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MELDUNG/512: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 16.02.12 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  Was "Langweiler" interessant macht.
      Biophysiker der Universität Jena klären Funktionsweise von neuartigen Wirkstoffen
      für Ionenkanäle
→  d-LIVER: Leberunterstützungssystem für die ambulante Überwachung und Therapie von Patienten
      mit chronischem Leberversagen


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Friedrich-Schiller-Universität Jena - 15.02.2012

Was "Langweiler" interessant macht

Biophysiker der Universität Jena klären Funktionsweise von neuartigen Wirkstoffen für Ionenkanäle

Sie sind langsam und träge und tragen daher den wenig schmeichelhaften Namen "Slowpoke" - zu Deutsch "Langweiler". Fruchtfliegen mit einer bestimmten Mutation verhalten sich, anders als ihre Artgenossen, ausgesprochen lethargisch. "Durch die Mutation fehlt diesen Fliegen ein Ionenkanal, der normalerweise an einer Vielzahl von Signalprozessen beteiligt ist", erläutert Prof. Dr. Stefan Heinemann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena den Grund dafür. Der Biophysiker ist auf Untersuchungen zur Funktionsweise dieser Ionenkanäle spezialisiert und hat mit seinem Team gerade Forschungsergebnisse veröffentlicht, die diese jedoch alles andere als "langweilig" erscheinen lassen.

In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) haben die Jenaer Forscher gemeinsam mit Kooperationspartnern aus Japan und den USA jetzt erstmals zeigen können, wie bestimmte Substanzen den "Langweiler"-Ionenkanal, der auch bei anderen Organismen einschließlich dem Menschen vorkommt, regulieren (DOI: 10.1073/pnas.1114321109). Damit legen die Wissenschaftler den Grundstein für die gezielte Entwicklung neuartiger Wirkstoffe, mit denen sich künftig Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Epilepsie behandeln lassen könnten.

Ionenkanäle sind Eiweißkomplexe, die hochspezifisch nur bestimmte Ionen durch die Zellmembranen transportieren. Die resultierenden elektrischen Signale steuern beispielsweise die Funktion von Nerven- oder Muskelzellen. So reguliert der "Langweiler"-Kanal, auch BK-Kanal genannt, u. a. den Tonus der glatten Muskelzellen, mit denen Blutgefäße ausgekleidet sind. "Eine Fehlfunktion des BK-Kanals führt dazu, dass die Muskelzellen nicht mehr ausreichend relaxieren können", sagt Dr. Guido Gessner von der Uni Jena, der Erstautor der aktuellen Studie ist. "Die Folge ist eine lange Liste von Erkrankungen, die von Bluthochdruck über Inkontinenz und Migräne bis zu Epilepsie reicht", so der Wissenschaftler weiter.

Deshalb werden Wirkstoffe, die gezielt BK-Kanäle öffnen können, als potenzielle Medikamente für diese Krankheiten gehandelt. "Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die sich im Tierversuch bereits als vielversprechend erwiesen hat", so Prof. Heinemann. Doch durch die klinische Erprobung habe es noch kein Kandidat geschafft. Der Grund: Da BK-Kanäle nahezu überall im menschlichen Körper vorkommen, ist eine gezielte Beeinflussung bestimmter Zellen oder Gewebe bislang schwierig. Außerdem fehlten bisher grundlegende Informationen über die biophysikalischen und molekularen Mechanismen, nach denen diese Substanzen überhaupt wirken.

In ihrer aktuellen Studie konnten die Jenaer Wissenschaftler nun erstmals die Funktionsweise von zwei Ionenkanal-Öffnern exemplarisch aufklären. "Wir konnten zeigen, wo die Wirkstoffe an den BK-Kanal andocken und wie sie die Ionenpore öffnen", sagt Dr. Gessner. Außerdem haben die Forscher der Uni Jena ein Testverfahren etabliert, mit dem sich verschiedene Wirkstoffe funktionell klassifizieren lassen. Damit ebnen sie den Weg zur Entwicklung von Medikamenten, die nur die Ionenkanäle im gewünschten Organ aktivieren. "Das ist ein entscheidender Schritt, um möglichst nebenwirkungsarme Medikamente zu entwickeln", sagt Prof. Heinemann. Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg, betont der Grundlagenforscher.

Original-Publikation:
Guido Gessner et al.
Molecular mechanism of pharmacological activation of BK channels.
PNAS 2012
DOI: 10.1073/pnas.1114321109

Kontakt:
Prof. Dr. Stefan H. Heinemann, Dr. Guido Gessner
Zentrum für Molekulare Biomedizin
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Hans-Knöll-Straße 2, 07745 Jena
E-Mail: stefan.h.heinemann[at]uni-jena.de
guido.gessner[at]uni-jena.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution23

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 15.02.2012


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Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT - 15.02.2012

d-LIVER - IKT-basiertes Leberunterstützungssystem und Management bei chronischem Leberversagen

Im EU-Projekt "d-LIVER" entwickelt das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) zusammen mit europäischen Partnern ein IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie)-gestütztes Lebersystem, das eine medizinische Beobachtung und Überwachung von Patienten mit chronischen Lebererkrankungen auch außerhalb eines Krankenhauses erlaubt. Das Gesamtsystem besteht im Wesentlichen aus einem zellbasierten Leberunterstützungssystem, einer häuslichen Monitoring-Plattform und einem übergeordneten Informationssystem für die telemedizinische Versorgung von Lebererkrankten.

