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KRIEGSMEDIZIN/049: Zeitzeuge Prof. Siegwart-Horst Günther - "Ehrfurcht vor dem Leben" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2018

Zeitzeuge
"Ehrfurcht vor dem Leben" (*)

von Prof. Klaus-Dieter Kolenda


Prof. Siegwart-Horst Günther war in vielen Ländern aktiv. Prof. Klaus-Dieter Kolenda hat sich mit dem Leben des Arztes beschäftigt.


Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der Zusammenhänge zwischen der im Irakkrieg verwendeten Uranmunition vonseiten der USA und ihrer Alliierten und dem gehäuften Auftreten von Leukämien, Krebserkrankungen und Missbildungen bei Säuglingen und Kleinkindern schon 1991 vermutet und als erster bewiesen hat, dass die zurückgebliebenen Geschosse auf den Schlachtfeldern, mit denen die Kinder dort spielten, aus abgereichertem Uran bestanden und radioaktiv strahlten.

Günther starb 2015 in Husum mit fast 90 Jahren und ist dort auch begraben. Er hat ein Buch hinterlassen, das autobiografische Skizzen bis in die Zeit nach dem zweiten Irakkrieg im Jahr 2003 enthält. Es gibt aber auch zwei Dokumentarfilme des Grimme-Preisträgers Frieder Wagner über ihn, "Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra" und "Deadly Dust - Todesstaub", die auf YouTube leicht aufgerufen werden können.

Günther wurde 1925 in der Nähe von Halle an der Saale geboren. Die polnisch-jüdische Herkunft seiner Mutter führte immer wieder zu familiären Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, die das weitere Leben des Jungen geprägt haben. Der streng konservative Vater war nationalistisch eingestellt. Seit 1931 waren beide Eltern in der NSDAP, ab 1935 begann eine Parteikarriere des Vaters, der stellvertretender Gauleiter von Halle wurde.

Günthers Interesse für fremde Länder wurde an der damaligen "Reichskolonialschule", der Dr. Karl-Peters-Schule in Berlin-Pankow geweckt, die er von 1939 bis zu seinem Abitur 1941 besuchte. 1942 absolvierte er den Reichsarbeitsdienst, meldete sich anschließend mit 18 Jahren als Kriegsfreiwilliger und wurde als Offizier an der Ostfront schwer verwundet. Nach seiner Wiederherstellung kam er als Kurier im Bendler-Block (Kommando des Ersatzheeres in Berlin) zum Einsatz.

Nach dem fehlgeschlagenen Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er verhaftet, mehrere Wochen im Gestapo-Gefängnis inhaftiert und danach in das KZ Buchenwald eingewiesen, wo er wegen seines schlechten Gesundheitszustands die Befreiung im April 1945 im Krankenrevier erlebte.

Mit 54 kg Körpergewicht bei einer Größe von 1,86 m begann er 1945 in der Hungerzeit sein Medizinstudium in Jena und legte dort 1949/50 das Staatsexamen ab. 1951 arbeitete er nachmittags als Assistenzarzt in der Universitäts-Frauenklinik in Jena und vormittags im dortigen Physiologischen Institut als Lehrbeauftragter und an einer tierexperimentellen Arbeit zum Thema weibliche Sterilität. 1953 erfolgte die Promotion. 1954 wechselte er an das Physiologische Institut der Humboldt-Universität Berlin als Dozent und Vertreter des Institutsleiters, der in den Westen gegangen war. Im selben Jahr erfolgte die Habilitation. 1957 wurde er im Fach Physiologie zum jüngsten Medizinprofessor der DDR ernannt.

Im selben Jahr erhielt er einen Ruf an das Physiologische Institut der Universität Kairo und begann dort eine dreijährige umfangreiche Lehr- und Forschungstätigkeit über weibliche Sterilität und die tropische Infektionskrankheit Bilharziose. 1960 bis 1963 war er als ordentlicher Professor für Pathophysiologie und Tropenmedizin an der Universität Damaskus tätig. 1963 bis 1965 hat er in Lambarene/Gabun bei Albert Schweitzer gearbeitet und Forschungsarbeiten über Lepra, Malaria und Elephantiasis durchgeführt. In seinem Buch findet sich eine eindrucksvolle Schilderung der damaligen Verhältnisse im Urwaldkrankenhaus in Lambarene.

