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GESUNDHEIT/1353: Kindergesundheit - Ergebnisse des Kinderreports der DAK Gesundheit (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2019

Kindergesundheit
Gemeinsame Anstrengungen für noch gesündere Kinder

von Dirk Schnack


Kindergesundheit in Schleswig-Holstein ist besser als im Bundesdurchschnitt. Kinderärzte fordern mehr Vertragsarztsitze und Armutsbekämpfung.


Der kürzlich vorgelegte Kinderreport der DAK Gesundheit bescheinigt dem Nachwuchs in Schleswig-Holstein eine bessere Gesundheit als im bundesdeutschen Durchschnitt. Das ist auch, aber nicht ausschließlich auf die Arbeit der Pädiater im Land zurückzuführen. Dr. Ralf van Heek, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Schleswig-Holstein, lobte bei der Vorstellung des Kinderreports u. a. die gute Arbeit und das Angebot der Therapeuten: "Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten leisten hervorragende Arbeit", betonte van Heek.

Weitere Gründe für die überdurchschnittlich gute Gesundheit der Kinder könnten nach seiner Ansicht auch das gute Klima im Norden, der hohe Anteil an ländlichen Regionen und die laut "Glücksatlas" glücklichen Menschen im Norden sein - dies strahle von den Eltern auf die Kinder ab.

Neben positiven Ergebnissen gibt es auch Defizite. Der Report zeigt, dass 27 Prozent der Kinder im Land jährlich Antibiotika verordnet bekommen. Mehr Kinder als im Bundesdurchschnitt sind depressiv und viele Kinder leiden bereits unter Rückenschmerzen. Diese und weitere Ergebnisse bestärken Schleswig-Holsteins DAK-Chef Cord-Eric Lubinski in seinem Bemühen um mehr Prävention. Lubinski will das Programm "fit4future" ausbauen und die Prävention stärker in den politischen Fokus rücken. Der Verband der Kinderärzte fordert mehr pädiatrische Vertragsarztsitze bei höherer Gesamtvergütung und eine bessere Ausstattung der Kliniken. Außerdem hält der Verband größere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Armut für erforderlich - weniger Armut bedeutet nach Erfahrung der Kinderärzte bessere Gesundheit. Eltern sollten deshalb bei der Erziehung stärker unterstützt werden, etwa durch kostenfreie Kita und Lehr- und Lernmittel.


Heile, gesunde Welt nicht für alle Kinder

Kinder und Jugendliche sind in Schleswig-Holstein gesünder als im Bundesdurchschnitt. Grund zum Zurücklehnen besteht dennoch nicht, wie u.a. der Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit zeigt. Auch der Berufsverband der Pädiater sieht Handlungsbedarf.


In seiner Praxis begleitet Dr. Ralf van Heek vorwiegend gesunde Kinder beim Großwerden. Die Eltern bringen den Nachwuchs regelmäßig zu den Untersuchungen, die Kinder wachsen in intakten Familien auf, Prävention und Bildung werden großgeschrieben, wirklich bedrohliche Erkrankungen sind selten. Der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner (BVKJ) in Schleswig-Holstein ist mit seiner Praxis in Altenholz zwar keine Ausnahme, doch van Heek weiß, dass es auch ganz anders geht.

"Praxen an anderen Standorten nehmen das ganz anders wahr", sagt van Heek. So gibt es in einigen Regionen zum Beispiel Schwierigkeiten beim Zugang zur Versorgung, aber auch Überlastungen von Ärzten und Personal, weil viele Menschen unaufgeklärt in die Praxen kommen oder sich aufgrund von Sprachbarrieren kaum verständlich machen können. Hinzu kommt ein Problem, das sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich vergrößert hat: Die Unsicherheit der Menschen über die Bedeutung ihrer Erkrankung. Weil immer weniger Menschen in der Lage sind, Bagatellen von echten Bedrohungen zu unterscheiden, sind nicht nur die Kapazitäten in den Notfallambulanzen der Kliniken, sondern mitunter auch die Praxen überlastet.