Ziel des im Oktober 2011 angelaufenen vierjährigen Forschungsvorhabens ist es, eine sichere und kostengünstige Systemplattform für die ambulante, kontinuierliche, kontextsensitive, multiparametrische Überwachung und Therapie von Patienten mit chronischem Leberversagen bereitzustellen, die zu einer höheren Qualität der medizinischen Behandlung führt und zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten beiträgt. Damit sollen Häufigkeit und Dauer von bislang nötigen Krankenhausaufenthalten bei Leberpatienten reduziert und so Kosten für das Gesundheitssystem gesenkt werden. Im Gegensatz zu bereits existierenden Leberunterstützungssystemen überwacht das "d-LIVER"-System nicht nur Patientenparameter, sondern auch den Zustand der Zellen des Leberunterstützungssystems und führt Versorger und Patienten durch die Therapie.

Medizinischer Hintergrund:

Die Leber ist ein komplexes Organ, welches eine Vielzahl von Vitalfunktionen erfüllt. Ein Leberversagen stellt daher eine lebensbedrohende Situation dar. Leberversagen kann entweder akut oder chronisch auftreten. Für beide Krankheitsbilder stellt in der Regel die Lebertransplantation die einzige kurative Therapieoption dar. Allerdings ist die Zahl der Leberpatienten weit größer als die Zahl der zur Verfügung stehenden Spenderlebern. Als Alternative zu oder während des Wartens auf eine Lebertransplantation ist die Behandlung mit einer künstlichen Leber denkbar, welche zwar den Patienten nicht unmittelbar heilt, aber das Organ entlastet und so der Leber die Möglichkeit gibt, sich zu erholen. Darüber hinaus ist die künstliche Leber einsetzbar, wenn eine Lebertransplantation kontraindiziert ist wie zum Beispiel im Falle einer Leberresektion bei Patienten mit bösartigen Geschwülsten. In der medizinischen Praxis sterben heute viele Patienten an der Folge einer Leberresektion, da sich die Leber ohne Unterstützung nicht schnell genug erholen kann. Die Überbrückung dieses Zeitraumes mittels künstlicher Leber, welche temporär wichtige Leberfunktionen ersetzt, könnte in vielen dieser Fälle die Leber entlasten, ein Erholen des Organs begünstigen und somit Leben retten.

Während medizinisch zugelassene Leberunterstützungssysteme bislang nur auf die Entgiftungsfunktion der Leber abzielen, übernehmen zellbasierte Systeme auch Synthesefunktionen der Leber. Bisher konnten verschiedene zellbasierte, künstliche Leberunterstützungssysteme erfolgreich in Phase I- und Phase II-Studien eingesetzt werden, allerdings existiert bislang kein medizinisch zugelassenes zellbasiertes Leberunterstützungssystem. Zudem fehlt für die hier anvisierte Patientengruppe mit chronischem Leberversagen eine moderne, Telemedizin-basierte Disease-Management-Plattform, mit deren Hilfe Leberersatztherapien von Patienten im häuslichen Umfeld überwacht und unterstützt werden können und Indikationen für eine Leberdialysesitzung ermittelt werden.

Das Ziel des Projekts "d-LIVER" ist die Entwicklung eines bio-artifiziellen Leberunterstützungssystems, welches für kontinuierliche aber zeitlich begrenzte Blutwäsche- und Leberersatzsitzungen am Point-of-Need, z. B. im Krankenhaus oder auch beim Patienten zu Hause, einsetzbar ist. Für den zuverlässigen Einsatz des Systems im ambulanten Bereich ist es essenziell, das System und insbesondere den Patienten während der Leberdialyse und zuhause unter Einsatz neuartiger Sensoren und Informations- und Kommunikationstechnologien zu überwachen. Im Projekt "d-LIVER" werden Bioreaktoren mit lebenden Leberzellen eingesetzt, die im Gegensatz zu rein technischen Adsorptions- oder Filtertechniken, die Entgiftungsfunktion und gleichzeitig auch die Synthesefunktion der Leber erfüllen können. Dazu werden Methoden für ihre Gewinnung und Kultivierung im großen Maßstab erforscht und Sensoren für die Überwachung ihrer Vitalität und Funktionalität im Bioreaktor entwickelt. Ferner soll ein neuartiges Informationssystem zum Leberpatientenmanagement entwickelt werden, das nicht nur die Therapiekontrolle und Überwachung des Patienten erlaubt, sondern Behandlungsrichtlinien modelliert, Arzt und Patient durch die Behandlung führt und mit echter Entscheidungshilfe und mit Gesundheitsratschlägen unterstützt.

