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GESUNDHEIT/1254: Sport - Effekte auf die Gesundheit unterschiedlich (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 46 / 10. November 2015
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Effekte auf die Gesundheit unterschiedlich
Klaus Willimczik plädiert zum Auftakt des 30. Darmstädter Sport-Forums für wohldosiertes, lebenslanges Sporttreiben

Von Hans-Peter Seubert


Das 30. Darmstädter Sport-Forum, veranstaltet vom Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt und dem Sportkreis Darmstadt-Dieburg, fand gleich zum Auftakt lebhaftes Echo. Die fünf Vorträge zwischen dem 2. bis 30. November 2015 untersuchen "Bewegungsorientierte Gesundheitsförderung. Sport und Bewegung als Medizin".

Erst seit den fünfziger Jahren gibt es wissenschaftliche Studien zur Effizienz von Sport für die Gesundheit. Professor Frank Hänsel vom Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt, 2015 für die Reihe verantwortlich, hat selbst versucht, Antworten zu finden auf die Frage, wie wirken die Effekte auf die Gesundheit? "Ja Evidenz ist da. Teilweise hoch, teilweise niedrig." Von Null bis 70 Prozent beziffert der Sportpsychologe den Wirkungsgrad auf körperliche Riskofaktoren.

Seine zweite Schlüsselfrage lautete: "Mit welcher Dosis erreicht man welche Wirkung? Das ist noch eine unbeanwortete Frage." Effekte auf die psychische Gesundheit sind weitgehend unerforscht. Dort, wo es Erkenntnisse gibt, bei Depression und Angststörungen, ist der Wirkungsgrad (maximal 50 Prozent) oft nicht so hoch wie bei physischen Risikofaktoren. Hänsel: "Wie bewegt man Menschen zu mehr Bewegung?" Darum geht es in den Vorträgen der fünfteiligen Reihe. Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offenbarten, dass in Europa etwa 30 Prozent der Bürger 3 mal 30 Minuten pro Woche aktiv sind. Lediglich 22 Prozent der Deutschen schafften 180 Minuten Bewegung pro Woche. Nur 15 Prozent der über 60 Jahre alten Deutschen frönen regelmäßiger Bewegung.

Klaus Willimczik lüftete im ersten Vortrag "Ein Leben lebt man lebenslang - Sport und Gesundheit über die Lebensspanne" manchen ideologischen Schleier. Erkenntnisse seiner vielen Studien in seiner 44 Jahre langen Vita als Professor packte der Emeritus in den Satz: "Hüten wir uns davor, den Sport zu sehr auseinander zu differenzieren, sondern Sport als Ganzes zu sehen." Jeder Effekt und Erfolg lebt von der Berücksichtigung der Persönlichkeit. Das gilt im Grundschulalter, vor und nach der Pubertät, im mittleren Erwachsenen-Alter und in der Phase des erfolgreichen Alterns jenseits der 65. "Erwachsene lernen genauso und genauso schnell wie Kinder zwischen 13 und 15 Jahren. Die Lernfähigkeit bei den 75-Jährigen sei genauso stark wie bei Jugendlichen." Erst danach schwinde sie rapide. "Seien Sie nicht zu pessimistisch, es geht nicht so schnell bergab."

Willimczik mahnte: "Hohe Motivation reicht nicht aus.Wir haben das Handlungsloch im Alltag." Das Bewusstsein für gesundes Leben und Bewegung wachse in der Gesellschaft. Einsicht sowie Ausdauer, sich nachhaltig und gesund zu bewegen, kollidiere jedoch mit Trägheit und Bequemlichkeit. Zur richtigen Motivation, die in Sportaktivität münde, gehörten planerische Zwischenschritte (vernünftige Ziele), körperliche und geistige Überzeugungsarbeit, die Übungsleiter unterstützen können. Willimcziks Rezept lautete "Brücken bauen zur Handlung" - zum regelmäßigen, wohldosierten Training.

Der Gründer des Instituts für Sportwissenschaft (1971), diskutierte vor knapp 300 Zuhörern auch den Wert von Sport: "Wir brauchen die Trainingslehre und wir brauchen den Sport." Denn im Gegensatz zu einseitiger körperlicher, oft gesundheitsschädlicher Aktivität im Beruf oder im Alltag (Gartenarbeit), setzen besonnene Aktive sowie qualifizierte Trainer und Übungsleiter auf Vielseitigkeit - mit Ausgleichsbewegungen sowie Intervallen und Pausen. "Ich muss gezielt arbeiten, Sport als Ganzes ist unersetzbar."