Nach Studien- und Forschungsaufenthalten im Institut für Tropenmedizin in London und in der Klinik für Dermatologie in Glasgow in der Zeit von 1966 bis 1969 erhielt er Anfang der 1970er Jahre erneut einen Ruf an das Institut für Tropenmedizin der Universität Kairo, wo er weiter über die Bilharziose forschte und über dieses auch im Nahen und Mittleren Osten sehr weit verbreitete Krankheitsbild ein einschlägiges Fachbuch schrieb.

Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre war er als Chefarzt einer Dermatologischen Klinik in St. Peter-Ording tätig. 1982 wurde er mit der ärztlichen Leitung eines Behandlungszentrums für Psoriasis am Toten Meer in Israel betraut. 1984 wurde ihm dort jedoch gekündigt, weil er aus einer Nazi-Familie stamme. Zu dieser Zeit musste seine Frau in St. Peter-Ording, die dort als niedergelassene Ärztin tätig war, antisemitische Schmähungen erleiden. Seine Frau sei dem Druck nicht gewachsen gewesen, schreibt Günther, habe sich schließlich von ihm getrennt und sei mit den gemeinsamen Kindern nach Süddeutschland gezogen. Nach diesen und einer Reihe weiterer unglücklicher Erfahrungen kehrte er Ende der 1980er Jahre in die DDR zurück.

Im Oktober 1990 wurde Prof. Günther zu einer ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen. Nach dem ersten Irakkrieg 1991 reiste er in Städte wie Bagdad, Basra und Mossul. Dabei beobachtete er in den Krankenhäusern vermehrt Krebserkrankungen und Missbildungen bei Kindern, die ihn an Tschernobyl erinnerten. Er brachte dies mit Geschossen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern in größerer Zahl verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten, indem sie sie zum Beispiel als Puppen anmalten. Um diese Fragen zu klären, brachte er mehrere dieser Geschosse im Diplomatengepäck mit nach Deutschland und ließ sie in Berlin untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus strahlendem Uran bestanden. Trotz der schriftlichen Bestätigung, dass es sich bei den von ihm beobachteten Erkrankungen und Missbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden handeln könnte, musste er sich wegen "illegaler Einführung von gefährlichen Stoffen" vor Gericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernsehinterviews weltweit, auch in der UNO, um dieses Kriegsverbrechen bekannt zu machen. Außerdem organisierte er verschiedene Hilfsprojekte für die Menschen im Irak. Er erhielt weltweite Anerkennung für dieses Engagement und wurde vielfach ausgezeichnet.

2003 erfolgte ein erneuter Besuch des Irak, aber auch von Bosnien, Serbien und dem Kosovo, zusammen mit dem Dokumentarfilmer Frieder Wagner. Daraus sind die beiden schon genannten Filme entstanden.


Zitat

Aus der Dankesrede von Prof. Siegwart-Horst Günther anlässlich der 10. Preisverleihung des "Nuclear Free Future Awards" 2007 in Salzburg: "Die Ehrfurcht vor dem Leben ist bei mir erheblich größer als die vor Ämtern oder Institutionen. Ich komme daher mit dem Vorwurf gut zurecht, in meiner Naivität und Unbedarftheit sei ich für die eine Seite ein nützlicher Idiot und für die andere Seite ein störrischer Quälgeist. Ich bin Arzt, meine Damen und Herren, mehr nicht!"



(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
In den "Nachdenkseiten" ist ein ausführlicher Artikel zu dieser Thematik mit der zugrundeliegenden Literatur erschienen:
Link: http://www.nachdenkseiten.de/?p=41095
http://www.nachdenkseiten.de/?p=41242


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201804/h18044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, April 2018, Seite 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2018

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