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ETHIK/1252: Die Moral der Medizin - Interview mit Alena Buyx, Professorin für Medizinethik an der Uni Kiel (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2017

Ethik
Die Moral der Medizin

Martin Geist sprach mit Elena Buyx


Klinisches Ethikkomitee am UKSH-Standort in Kiel eingerichtet. Interview mit Alena Buyx, Professorin für Medizinethik an der Universität Kiel.


Ethik war schon immer ein zentrales Thema der Medizin. Am Kieler Standort des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) hat dieses Thema kürzlich eine deutliche Aufwertung erfahren. Das Klinische Ethikkomitee, dessen Gründung am 20. September gefeiert wurde, hebt den Zusammenhang von Medizin und Moral noch einmal auf eine neue Stufe. Aus diesem Anlass sprach Martin Geist für das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt mit Dr. Alena Buyx, Professorin für Medizinethik an der Universität Kiel.

SHÄ: Dem Menschen zu dienen, ist seit je das höchste Anliegen der Medizin. Ist das UKSH mit der Gründung seines Ethikkomitees da nicht reichlich spät dran?

Alena Buyx: Ärzte sind natürlich schon immer zuallererst dem Wohl ihrer Patienten verpflichtet. Und natürlich spielen ethische Überlegungen in der klinischen Praxis stets eine wichtige Rolle, egal ob mit oder ohne Ethikkomitee. Allerdings sind in den letzten Jahrzehnten die Herausforderungen und Fragestellungen komplexer geworden. Was richtig und gut ist, lässt sich nicht in jedem Fall einfach beurteilen. Hinzu kommen die besonderen Bedingungen in einem Klinikum der Maximalversorgung wie dem UKSH. Wir konnten in Kiel von Vorerfahrungen an anderen Standorten profitieren und haben es geschafft, rasch ein erfolgreiches Konzept zu entwickeln und ein stärker institutionelles Gerüst aufzubauen.

War dieses Gerüst im Prinzip nicht bereits vorhanden?

Buyx: Als ich im Jahr 2014 an den Lehrstuhl für Medizinethik in Kiel berufen wurde, gab es schon verschiedene informelle Strukturen der Ethikberatung. In den letzten Jahren haben wir dann eine strukturierte klinische Ethikberatung aufgebaut. Vergangenes Jahr stieß dann mit meiner Kollegin Dr. Annette Rogge eine Neurologin mit der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin dazu, die seither Deutschlands erste Oberärztin für klinische Ethik ist. Wir haben uns dabei bewusst für jemanden entschieden, der auch Erfahrung in der stationären Krankenversorgung mitbringt. Zu ihren Aufgaben gehörte es von Anfang an, ein Ethikkomitee aufzubauen, wie wir es jetzt haben. So etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen, wenn es vernünftig geschehen soll. Aufgaben und Ziele müssen definiert werden, man braucht eine Satzung, und vor allem müssen Komiteemitglieder gewonnen werden, die für die ganze Breite des UKSH stehen.

Wie viele Frauen und Männer gehören dem Ethikkomitee an?

Buyx: Ungefähr 30. Das erscheint ein bisschen groß, ist aber dem Ansinnen geschuldet, dass wir alle relevanten Bereiche des Klinikums vertreten sehen wollen. Das sind unter anderem Seelsorger, Fachkräfte aus dem Sozialdienst, Psychologen sowie Pflegende und die Ärzteschaft in einem breiten fachlichen und hierarchischen Spektrum. Um das Komitee handlungsfähig zu halten, haben wir entsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen. Die 30 Mitglieder teilen sich in Arbeitsgruppen auf, dazu gibt es einen Vorstand und eine Geschäftsführung. Mit einer überschaubaren Kerngruppe - wenn man so will, einer Task Force - wollen wir dabei gewährleisten, dass wir unsere Aufgabe erfüllen können, wenn es insbesondere bei Fragestellungen in der Patientenversorgung einmal ganz schnell gehen muss.

Welche Aufgaben soll das Ethikkomitee grundsätzlich wahrnehmen?

Buyx: Es geht im Wesentlichen um drei Bereiche. Zunächst um interne Fortbildung und in gewissem Maße auch um Kulturentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit. Zweitens um die Entwicklung von internen Leitfäden für regelmäßig wiederkehrende Fragen. Der dritte Bereich ist die klinisch-ethische Fallberatung.

Was darf man sich unter internen ethischen Leitfäden vorstellen?

