatz, um die Probleme zu lösen. Wichtig sei eine multifunktionale und ökologische Landwirtschaft, die Probleme und Ursachen nachhaltig behandle, anstatt auf kurzfristige Lösungen zu setzen. Die drei Aspekte Soziales, Umwelt und Wirtschaft müssten in Einklang gebracht werden und so die Landwirtschaft bestimmen. Darüber hinaus sei es wichtig, dass die Landwirtschaft zu ihrer Kultur und Tradition zurückkehre und verstärkt auf das Wissen der Bauern setze. Dies sei auch deshalb von besonderer Bedeutung, da die industrialisierte Nahrungsmittelproduktion zu einer Kluft zwischen Landwirtschaft und Umwelt sowie zwischen Bauern und Konsumenten geführt habe und die Politik die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht ausreichend bedenke. Herren betonte, dass durchaus genügend Nahrung produziert werde, um alle Menschen zu ernähren. Dennoch müssten viele Menschen hungern, weil ein Großteil der landwirtschaftlichen Produkte nicht für die menschliche Ernährung geeignet sei und zudem große Mengen bei der Verarbeitung und aufgrund ungerechter Verteilung verloren gingen. Um dies zu ändern, müssten neue Wege in der Landwirtschaft eingeschlagen werden: Hierzu gehörten die Unterstützung von Familienbetrieben für eine nachhaltige Landwirtschaft, ein verbesserter Zugang zu Produktionskapital und bezahlten Arbeitsmöglichkeiten, Investitionen in Wertschöpfung sowie eine Verbesserung von Marktzugang, Infrastrukturen und Institutionen. Zudem sollten verantwortungsvolle Regierungen auf globaler, nationaler und regionaler Ebene sowie der Faire Handel gefördert werden. Um die Probleme zu lösen, seien daher ein Umdenken und vor allem auch die Betrachtung ethischer Aspekte erforderlich.


Ernährungssicherung als ethische Herausforderung

Im Rahmen eines von der ZEIT-Journalistin Christiane Grefe moderierten Podiumsgesprächs diskutierten Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen, Kurt Gerhardt, Journalist und Mitinitiator des Bonner Aufrufs "Eine andere Entwicklungspolitik!" sowie Thomas Pogge, Professor für Philosophie und internationale Angelegenheiten an der Yale-Universität in New Haven, USA, die Frage der Ernährungssicherung und Ernährungssicherheit aus ethischer Perspektive. Pogge kritisierte, dass sich die Situation der Armen dramatisch verschlechtert habe und die Zahl chronisch unterernährter Menschen derzeit wieder ansteige. Ein zentraler Grund für diese Entwicklung sei der Prozess der Globalisierung. Dabei würden auf supranationaler Ebene und auf undemokratische Weise Regeln festgelegt, die für große Firmen von Vorteil seien, doch den Armen schadeten. Es sei daher wichtig, die Globalisierungsprozesse transparenter und demokratischer zu gestalten sowie bessere Regeln zu schaffen, um Armut und Hunger erfolgreich zu bekämpfen. Bernhard Emunds stellte das Menschenrecht auf Nahrung als Teil des Subsistenzrechtes in den Mittelpunkt. Es gebe eine dringende Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieses Menschenrecht für alle verwirklicht werde. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse vor allem die Wertschöpfung in den Entwicklungsländern und die Teilhabe breiter Bevölkerungskreise an dieser Wertschöpfung steigen. Die Pflicht, die dem Menschenrecht auf Nahrung entspricht, bestehe für die Menschen des Nordens darin, die eigenen Regierungen zu einer entsprechenden Entwicklungszusammenarbeit und Weltwirtschaftspolitik zu bewegen. Kurt Gerhardt betonte, dass es Aufgabe der Entwicklungshilfe sei, unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die Menschen in den Entwicklungsländern unabhängig von Hilfe zu machen und dass es unethisch sei, wenn Entwicklungshilfe dauerhafte Abhängigkeiten schaffe. Außerdem solle bei der Entwicklungshilfe stets darauf geachtet werden, dass das Gegenüber Subjekt bleibe und nicht zum Objekt degradiert werde.


Armutsorientierung

Im zweiten Teil der Jahrestagung wurden praktische Ansätze zur Bewältigung des Hunger- und Armutsproblems unter den Aspekten der Armutsorientierung, der Rolle der Frauen in Landwirtschaft und Ernährung sowie der Nachhaltigkeit vorgestellt.

