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MELDUNG/028: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 23.12.09 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  Kommunikationsprobleme im Gehirn
      Reifungsstörungen von Nervenendigungen lösen möglicherweise Autismus aus
→  Tempolimit für Rezeptor-Transport in der Zelle

Raute

Universitätsklinikum Heidelberg - 22.12.2009

Kommunikationsprobleme im Gehirn

- Reifungsstörungen von Nervenendigungen lösen möglicherweise Autismus aus
- Heidelberger Wissenschaftler veröffentlichen in "Proceedings of the National Academy of Sciences"

Damit Gehirnzellen kommunizieren können, müssen ihre Kontakte untereinander funktionieren. Dabei spielt das Eiweißmolekül Neuroligin-1 eine wichtige Rolle, da es die notwendigen Reifungsprozesse an den Kontaktstellen der Nerven (Synapsen) stimuliert. Möglicherweise ist eine Störung der Synapsenreifung auch an der Entstehung von Autismus beteiligt. Diese Ergebnisse haben Dr. Thomas Dresbach und sein Team vom Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Thomas Kuner im gleichen Institut und Professor Dr. Nils Brose, Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen, in der international renommierten Zeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht.

100 Milliarden Nervenzellen machen aus unserem Gehirn ein Denkorgan. Jede dieser Nervenzellen sendet einen langen Fortsatz aus, das Axon, das in zahlreichen kleinen Anschwellungen endet. Hier werden Botenstoffe freigesetzt, die Informationen an die nächste Nervenzelle weiterleiten. Die Kontaktstelle zwischen Nervenendigung und angrenzender Nervenzelle nennt man Synapse. Anzahl und Lage der aktiven Synapsen bestimmen, welche Gehirnregionen gerade besonders aktiv sind.

Protein Neuroligin-1 für Reifung nötig

Die Synapsen junger Nervenzellen müssen reifen, bevor sie ihre Botenstoffe in vollem Umfang freisetzen können. An gentechnisch veränderten Nervenzellen von Mäusen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die nachgeschaltete Nervenzelle, also der Informationsempfänger, ein bestimmtes Eiweißmolekül, das Neuroligin-1, in ausreichender Menge bilden muss, damit diese Reifungsprozesse ablaufen. Außerdem müssen die Nervenendigungen, also die Informationssender, bereits geringe Menge an Botenstoffen abgeben können, um das Neuroligin in der nachgeschalteten Nervenzelle zu stimulieren.

"Ein voll funktionsfähiger Kontakt kommt also nur zustande, wenn sich beide Seiten, Sender und Empfänger der Information, am Reifungsprozess beteiligen", erklärt Dr. Dresbach. Wird kein Neuroligin-1 gebildet, bleiben die Nervenendigungen in unreifen Stadien und setzten weniger Botenstoff frei, der Informationsfluss ist somit gestört. Die Nervenendigung kann sozusagen zeitlebens nur flüstern.

Autismus durch Fehlfunktion an Synapsen?

"Die Ergebnisse haben Bedeutung für aktuelle Konzepte zur Entstehung von Autismus", sagt Professor Dr. Joachim Kirsch, der Leiter des Institutes für Anatomie und Zellbiologie. Autismus macht sich schon im frühen Kindesalter durch eine Störung der Informationsverarbeitung bemerkbar. Die Erkrankung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, alle Patienten fallen aber durch Schwächen im sozialen Kontakt und in der Kommunikation auf. "Vieles deutet darauf hin, dass Fehlfunktionen synaptischer Moleküle an der Entstehung dieses Krankheitsbildes beteiligt sind. Welche Fehlfunktionen das genau sind, war bisher unklar, aber wir wissen jetzt, wonach wir suchen müssen", so Professor Kirsch. Die Studie wurde durch das FRONTIER-Programm der Exzellenz-Initiative der Universität Heidelberg gefördert.

Postsynaptic Neuroligin1 regulates presynaptic maturation.
Wittenmayer N, Körber C, Liu H, Kremer T, Varoqueaux F, Chapman ER, Brose N, Kuner T, Dresbach T.
Proceedings of the National Academy of Sciences USA, 2009, 106(32):
13564-13569.
Epub 2009 Jul 23.

Weitere Informationen
über das Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Heidelberg:
www.medizinische-fakultaet-hd.uni-heidelberg.de/Institut-fuer-Anatomie-und-Zellbiologie.102626.0.html

Ansprechpartner:
Dr. Thomas Dresbach
Institut für Anatomie und Zellbiologie
Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 307, 69120 Heidelberg
E-Mail: dresbach@ana.uni-heidelberg.de

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 7.000 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 40 Kliniken und Fachabteilungen mit 1.600 Betten werden jährlich rund 500.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.100 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. (Stand 12/2008)
www.klinikum.uni-heidelberg.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/pages/de/image106797
Nervenzellen kommunizieren in einer Zellkultur. Das Protein Neuroligin-1 ist grün gefärbt. Unten rechts Vergrößerung einer Synapse: Postsynaptisches Neuroligin-1 (grün) im Kontakt mit einer präsynaptischen Nervenendigung (violett).

