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FORSCHUNG/2651: Entzündungsforschung - Von der Fruchtfliege zum Menschen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012

Entzündungsforschung
Von der Fruchtfliege zum Menschen

Von Jörg Feldner



Das Exzellenzcluster Entzündungsforschung an der Kieler Uni sucht nach Gründen für das Versagen der angeborenen Immunität.

Zu den Vorreitern der Untersuchung der angeborenen Immunität gehört Biologe Prof. Jules Hoffmann, 2011 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Seinen Vortrag kürzlich in Borstel verfolgten über 200 überwiegend junge Forscher, zeitgleich wurde Hoffmanns Auftritt per Internet in die Universitäten Kiel und Lübeck übertragen. Im Pressegespräch erläuterte Hoffmann die Grundzüge seiner Arbeit.

Das angeborene Immunsystem gehört zur Grundausstattung aller Tiere, die über differenzierte Gewebe verfügen, von den Quallen und Polypen bis zum Menschen. 95 Prozent kommen ausschließlich mit diesem Abwehrmechanismus zurecht, nur fünf Prozent haben zusätzlich die adaptive - erworbene - Immunabwehr. Mit der angeborenen Immunität werden unvermeidbare Kontakte mit ubiquitären Viren, Bakterien und Pilzen von angeborenen Rezeptoren in wenigen Minuten erkannt und nach wenigen Stunden vollständig neutralisiert. Die adaptive Immunabwehr reagiert spezifischer und langsamer, auf dem Weg über die Bildung von Antikörpern (Ig) oder dendritische Zellen, die T-Zellen aktivieren. Anders als die adaptive Immunabwehr war die angeborene lange ein Stiefkind der Forschung. Ausgangspunkt für den auf Insekten spezialisierten Biologen Hoffmann war die Beobachtung, dass bei der schon lange als Labortier eingeführten Fruchtfliege (Drosophila) keine Entzündungen vorzukommen scheinen - sie verfügt ausschließlich über die angeborene Immunabwehr, deren wesentlicher Bestandteil sog. Toll-ähnliche Rezeptoren (TLR) sind - Proteine, die Molekülmuster erkennen können, die nur bei pathogenen Keimen vorkommen. Die TLR aktivieren Gene, die ihrerseits die Antikörperreaktion des erworbenen Immunsystems ansprechen. Das angeborene Immunsystem kurbelt, vereinfacht gesagt, die adaptive Antwort an. Hoffmann fand gemeinsam mit Kollegen heraus, dass Toll-negative Fliegenmutanten anfällig für Pilzinfektionen waren. Er konnte von Fliegen synthetisierte antimikrobielle Peptide aufspüren. Damit war eine Spur gelegt, vom angeborenen Immunsystem über Genvarianten der inzwischen bei allen Wirbeltieren gefundenen Muster-Erkennungs-TLR bis zur Suche nach Medikamenten zur Unterdrückung von Entzündungen. Hier hat das Exzellenzcluster Entzündungsforschung bereits Erfolge vorzuweisen: Entwicklung eines Moleküls zur Sepsis-Behandlung, Identifizierung der Krankheitsgene für Colitis ulcerosa. Und eine neue Definition von "ganzheitlich" betritt die Bühne der Medizin: der Patient als komplexe Struktur aus Mensch und dessen Mikroorganismen. Noch ist nicht aufgeklärt, was in der Gegenwart die angeborene Immunität von immer mehr Menschen versagen lässt und zu chronifizierenden Entzündungen an Haut, Darm, Lunge, Gefäßen oder Gelenken führt; es dürfte sich aber um Folgen moderner Lebensweisen handeln, denn betroffen sind ganz überwiegend Menschen aus Industrienationen.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201203/h12034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Entzündungsforscher Prof. Jules Hoffmann (rechts) mit dem Vizepräsidenten der Universität Kiel, Prof. Thomas Bosch, der Parallelitäten im Immunsystem von primitiven Nesseltieren und Mensch aufzeigen konnte.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2012
65.‍ ‍Jahrgang, Seite 17
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Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012