Buyx: Also erst einmal - und das ist ganz wichtig - keine Leitlinien, sondern eine Orientierungshilfe für ethische Probleme, die erfahrungsgemäß im Klinikalltag wiederholt auftreten. Das UKSH ist ein sehr großes Klinikum, in dem sich Problemlagen entsprechend wiederholen. Da ist es sinnvoll zu schauen, welche Problemlagen das sind und wie sie sich ethisch einordnen und in Zukunft erfolgreicher angehen lassen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Buyx: Der Umgang mit Kindern von Zeugen Jehovas war zum Beispiel in vielen Häusern ein großes Thema. Wenn die Eltern aus religiösen Gründen einen medizinischen Eingriff ablehnen und damit das Wohl oder gar das Leben ihres Kindes gefährden, ist das eine sensible Angelegenheit. Die Ärzte müssen das Beste für das Kind tun, ohne dabei im Zweifel eine Familie zu zerreißen. Dieses Problem ist aber inzwischen durch Gerichtsurteile und gut definierte Verhaltensgrundsätze weit weniger gravierend als das einmal der Fall war. Sehr oft hat es die Medizin dagegen mit dem Thema Therapiebegrenzung zu tun. Wenn das Leben in seine letzte Phase tritt, das Sterben aber noch nicht begonnen hat; wenn die Prognose eines Patienten schlecht, aber nicht vollkommen absehbar ist; wenn es keine Hinweise auf Wünsche des Patienten gibt; dann muss man sich immer wieder neu fragen: Wie lange dient eine auf Krankheitsbekämpfung ausgerichtete Therapie dem Wohl des Menschen und wann beginnt sie, nur noch sein Leiden zu verlängern? Zum UKSH in Kiel kann ich im Detail noch nicht so viel sagen, wir fangen ja gerade erst an, diese häufig auftretenden Problemlagen zu erfassen.

In einem Leitfaden lässt sich das Problem mit der Therapiebegrenzung aber wohl kaum regeln.

Buyx: Selbstverständlich nicht. Ein Leitfaden kann immer nur eine allgemeine Richtschnur bieten, kann die grobe Orientierung für ein gutes Vorgehen bieten. Umso wichtiger ist die klinisch-ethische Fallberatung, die im Alltag oft genau mit solchen Situationen zu tun hat. Wenn zum Beispiel ein Patient eine sehr ungünstige Prognose hat und weder er selbst noch seine Angehörigen sagen können, welche weitere Behandlung gewünscht ist, stellt das für die Ärzte immer wieder eine Herausforderung dar. In der klinisch-ethischen Fallberatung versuchen wir, durch den Dialog mit dem Patienten selbst, den Angehörigen und den Ärzten herauszufinden, was sich der Patient wünscht oder was er sich wünschen würde und was für ihn das Beste in der gegebenen Situation wäre.

Wie stark wird diese Fallberatung in Anspruch genommen?

Buyx: Genau erfasst haben wir den Zeitraum seit Juni 2016. Für die teils umfangreichen Einzelfallberatungen ist im Schnitt eine Anfrage pro Woche zu verzeichnen. Um Rat fragen dabei Ärzte aus allen Hierarchiestufen, auch erfahrene Stations- und Oberärzte und Chefärzte. Auch für die anderen Berufsgruppen des Klinikums und für Patienten und ihre Angehörigen steht Frau Dr. Rogge als Ansprechpartner zur Verfügung, ein Angebot, das wir für sehr wichtig halten. Darüber hinaus kommen viele Anfragen zu internen Fortbildungen der einzelnen Abteilungen und auch zur Aufarbeitung von belastenden Situationen mit ethischer Komponente im Team.

War es eigentlich schwierig, das Klinische Ethikkomitee am UKSH durchzusetzen?

Buyx: Wirkliche Widerstände gab es nur vereinzelt. Ganz überwiegend sind wir auf große Offenheit gestoßen, beim Personal, aber auch im Vorstand. So viel Unterstützung ist nicht selbstverständlich. Ich kenne Kliniken, da hat es 15 Jahre mit der Einführung eines solchen Komitees gedauert. In anderen Häusern gibt es zwar welche, aber die haben aufgrund eingebauter Hürden in zehn Jahren keinen einzigen Fall bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildung der Originalpublikation:

Dr. Alena Buyx (39) ist seit 2014 Professorin für Medizinethik an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Nach ihrem Abitur 1997 studierte sie in Münster im Doppelstudium Medizin sowie Philosophie, Soziologie und Geschichtswissenschaft. Im Jahr 2016 wurde Buyx in den Deutschen Ethikrat berufen, dem 26 Mitglieder angehören, die naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange repräsentieren. Sie war und ist damit das jüngste Mitglied, das diesem Gremium jemals angehörte.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201710/h17104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Oktober 2017, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2018

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