Wie krank aber ist der Nachwuchs in Schleswig-Holstein wirklich? Aufschluss soll der Ende Februar vorgelegte Kinder- und Jugendreport 2018 der DAK Gesundheit geben. In die Analyse der Universität Bielefeld sind die Abrechnungsdaten von 30.325 bei der DAK versicherten Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren eingeflossen - bei rund 470.000 Kindern und Jugendlichen in ganz Schleswig-Holstein eine beachtliche Zahl. Ziel der Analyse ist es nach Angaben von DAK-Landeschef Cord-Eric Lubinski, die gesundheitliche Situation von jungen Menschen im Norden besser zu verstehen und sie zugleich in den Vordergrund der politischen Diskussion zu rücken. Es ist auch eine kontinuierliche Datenauswertung geplant, um Entwicklungen verfolgen zu können; es sollen Unterschiede zwischen Stadt und Land herausgearbeitet, Unterschiede zwischen den Geschlechtern beleuchtet und der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit untersucht werden.

Natürlich wird von einer Krankenkasse auch die Kostenseite thematisiert. Insgesamt wendete die Krankenkasse im ausgewerteten Jahr 2016 26,6 Millionen Euro für die Gesundheitsversorgung der bei ihnen versicherten Kinder und Jugendlichen auf. Die für die Krankenkasse gute Nachricht: Die Pro-Kopf-Ausgaben liegen mit 874 Euro im Jahr sieben Prozent unter dem Bundesdurchschnitt (939 Euro). Die Versorgungskosten von Kindern und Jugendlichen folgen stets einem U-förmigen Verlauf. Säuglinge verursachen mit durchschnittlich 1.861 Euro pro Jahr mehr als doppelt so hohe Versorgungskosten wie Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren (rund 792 Euro). Die Kosten steigen bis zum Jugendalter wieder an, auf durchschnittlich 1.041 Euro.

Sieben Prozent der Kinder verursachen gar keine Kosten. Die Hälfte der Gesamtkosten für Versorgungsleistungen entfallen auf nur drei Prozent aller Kinder, also auf die mit schweren Erkrankungen, die eine teure Therapie erfordern. Julian Witte, der die Ergebnisse für die Uni Bielefeld in Kiel bei einem Pressegespräch der DAK vorstellte, sieht dies als Plädoyer für die Solidargemeinschaft. "Wesentlicher Ausgabentreiber" ist nach Angaben der DAK das Krankenhaus. Je nach Alter entfallen auf die Klinikaufenthalte zwischen 32 und 62 Prozent der Ausgaben.

Von den insgesamt 26,6 Millionen Euro Gesamtausgaben der DAK in Schleswig-Holstein für Kinder und Jugendliche entfielen 34 Prozent auf den stationären Sektor, 29 Prozent auf die ambulante Versorgung, 18 Prozent auf die Arzneimittelversorgung, zehn Prozent auf die therapeutische Versorgung (Heilmittel), sieben Prozent auf Heilmittel und ein Prozent auf Rehaleistungen. Etwas sparsamer als im Bundesdurchschnitt geht man in Schleswig-Holstein mit Arzneimitteln um. Der etwas geringere Ausgabenanteil resultiert u. a. daraus, dass im Norden 3,4 statt 3,7 Arzneimittel je Kind im Jahr verordnet werden. Doch gerade bei der Arzneimittelversorgung gibt es ein Ergebnis, das sowohl Pädiater van Heek, als auch Wissenschaftler Witte und Volkswirt Lubinski alarmiert: 27 Prozent aller Kinder im Land erhalten ein Antibiotikum verordnet, jedes zehnte sogar ein Reserveantibiotikum. Bei der Suche nach Gründen ist man vorerst noch auf Mutmaßungen angewiesen. Van Heek nannte den enormen Zeitdruck in den Praxen und den Wunsch nach Sicherheit sowohl von Seiten der Ärzte als auch von den Eltern. Alle Beteiligten sprachen sich für einen behutsamen Umgang mit Antibiotika aus.

