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FORSCHUNG/2538: Das Gehirn hat die besseren Ohren (idw)


Technische Universität Berlin - 30.11.2011

Das Gehirn hat die besseren Ohren

Forscher der TU Berlin untersuchen die unbewusste Wahrnehmung von Störungen bei Sprach- und Audioübertragung mittels Gehirnströmen


"Der Empfang ist schlecht", stöhnen Handybenutzer oft, wenn sie gestört durch Rauschen nur noch Stimmfetzen am anderen Ende der Leitung hören. Auch Probandinnen und Probanden im schalldichten Raum des Quality and Usability Labs der Deutsche Telekom Innovation Laboratories haben nicht immer eine einwandfreie Übertragung.

Im Auftrag der Forschung hören sie kurze Audiosequenzen, die sie anschließend qualitativ bewerten. Knackt oder rauscht es im Ohr, drücken die Testhörerinnen und Testhörer ein Knöpfchen, das den Forschern der TU Berlin die Wahrnehmung der Störung signalisiert. Ist die Übertragung frei von Störungen, bewerten sie die Qualität als positiv - was nicht immer stimmen muss. Denn neuartige Untersuchungen der Wissenschaftler zeigen: Das sensible Gehirn nimmt mehr wahr als der Mensch selbst angeben kann.

"Wir untersuchen die sogenannte vorbewusste Wahrnehmung von Störungen bei der Übertragung von Sprache und Audiosignalen", erklärt Prof. Dr. Sebastian Möller, Leiter des Quality and Usability Lab und Wissenschaftler an der TU Berlin, "mit dem Ziel die Übertragung im Hochqualitätsbereich zu verbessern." Gemeinsam mit Jan-Niklas Antons und Dr. Robert Schleicher prüft er seit Herbst 2008 was seine Probanden eventuell unbewusst wahrnehmen, obwohl sie angeben, eigentlich nichts bemerkt zu haben. "Wir haben bisher fünf Versuchsreihen mit jeweils 20 Testhörern durchgeführt und konnten tatsächlich Veränderungen der Gehirnwellen und Unterschiede in den Schwellwerten im Vergleich der bewussten und unbewussten Wahrnehmung feststellen. Das heißt, dass unsere Forschungsmethode funktioniert", resümiert Dr. Robert Schleicher.

Das Einzigartige an dieser Methode ist die Kombination der Messungen von Qualität mit der Messung von Gehirnströmen durch die Elektroenzephalografie, kurz EEG. Möller und sein Team arbeiten dabei eng mit ihren Kollegen aus dem TU-Fachgebiet Maschinelles Lernen unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus-Robert Müller und mit Wissenschaftlern der Charité wie Prof. Dr. Gabriel Curio zusammen. Ihr Vorhaben ist Teil des mit insgesamt 5,7 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts "Bernstein Fokus Neurotechnologie - Nichtinvasive Neurotechnologie für Mensch-Maschine-Interaktion" an dem außerdem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Berlin beteiligt ist.

"Dass vor uns niemand die Messungen miteinander kombiniert hat, liegt daran, dass es sich um zwei voneinander getrennte Forschungsgebiete handelt. Bisher hatten sie nicht viel miteinander zu tun", so Schleicher. Klassischerweise spielt man zur Beurteilung der Übertragungsqualität Probandinnen und Probanden eine kurze Audiosequenz vor und arbeitet in diese Daten bewusst Störungen wie Knacken, Rauschen oder Lautstärkeschwankungen ein. Anschließend geben die Probanden Selbstauskunft mit Fragebögen und Bewertungsskalen - eine gängige Methode von der beispielsweise die Werbung profitiert. Setzt man den Probanden beim Hören aber eine leitfähige EEG-Kappe auf, sieht die Sache schon ganz anders aus: Die veränderten Hirnströme bilden die Störungswahrnehmungen ab, die von den Probanden nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, obwohl sie rückblickend das Qualitätsurteil beeinflussen. So lässt sich ein Meinungsbild ganz ohne direkte Befragung erkennen.

Bisher saßen vor allem technikaffine Studierende unter der EEG-Kappe, um einen direkten Einblick in die Forschung zu bekommen. Zur Kontrolle stülpten sich aber auch die Projektbeteiligten immer wieder die leitfähige Haube über und testen selbst ihre Wahrnehmung. "Den schalldichten Raum zu verlassen und in realer Umgebung zu testen ist bisher aber noch sehr schwierig, gerade wenn man mit Hilfe von EEG arbeitet", erklärt Antons. "Da es sich bei unserer Forschung um den Hochqualitätsbereich handelt, hilft es einem nicht, wenn man neben einer stark befahrenen Straße zum Hörtest bittet."

Das langfristige Ziel der Forscher ist, eine gute Sprachübertragung im Hochqualitätsbereich zu sichern, in der einzelne Störungen nicht mehr wahrgenommen werden können. "Wir möchten mit unserer Forschung die Zufriedenheit der Kunden im Umgang mit Sprachübertragung steigern", so Schleicher, "wir wären dabei besonders erfolgreich, wenn bei der Entwicklung neuer Übertragungs- und Codierungssysteme die Hirnströme der Probanden keine Störungswahrnehmungen mehr abbilden, denn dann könnte man sie als einwandfrei bewerten."

Cathrin Becker


Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
Prof. Dr. Sebastian Möller
E-Mail: moeller@tu-berlin.de,
Dr. Robert Schleicher
E-Mail: robert.schleicher@tu-berlin.de,
Jan-Niklas Antons
E-Mail: jan-niklas.antons@tu-berlin.de,
Quality and Usability Lab, Deutsche Telekom Laboratories TU Berlin
Ernst-Reuter-Platz 7
10587 Berlin

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution52


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin, Stefanie Terp, 30.11.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2011