Motivation und Lernfähigkeit beflügeln gesundheitsbewusstes, lebenslanges Sporttreiben. Lernfähigkeit "hängt sehr stark von der Koordination ab." Deshalb seien Gleichgewichts- und Ausgleichstraining wertvoller als Konditionstraining. "Der, der regelmäßig Gesundheitssport treibt, weiß, dass er sich überwinden muss. Das Alter - hier ist Willimczik selbst ein Beispiel - bilde nicht den Maßstab für die Leistungsentwicklung und -fähigkeit. Erst ab 65 ist der Leistungsabfall signifikant.

Sportteiben in der sozialen Gruppe oder allein, im Vereins- oder privaten Fitnessstudio zeige keine unterschiedlichen Effekte. Dennoch schätzt der frühere 110-Meter-Hürdenmeister und Leichtathletik-Bundestrainer die soziale Komponente. Der Deutsche Sportbund plakatierte das Geselligkeitsplus früher mit der Formel "Sport ist im Verein am schönsten".

Bei Untersuchungen von Grundschülern in Darmstadt und dem Odenwaldkreis (Höchst/Michelstadt) hat der Sportwissenschaftler schon in den siebziger Jahren herausgefunden: "Letztendlich ist das soziale Umfeld das Entscheidende", ob und wie sich ein Sprößling sportlich und körperlich - damit auch gesundheitlich entwickelt. Körperkoordination und Motorik treten dahinter zurück Während der Pubertät plädiert er dafür, "das biologische Alter spielt eine große Rolle in der Zeit." Gerade bei der Talentförderung gelte es dieses zu berücksichtigen, auch um die Aussteiger-Quote (bei Mädchen höher als bei Jungen) gering zu halten. Auch hier sind Erfahrung, Fingerspitzengefühl und Augenmaß verantwortungsvoller Lehrer und Trainer gefragt. Sie sollten sich mit der individuellen Entwicklung und weniger mit der Leistungsfähigkeit in dieser Reifestufe auseinandersetzen.

Trotz der vielen und großen Gefahren der Überforderung warnte der 75 Jahre alte heutige Gastprofessor an der TUD, dass "die Gefahr der Unterforderung bedeutend größer ist". Gerade für ältere Menschen. "Das Problem ist, dass die Bewegung im Alltag so stark nachgelassen hat." Egal wann mit dem Training begonnen werde, über bestimmte Leistungsgrenzen komme man in keiner Altersstufe hinweg. "Die Art des Lernens ist anders. Kinder beobachten, Erwachsene wollen alles erklärt haben." Auch das fordert die Übungsleiter.

Zu einem vernünftigen, maß- und wirkungsvollen Bewegungskonzept gehört für Klaus Willimczik die saubere Definition von Sport und Gesundheit: Physisches, psychisches, soziales Wohlbefinden, das subjektive und objektive Aspekte einschließt. Er unterscheidet nach Hochleistungssport (professionell, kommerziell), traditionellem (Wettkampf), Erlebnis/Abenteuer-, Präsentationssport (Ästhetik), sportnahen Handlungen (Angeln), Gesundheits- und Freizeitsport (institutionell). Überall gelten andere Maßstäbe und entwickeln sich unterschiedliche Effekte.

Die Wahrnehmung der Zuschauer und Aktiven sei oft konträr. Beispiel Hochleistungssport: Hier Agressivität, Gesundheitsschädigung, Verletzung, Stress. Dort körperliche Leistungsfähigkeit, Anstrengung, Disziplin, Herausforderung. Oder Gesundheitssport: Hier Wellness, Entspannung, Regeneration, Geselligkeit, dort Langeweile und Motivationsprobleme (Handlungsloch). All das gestaltet es schwierig, Rezepturen für gesundheitswirksamen Sport und dessen Wirkungsgrad zu entwickeln. Willimczik: "Sport oder nicht Sport, das ist hier nicht die Frage." Auch aktuelle Forschungen, eine Pille zu entwickeln, die Bewegung überflüssig macht, begreift er als Irrweg.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 46 / 10. November 2015, S. 21
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2015

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