Etwas ratlos macht die Tatsache, dass die Kinder im Norden zwar gesünder sind als im Durchschnitt und zugleich die Schleswig-Holsteiner angeblich die glücklichsten Menschen in Deutschland sein sollen, ihre Kinder aber laut DAK-Report deutlich depressiver sind als der Nachwuchs im Bundesdurchschnitt. Für 1,2 Prozent aller Kinder und Jugendlichen wurde eine Depression diagnostiziert - das sind 19 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Bei Mädchen im Alter von 17 Jahren war die Prävalenz mit 6,4 Prozent am höchsten. Warum? Hierauf hatte keiner der Experten eine Antwort. Witte hofft, dass Folgeuntersuchungen auch zu dieser Frage mehr Aufschluss geben.

Weitere Ergebnisse des Reports:

• Adipositas ist auch bei Kindern in Schleswig-Holstein eine häufige Erkrankung. Drei Prozent leiden unter krankhaftem Übergewicht. Besonders häufig wurde diese Diagnose bei Kindern im Alter von zehn bis 13 Jahren gestellt. DAK-Chef Lubinski hält das Ergebnis für alarmierend, auch wenn der Norden besser als der Bundesdurchschnitt abschneidet. Von adipösen Kindern ist bekannt, dass sie überdurchschnittlich häufig eine Depression entwickeln.

• Jedes vierte Kind wird wegen Krankheitsbildern behandelt, die einen chronischen Verlauf nehmen können. Hier geht es am häufigsten um Erkrankungen wie Asthma oder Neurodermitis, die den Alltag des Nachwuchses und der ganzen Familie entscheidend beeinträchtigen können. Es folgen Heuschnupfen und entzündliche Darmerkrankungen. Fast jedes zehnte Kind leidet an einer psychischen Erkrankung mit potenziell chronischem Verlauf.

• Viele Kinder leiden bereits unter Rückenschmerzen. Ab dem zwölften Lebensjahr ist knapp ein Viertel aller Jungen und Mädchen betroffen. Lubinski ist über diese Zahl auch deshalb besorgt, weil frühe Muskel-Skelett-Probleme im Erwachsenenalter schwere Rückenleiden nach sich ziehen können.

• Das Morbiditätsniveau in Schleswig-Holstein ist in vielen Erkrankungsbereichen niedriger als im Bundesdurchschnitt: 20 Prozent weniger Kinder mit ADHS, 16 Prozent weniger Stoffwechselerkrankungen, zwölf Prozent weniger Atemwegserkrankungen, acht Prozent weniger Infektionskrankheiten.

• Ein Unterschied zwischen Stadt und Land zeigt sich an den Versorgungsausgaben. Kinder in Städten verursachen rund neun Prozent höhere Ausgaben - statt 850 Euro sind es 923 Euro. Der Nachwuchs in den städtisch geprägten Gebieten (ab 20.000 Einwohnern) weist deutlich häufiger Zahnkaries auf (plus 92 Prozent gegenüber ländlich geprägten Regionen), entwickelt deutlich häufiger eine Depression (plus 59 Prozent), hat häufiger Viruserkrankungen (plus 17 Prozent) und ist häufiger zu dick (plus fünf Prozent). Rund zwei Drittel des Nachwuchses in Schleswig-Holstein wachsen allerdings in eher ländlich geprägten Regionen auf. Dort fällt auf, dass Kinder und Jugendliche im Vergleich zum Nachwuchs in der Stadt eine um neun Prozent häufigere Erkrankungsrate wegen Heuschnupfen aufweisen.

• Die häufigsten Krankheitsarten in Schleswig-Holstein unterscheiden sich kaum vom Bundesdurchschnitt. Die Hälfte entfällt auf die Atemwege, 34 Prozent auf Infektionen, 29 Prozent auf Augenerkrankungen und 26 Prozent auf psychische Erkrankungen. Je nach Bundesland wechseln laut Witte die beiden zuletzt genannten Krankheitsarten mitunter die Plätze, ansonsten kommt stets die gleiche Reihenfolge heraus. Es folgen Erkrankungen der Haut, der Ohren, des Muskel-Skelett-Systems, der Verdauung, angeborene Fehlbildungen und urogenitale Erkrankungen.

Was folgt aus den Ergebnissen?

