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FORSCHUNG/3890: Woher Muskeln wissen, wie spät es ist (idw)


Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 21.08.2018

Woher Muskeln wissen, wie spät es ist


Wie bereiten sich Muskelzellen auf einen anstrengenden Arbeitstag vor? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Mitglieder im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), haben diese Frage untersucht und die Ergebnisse in 'PLOS Biology' publiziert. Die Arbeit deckt ein ganzes Stoffwechselnetzwerk auf, das wider Erwarten nicht durch das Gehirn, sondern über die 'innere Uhr' der Muskelzellen gesteuert wird.

Quasi alle Zellen des menschlichen Körpers besitzen eine eigene innere Uhr. Sie steuert sämtliche Vorgänge, die nicht gleichzeitig stattfinden oder nicht mit immer gleicher Intensität ablaufen sollen. "Das betrifft beispielsweise die Verwertung von Nährstoffen wie Fett und Proteinen", erklärt Prof. Dr. Henriette Uhlenhaut. Sie ist Gruppenleiterin am Institut für Diabetes und Adipositas des Helmholtz Zentrums München (IDO) sowie am Genzentrum der LMU. "Gerät die innere Uhr des Körpers aber aus dem Takt, so kann das schwere Folgen für den Stoffwechsel haben. So ist beispielsweise bekannt, dass Menschen, die viel im Schichtdienst arbeiten, besonders anfällig für Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes sind."

In der aktuellen Arbeit konzentrierte sich das Team um Uhlenhaut nun erstmals auf den 24-Stunden-Stoffwechsel-Rhythmus der Muskeln. "Wir hatten speziell zwei Proteine im Blick, die als sogenannte Master Regulatoren der inneren Uhr fungieren", sagt Dr. Kenneth Dyar, Wissenschaftler am IDO und Erstautor der aktuellen Studie. "Diese beiden Moleküle binden an die DNA und stoßen alle nachfolgenden Prozesse an." In Muskelzellen von Mäusen konnten die Wissenschaftler die Aktivität dieser beiden Proteine im Tagesverlauf sehr genau ermitteln. "Dabei haben wir angefangen bei der Bindung an das Erbgut über die zu- oder abnehmende Genaktivität bis hin zu den entsprechenden Gen- und Stoffwechselprodukten alles gemessen", erklärt Kenneth Dyar den umfassenden Ansatz. Aufbauend auf früheren Studien untersuchten die Wissenschaftler den Auf- und Abbau von Fetten und Proteinen - ein Ansatz der auch für Sportler interessant sein dürfte.

Stoffwechselnetzwerk aufgedeckt

In Zusammenarbeit mit italienischen und österreichischen Kollegen (vom Venezianischen Institut für Molekulare Medizin sowie den Universitäten von Padua, Triest und Graz) arbeiteten die Wissenschaftler bestimmte Vorgänge heraus, die nachts von den Regulatoren der inneren Uhr angeschaltet werden: "Darunter fällt beispielsweise das Speichern von Fett, der Zuckerstoffwechsel oder die Sensitivität gegenüber dem Hormon Insulin", erklärt Henriette Uhlenhaut. Gleichzeitig würden gegenläufige Prozesse wie die Fettsäureoxidation oder der Proteinabbau heruntergefahren, so die Autoren. Diese Muster seien vor allem in den Stunden vor dem Aufwachen besonders ausgeprägt und bereiten die Muskeln auf den kommenden Tag vor.

Im letzten Schritt untersuchten die Wissenschaftler Eingriffsmöglichkeiten in diese Vorgänge. Dazu beobachteten sie Mäuse, bei denen einer der Master Regulatoren fehlte. Ohne ihre innere Uhr bildeten die Tiere deutlich weniger Fettmasse und die Produktion von Muskelproteinen wurde erhöht. "Zusammengenommen deckt unsere Arbeit auf mehreren Ebenen ein ganzes Stoffwechselnetzwerk auf", erklärt Studienleiterin Uhlenhaut. "Biologisch spannend dabei ist auch, dass der Taktgeber dafür nicht wie zu vermuten zentral im Gehirn sitzt, sondern die innere Uhr der Muskelzellen selbst ist." Langfristig wollen die Autoren die Mechanismen auch im Menschen untersuchen und eine Möglichkeit finden, darin einzugreifen. So wäre es demnach denkbar, eine Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes zu bekämpfen, oder die Energieverbrennung anzukurbeln, um krankhaftes Übergewicht zu reduzieren.


Hintergrund:
Konkret verglichen die Autoren die genomweite Bindung der beiden Transkriptionsfaktoren BMAL1 und REV-ERBα. Die Autoren Michaël Hubert und Katrin Fischer sind Teilnehmer am Doktoranden-Ausbildungsprogramms Helmholtz Graduate School Environmental Health, kurz HELENA.

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.
www.helmholtz-muenchen.de

Das Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) erforscht die Erkrankungsmechanismen des Metabolischen Syndroms mit systembiologischen und translationalen Ansätzen. Mittels zellulärer Systeme, genetisch modifizierter Mausmodelle und klinischer Interventionsstudien sollen neue Signalwege und Zielstrukturen entdeckt werden. Ziel ist die interdisziplinäre Entwicklung innovativer Therapieansätze zur personalisierten Prävention und Behandlung von Adipositas, Diabetes und deren Begleiterkrankungen. Das IDO ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).
www.helmholtz-muenchen.de/ido

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.
www.dzd-ev.de

Originalpublikation:
Dyar, K. et al. (2018):
Transcriptional programming of lipid and amino acid metabolism by the skeletal muscle circadian clock.
PLOS Biology,
DOI: 10.1371/journal.pbio.2005886

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 21.08.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2018

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