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution665

Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 22.12.2009

Raute

Goethe-Universität Frankfurt am Main - 22.12.2009

Tempolimit für Rezeptor-Transport in der Zelle

Protein-Acetylierung hemmt Wirkung von Wachstumsfaktoren Wegweisende Erkenntnisse für die Krebstherapie

FRANKFURT. Die Regulation von Wachstumsfaktoren zu verstehen, welche die Vermehrung und Differenzierung von Zellen steuern, ist für die Krebsforschung von besonderer Bedeutung. Wachstumshormone entfalten ihre Wirkung über Rezeptoren, die in der Zellmembran verankert sind. Wenn außerhalb der Zelle ein Wachstumsfaktor ankoppelt, stülpt sich der betreffende Membran-Abschnitt nach innen und schnürt sich ab. In einer kleinen Blase (Vesikel) eingeschlossen wird der Rezeptor dann zu anderen Membranen innerhalb der Zelle transportiert, damit er dort die Zelle zur Teilung oder Fortbewegung anregt. Umgekehrt kann der Rezeptor aber auch lahm gelegt werden, indem er zum Lysosom transportiert und dort abgebaut wird. Um zu verstehen, wie diese beiden gegenläufigen Prozesse reguliert werden, untersuchte eine internationale Forscherkooperation, an der Wissenschaftler der Goethe-Universität maßgeblich beteiligt waren, systematisch Proteine, die für eine Wechselwirkung mit dem so genannten EGF-Rezeptor in Frage kommen. Dabei stellte sich heraus, dass die Schlüsselrolle offenbar einem Enzym zukommt, das für den Transport der Rezeptoren innerhalb der Zelle verantwortlich ist.

Der epidermale Wachstumsfaktor EGF (epidermal growth factor) ist ein Protein, das wesentlich an der Einleitung der Zellteilung beteiligt ist. Es entfaltet seine Wirkung zusammen mit einer Reihe von Rezeptoren, die als EGF-Rezeptoren bezeichnet werden. In einem ersten Schritt suchten die Wissenschaftler mithilfe Computer unterstützter Screenings systematisch nach Proteinen, die mit dem EGF-Rezeptor innerhalb der Zelle wechselwirken. Unter den 87 Proteinen, die sie identifizierten, fiel ihnen HDAC6 auf. Dieses Enzym hat einen unmittelbaren Einfluss auf den Transport der in Vesikeln eingeschlossenen EGF-Rezeptoren entlang des fein verzweigten Netzes röhrenförmiger Proteinfasern (Mikrotubuli), das die Zelle durchzieht. "Seit dem Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn hat mich die Komplexität und Dynamik dieses Transports von Rezeptoren durch die Zelle fasziniert", erklärt Prof. Ivan Dikic vom Institut für Biochemie II der Goethe-Universität, "Der Prozess erinnert an das verflochtene europäische Eisenbahnnetz, in dem es verschiedene Steuerungsebenen, Zugmodelle und Verbindungen gibt". In einer früheren Arbeit hatte der Forscher bereits gezeigt, dass dieser Prozess biochemisch durch die Phosphorylierung und Ubiquitinierung des Rezeptors gesteuert wird. Nun haben Dikic und seine kanadischen Kollegen einen weiteren Steuerungsmechanismus entschlüsselt: die Acetylierung von Proteinen. Das Enzym HDAC6 entfernt Acetylgruppen von den Alpha-Tubuli, einem Bestandteil der Mikrotubuli, und verhindert damit den Transport der EGF-Rezeptoren in die Zelle.

Als Beweis dafür, dass HDAC entscheidend an dem Prozess beteiligt ist, hemmten die Wissenschaftler die Aktivität des Enzyms, indem sie es phosphorylierten. Daraufhin wurden die Alpha-Tubuli stärker acetyliert und der Abtransport des EGF-Rezeptors zum Lysosom gefördert. "Für die Krebstherapie sind solche Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung", erklärt der junge Doktorand Yonathan Lissanu Deribe aus Adis Abeda in Äthiopien. Er war für seine Dissertation in die Arbeitsgruppe von Ivan Dikic an die Goethe-Universität gekommen und setzt seine Studien derzeit an der Universität von Toronto in Canada fort. Da EGF-Rezeptoren in Tumoren des Kopfes, Halses, bei Glioblastomen und anderen Krebserkrankungen übermäßig aktiv sind, könnte eine Kombinationstherapie hilfreich sein, die sowohl den EGF-Rezeptor, als auch das Enzym HDAC6 inhibiert.

Die Arbeit ist das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit, bei der die modernen Labortechnologien des Hochdurchsatz-Screenings und der Bioinformatik kombiniert wurden mit Theorie geleiteter zell- und molekularbiologischer Forschung. Beteiligt waren Gruppen des Instituts für Biochemie II und des Edinger Instituts an der Goethe Universität, des Frankfurter Exzellenzclusters "Makromolekulare Komplexe", des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, des Zentrums für experimentelle Bioinformatik an der Universität von Odense in Dänemark sowie zwei Gruppen der Universität Toronto.

Informationen:
Prof. Ivan Dikic
Institut für Biochemie II
Universitätsklinik
Ivan.Dikic@biochem2.de.

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigte sie sich als eine der forschungsstärksten Hochschulen.

Herausgeber:
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Redaktion:
Dr. Anne Hardy, Referentin für Wissenschaftskommunikation
E-Mail hardy@pvw.uni-frankfurt.de
Internet: www.uni-frankfurt.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution131

Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main, Dr. Anne Hardy, 22.12.2009

Raute

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2009