Zunächst präsentierte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von Brot für die Welt, das Konzept der Armutsorientierung als wichtigen Schlüssel bei der Bekämpfung des Hungers. Man müsse sich aus drei Gründen an den Bedürfnissen, Rechten und Potenzialen der Armen orientieren: Aus sozialwissenschaftlicher Sicht sei es zunächst entscheidend, gegen die rechtliche, soziale und ökonomische Marginalisierung der Kleinbauern vorzugehen und ihre politische Beteiligung zu steigern. Einem menschenrechtlichen Ansatz folgend, seien Hungernde als Träger von Rechten und nicht als Almosenempfänger zu sehen. Aus ethischer Sicht stehe zudem die Würde jedes einzelnen Menschen im Vordergrund. Der Mensch müsse Subjekt seines Handelns bleiben und dürfe weder Objekt von Mitleid noch von ausbeuterischen Maßnahmen werden.

Martin Bröckelmann-Simon, Geschäftsführer Internationale Zusammenarbeit bei Misereor e.V., verdeutlichte dieses Konzept der Armutsorienteriung anhand eines Projekts aus Indien, bei dem diversifizierte Landwirtschaft und selbstbestimmte Ernährungskultur gefördert werden. Wichtig für den Erfolg der Entwicklungsarbeit sei, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ihr Potenzial anzuerkennen und ihnen eine Stimme zu geben.


Die Rolle der Frauen in Landwirtschaft und Ernährung

Anschließend referierte Christa RandzioPlath, Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins, zur Rolle der Frau bei der Bekämpfung von Hunger und Armut. Frauen bewirtschafteten weltweit den größten Anteil an kleinbäuerlichen Betrieben, doch nur sehr selten verfügten sie über eigenes Land. Frauen den Zugang zu Grund und Boden, technischem Wissen und Ressourcen zu ermöglichen, sei daher von entscheidender Bedeutung, um landwirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit zu erreichen.

Auch Vandana Shiva, Gründerin der Organisation Navdanya, betonte, dass ein Großteil der Nahrung von Frauen produziert werde und dass Frauen Nahrung nicht als Ware betrachteten. Dies sei ein entscheidender Aspekt, denn wenn Nahrung als Ware angesehen werde, sei es gleichgültig, ob die Nahrung für die Herstellung von Biokraftstoffen und für die Fütterung von Tieren zur Fleischproduktion verwendet werde oder ob sie für die Ernährung von Menschen zur Verfügung stehe. Wichtig sei zudem die Wahrung der Ernährungssouveränität, die durch die Globalisierung und den Freihandel gefährdet sei. Die Ernährungssouveränität solle vor allem in den Händen der Frauen liegen, die über großes Wissen hinsichtlich effizienter und diversifizierter Landwirtschaft verfügten.


Nachhaltigkeit

Als dritter Komplex wurde das Konzept der Nachhaltigkeit bei der Bewältigung des Hunger- und Armutsproblems thematisiert.

Franz Heidhues, Professor für Agrarökonomie in Entwicklungsländern an der Universität Hohenheim, beleuchtete in seinem Vortrag Partizipation und lokales Wissen als tragende Elemente der Nachhaltigkeit von Projekten. Die Kernaussage des Konzeptes der Nachhaltigkeit bestehe darin, dass Entscheidungen der heutigen Generation die Möglichkeiten zukünftiger Generationen, ihre Lebensbedingungen zu erhalten oder zu verbessern, nicht einschränken dürften.

Bezogen auf Entwicklungsprozesse gebe es drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: die ökologische, die ökonomische und die soziokulturelle. Um Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen zu verwirklichen, sei es unverzichtbar, die Bevölkerung vor Ort ebenso wie das lokale Wissen zu integrieren. Dies könne durch Wissenspartnerschaften erreicht werden, die Bauern, lokale Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, Beratung und Forschung zusammenführten.

Im Anschluss daran verdeutlichte Jörg Heinrich, Länderreferent bei der Welthungerhilfe, das Konzept der Nachhaltigkeit anhand des Projektbeispiels "Wasser speichern für Dürrezeiten". Die Ziele dieses Projektes der Welthungerhilfe aus Kenia sind die Versorgung der Bedürftigen mit Wasser, die Vorbereitung der ländlichen Bevölkerung auf die regelmäßig einsetzenden Dürrezeiten sowie die Verbesserung der Trinkwasserhygiene. Im Rahmen von Nothilfeeinsätzen bei Dürre werde die akute Versorgung mit Wasser sichergestellt, doch darüber hinaus setze das Programm auf eine langfristige und nachhaltige Sicherung der Wasserbereitstellung. Dabei sei es besonders wichtig, die lokalen Gemeinden bei der Planung und Durchführung mit einzubinden, um Nachhaltigkeit zu erreichen.


