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ETHIK/1023: Neuroethik - Auswirkungen der Tiefen Hirnstimulation auf die Identität der Patienten (DGKN)


Deutsche Gesellschaft für Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) - 8. März 2012

Auswirkungen der Tiefen Hirnstimulation auf die Identität der Patienten

Neurophysiologen diskutieren mit Ethikern über Neuroethik


Köln - Mit Eingriffen in das Gehirn manipulieren Neurophysiologen Fähigkeiten ihrer Patienten. So unterdrücken im Gehirn implantierte Elektroden bei Menschen mit Parkinson gezielt die Nervenzellen, die zu den typischen Bewegungsstörungen führen. Ob die sogenannte Tiefe Hirnstimulation dabei auch die Identität der Betroffenen verändert, ist bisher wenig erforscht. Erste Ergebnisse einer deutsch-kanadischen Studie stellt die Projektleiterin auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) am 15. März 2012 in der Koelnmesse vor. Der Kongress der DGKN findet vom 15. bis 17. März 2012 in Köln statt.

Nicht alle Patienten mit Morbus Parkinson sprechen langfristig auf Medikamente an. "Vor allem junge Patienten entwickeln unter Medikamenten das sogenannte L-Dopa-Langzeit-Syndrom", erklärt Universitäts-Professor Dr. med. Lars Timmermann, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie an der Uniklinik Köln, Experte für Morbus Parkinson und Tiefe Hirnstimulation. Dabei leiden Betroffene unter einem ständigen Wechsel zwischen grotesk anmutenden Überbewegungen und absoluter Steifheit. "Diese Patienten profitieren deutlich von einer Tiefen Hirnstimulation. Die Medikamente können oft um mehr als die Hälfte reduziert werden, die Beweglichkeit verbessert sich deutlich", sagt Professor Dr. med. Gereon Fink, Kongress-Präsident der 56. Jahrestagung der DGKN. Zudem hebt die Methode Symptome wie etwa das Zittern auf, das Medikamente nur selten lindern.

Bei der Tiefen Hirnstimulation handelt es sich um einen direkten Eingriff in das Gehirn. "Wir müssen daher davon ausgehen, dass sich die Methode auch auf die Persönlichkeit des Patienten auswirken könnte", so Fink. "Bisher wurde dies aber nicht ausreichend untersucht", kritisiert Universitäts-Professorin Dr. med. Christiane Woopen, Leiterin der Forschungsstelle Ethik am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uniklinik Köln. Es liegen Interviews mit Patienten und ihren Angehörigen vor, die die Entwicklung der Stimmung, des Verhaltens und wichtiger Lebenspläne von Patienten unter Tiefer Hirnstimulation beschreiben. "Anhand dessen können wir erste Aussagen über die Häufigkeit und die Art von Identitätsänderungen machen", so Woopen, Projektleiterin der Studie ELSA-DBS (Ethical, legal and social aspects of deep brain stimulation - health, personal identity and quality of life). Ausgewählte Ergebnisse dieser Studie stellt sie der DGKN auf der Pressekonferenz am 15. März 2012 im Rahmen der 56. Jahrestagung der DGKN vor.

Technische Fortschritte ermöglichen auch in vielen anderen Bereichen immer neue Einblicke und Eingriffe in das menschliche Gehirn. "Bildgebende Verfahren nutzen Neurophysiologen etwa, um die häufig falsch eingeschätzte Reaktionsfähigkeit von Wachkomapatienten richtig zu beurteilen", so der Kongress-Präsident der DGKN. Auch vor Gericht kommen bildgebende Verfahren in Einzelfällen bei der Wahrheitsfindung zum Einsatz. "Auf dem Kongress wollen wir eine längst fällige ethische Debatte führen", so Fink im Vorfeld des DGKN-Kongresses. Dazu haben wir auch einen der führenden Experten auf dem Gebiet der Neuroethik eingeladen: den Neuropsychologen Michael S. Gazzaniga von der University of California in Santa Barbara. In seinem Impulsreferat "Who is in charge - You or your brain" geht er der Frage nach, ob es einen freien Willen gibt und welche Rolle dieser bei der Beurteilung von Straftätern spielt.


Terminhinweise:

56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurophysiologie
und funktionelle Bildgebung (DGKN) mit Richard-Jung-Kolleg,
15. bis 17. März 2012, Koelnmesse

Vorträge auf dem Kongress

Ethik der Tiefen Hirnstimulation
Termin: Donnerstag, 15. März 2012, 9.00 bis 10.30 Uhr
Ort: Rheinsaal II, Koelnmesse, Messeplatz 1, 50679 Köln

Cutting Edge: "Who is in charge - You or your brain?
Prof. Michael S. Gazzaniga, Santa Barbara/USA
Vorsitz: Gereon R. Fink, Köln; Hans-Joachim Heinze, Magdeburg
Termin: Donnerstag, 15. März 2012, 18.15 bis 19.30 Uhr
Ort: Konrad-Adenauer-Saal, Koelnmesse, Messeplatz 1, 50679 Köln


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Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN)
Pressestelle DGKN, Kathrin Gießelmann
Postfach 30 11 20, 70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-981, Fax: 0711 8931-167
E-Mail: giesselmann@medizinkommunikation.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2012