Lubinski sieht sich in der Absicht gestärkt, dass die Präventionsbemühungen intensiviert werden müssen, mit denen Kinder in ihren Lebenswelten erreicht werden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf das Kassenprogramm "fit4future", das mehr Bewegung, gesünderes Essen und weniger Stress zum Ziel hat. Bislang ist die Kasse gemeinsam mit der Cleven-Stiftung damit an rund 30 Grund- und Förderschulen in Schleswig-Holstein aktiv und spricht insgesamt rund 4800 Schüler an. "In diesem Jahr wollen wir fit4future auf weiterführende Schulen ausweiten und ab 2020 auch in Kitas gehen", kündigte Lubinski an. Ziel sei es, die Prävention "von der Kita bis zum Abitur" in den Blick zu nehmen. Wünschen würde er sich darüber hinaus, dass Wissen über Gesundheit an den Schulen aber auch jenseits solcher Programme vermittelt wird, wenn nötig, über ein Schulfach: "Das würde helfen, das Bewusstsein zu schärfen." Lubinski weiß aber auch, dass dies nur ein erster Schritt sein könnte. Im zweiten müssten die Eltern mitgenommen werden. Ohne deren Vorbildfunktion und ohne deren Unterstützung wird vieles von dem, was Kindern in Programmen beigebracht wird, nicht nachhaltig wirken.

Van Heek führte ein Beispiel an, wie Eltern ihren Kindern ganz einfach helfen könnten: durch den Verzicht auf das sogenannte "Eltern-Taxi" für den Schulweg. Kinder, die diesen Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigen, bekommen nicht nur täglich Bewegung, sondern können auch soziale Kontakte verstärken, gab van Heek zu bedenken. Außerdem sprach er sich dafür aus, Kinder aus einkommensschwachen Familien zu unterstützen. Sein Verband forderte eine Förderung der Kindergesundheit durch Armutsbekämpfung. Als Beispiele nannte der BVKJ kostenfreie Kindertagesstätten sowie Lehr- und Lernmittel, "bessere" Schulen, Beachtung der Kinderinteressen bei der Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik und beim Verbraucherschutz insbesondere durch gesündere Lebensmittel. Zugleich hält der Verband die Unterstützung von Eltern bei der Erziehung für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.


INFO

89 % aller Kinder und Jugendlichen
aller Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein haben mindestens einmal im Jahr Kontakt zu einem Arzt in der Praxis oder im Krankenhaus. Der Anteil der Kinder ohne dokumentierten Arztkontakt ist bei Zwölfjährigen am höchsten (16 Prozent).

50 % Atemwege
Atemwegserkrankungen sind die häufigste Ursache für Arzt- und Krankenhausbesuche von Kindern und Jugendlichen. Dies gilt auch für andere Bundesländer. Im Vergleich weisen die Kinder und Jugendlichen im Norden allerdings zwölf Prozent seltener Atemwegserkrankungen auf als der Nachwuchs in anderen Bundesländern. Asthma ist mit einer Prävalenz von 7,2 Prozent die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter.

34 % Infektionen
Infektionen sind in allen Bundesländern stets die zweithäufigste Ursache für Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. In Schleswig-Holstein sind sie für 34 Prozent aller Erkrankungen des Nachwuchses verantwortlich. Damit liegt der Norden 8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Dies gilt auch für zahlreiche weitere Erkrankungen - insgesamt sind die Kinder und Jugendlichen nach Abrechnungsdaten der DAK gesünder als der Durchschnitt.

26 % Psychische Erkrankungen
Die Wahrscheinlichkeit für die Diagnose einer psychischen Erkrankung oder Verhaltensstörung ist alters- und geschlechtsabhängig verschieden. Die Prävalenz nimmt innerhalb des frühen Kindesalters bis hin zum Alter von fünf Jahren zu. Mit 476 Fällen je 1000 Kindern bei Jungen und 378 Fällen je 1000 bei Mädchen war die Erkrankungshäufigkeit in diesem Alter am höchsten. Bis zum Beginn des Jugendalters sinkt die Zahl der diagnostizierten Fälle. Im späten Jugendalter wird bei Mädchen eine höhere Zahl an Diagnosen gestellt als bei Jungen. Die Prävalenz in Schleswig-Holstein liegt im Bundestrend.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201903/h19034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, März 2019, Seite 1, 6 - 8
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2019

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