Lokales Handeln

Den Abschluss der Tagung bildete eine von Ratsmitglied Wolfgang Huber moderierte Podiumsdiskussion zwischen Hans Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Hans Herren, Robin Roth, Geschäftsführer der GEPA, sowie Vandana Shiva. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, welche Herausforderungen sich aus der Welternährungssituation ergeben und wie sich diese in das lokale Handeln jedes Einzelnen übersetzen lassen. Zudem wurden die Folgen dieser Herausforderungen für verantwortliches politisches Handeln diskutiert.

Hans-Jürgen Beerfeltz räumte ein, dass die Europäer und auch Deutschland mit ihren Agrarexportsubventionen Entwicklungspolitik nicht nur behindert, sondern aktiv verhindert hätten. Diese Subventionen müssten daher abgebaut und Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit die Grundlage allen entwicklungspolitischen Handelns sein. Vandana Shiva kritisierte die internationalen Handelsregelungen, insbesondere der Welthandelsorganisation, die sich nachteilig auf die Entwicklungsländer und insbesondere die Erzeugung von Nahrungsmitteln durch Kleinbauern auswirkten. Die Bürger aller Länder seien gefordert, für faire Handelsbedingungen einzutreten und diese im Rahmen ihrer demokratischen Rechte einzufordern. Auch Robin Roth betonte die Bedeutung internationaler Standards für den fairen Handel, die eingehalten werden müssten, damit so viel Geld wie möglich direkt zu den Bauern fließe. Hans Rudolf Herren forderte die Regierungen auf, verstärkt Verantwortung im Bereich der landwirtschaftlichen Forschung zu übernehmen und die Kontrolle dieser Forschung nicht nur dem Privatsektor zu überlassen.

Die in allen Diskussionsrunden wiederkehrende Frage, was der Einzelne, und insbesondere auch junge Menschen dazu beitragen könnten, nicht nur global zu denken, sondern auch lokal zu handeln, wurde einmütig in dem Sinne beantwortet, dass bürgerschaftliches Engagement und bewusstes Konsumverhalten jedes Einzelnen die Etablierung fairer Handelspartnerschaften fördern könnten.

In den Referaten und Diskussionsbeiträgen wurde deutlich, dass Armut und Unterernährung weniger dadurch zu beseitigen sind, dass die Geldströme von Nord nach Süd ausgeweitet und damit Abhängigkeiten geschaffen und konserviert werden. Vielmehr komme es darauf an, die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe anzukurbeln, die die Bevölkerungen der von Armut betroffenen Länder unabhängig von fremder Hilfe macht. Hilfsangebote sollten darauf ausgerichtet sein, den Bevölkerungen den Zugang zu den natürlichen Ressourcen, zum Produktionskapital und zum Markt, aber auch zu Bildung und Forschung zu sichern und auf diese Weise eine Teilhabe am Wirtschaftswachstum und somit an der Wertschöpfungskette zu ermöglichen.   (Su)


INFO

Quelle
Ausführliche Informationen zur Jahrestagung finden sich unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/die-ernaehrung-der-weltbevoelkerung


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Über 400 Besucher verfolgten die Jahrestagung des Ethikrates

Die Referenten, Diskutanten und Gäste des Tages (v.l.):
Bild 1: Prof. Bernhard Emunds, Kurt Gerhardt, Christiane Grefe, Prof. Thomas Pogge
Bild 2: Dr. Martin Bröckelmann-Simon, Jörg Heinrich, Prof.Franz Heidhues, Prof. Regine Kollek, Dr. Vandana Shiva, Prof. Christa Randzio-Plath, Cornelia Füllkrug-Weitzel
Bild 3: Dr. Hans Rudolf Herren, Dr. Vandana Shiva, Prof.Wolfgang Huber, Robin Roth, Hans-Jürgen Beerfeltz
Bild 4: Zu den Besuchern der Tagung zählten diesmal außerordentlich viele Schüler


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Quelle:
Infobrief Nr. 8 - August 2011 - 02/11, Seite 1 - 3
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2011