Projektdurchführung:

Das Projekt "d-LIVER" ist sehr anwendungsorientiert und basiert auf vier miteinander verbundenen und von Klinikern definierten Szenarien. Diese Szenarien dienen als Grundlage für die Festlegung der Spezifikationen für die Entwicklung der Kommunikationstechniken und Sensoren des "d-LIVER"-Systems. So ist sichergestellt, dass das "d-LIVER"-System die Bedürfnisse einer kontinuierlichen klinischen Unterstützung, Überwachung und Therapie von Leberpatienten erfüllt. Diese vier Szenarien sind:

1. Chronisches Leberversagen
2. Chronisch cholestatische Lebererkrankung
3. Überbrückungsmaßnahme vor einer Lebertransplantation
4. Akutes Leberversagen

Letzteres Szenario wird am Ende des Projekts für die klinische Bewertung des Leberersatzsystems herangezogen. Auf der Grundlage der vier Szenarien werden eine ganze Reihe von physiologischen und biochemischen Parametern festgelegt, die entweder in regelmäßigen Abständen oder kontinuierlich (z. B. Überprüfen des Gesundheitszustands des Patienten, insbesondere der Leberfunktion) mittels geeigneter Sensoren gemessen und dann an das Leberpatienten-Managementsystem übermittelt werden. Die Überwachung durch das Leberpatienten-Managementsystem umfasst die folgenden Bereiche:

1. Anzeige / Entscheidung / Timing / Planung für Behandlungen mit der künstlichen Leber.

2. Grundlegende Fernüberwachung während der Leberunterstützungstherapie.

3. Evaluation des Therapieerfolges nach Behandlungen mit der künstlichen Leber, bzw. nach Entgiftungen.

4. Fernüberwachung der Funktion der Patientenleber, der Toxinmenge und des Allgemeinzustands.

5. Für Patienten zu Hause: Erteilen von Empfehlungen zum persönlichen Lebensstil und Verhalten auf Basis der Sensordaten.

6. Führen des Arztes und des Patienten durch die Therapie anhand von durch Experten erstellten Behandlungsplänen.

Neben verschiedenen mikrosystemtechnischen Sensoren nehmen die Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb des Projekts einen breiten Platz ein. Ein erster Kommunikationspfad betrifft die Fernüberwachung des Leberpatienten. Dazu sind neben den IKT verschiedene Sensoren nötig. Beispielsweise werden tragbare Sensoren entwickelt, um kontinuierlich den Gesundheitszustand des Patienten zu Hause anhand einer Vielzahl klinisch relevanter Parameter (z. B. Herzfrequenz, Blutdruck, Temperatur, Aktivität) zu überwachen. Darüber hinaus ist die Messung bestimmter Blutparameter erforderlich, für die ein Analysegerät entwickelt wird, welches eine biochemische Analyse des Patientenbluts hinsichtlich Leberparameter am Point-of-Need erlaubt. Die Entwicklungsschwerpunkte liegen dabei auf der Genauigkeit und Robustheit der Messungen. Ein zweiter Kommunikationspfad betrifft die Überwachung der künstlichen Leber. Für den Einsatz in der künstlichen Leber werden neuartige Sensoren entwickelt, um die Qualität und Effizienz der Zellen innerhalb der künstlichen Leber kontinuierlich zu überwachen. Der dritte Kommunikationspfad betrifft die interoperable Kommunikation zwischen der künstlichen Leber, dem Patient-Sensor-Netzwerk und dem Krankenhaus-Informationssystem. Die Entwicklung des innovativen Leberpatientenmanagementsystems wird zu einer völlig neuen Dimension der Patientenversorgung zu Hause führen.

Das entstehende Leberpatientenmanagementsystem erlaubt die Fernbedienung des Leberersatzsystems, erfasst Feedback zum Zustand des Patienten und der Zellen und stellt diese Informationen aufbereitet für den behandelnden Arzt zur Verfügung. Außerdem erstellt es Vorschläge zur Zeitplanung von Dialyse-Sitzungen des Patienten, erkennt eigenständig auftretende Gesundheitsprobleme und alarmiert in diesem Fall den behandelnden Arzt. Erstmals wird es in dem System möglich sein, Behandlungsprozesse als Arbeitsabläufe zu modellieren und darüber die Therapie zu steuern. Für den Patienten wird dafür ein speziell auf seine Lebererkrankung zugeschnittener Persönlicher Gesundheitsmanager für Tablet-Computer entwickelt.

In dem von der Newcastle Universität (UK) koordinierten und von der EU mit 10,9 Millionen Euro kofinanzierten Vorhaben "d-LIVER" arbeiten die Abteilungen "Telematik & Intelligente Gesundheitssysteme", "Biomedizinische Mikrosysteme" und "Zellbiologie & Angewandte Virologie" des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik mit 13 weiteren Partnern aus Europa zusammen. Das Fraunhofer IBMT leitet die Arbeitspakete zur Entwicklung des bio-artifiziellen Leberunterstützungssystems und des Leberpatientenmanagementsystems. Kernpartner des IBMT sind auf deutscher Seite die Charité Universitätsmedizin Berlin sowie die Firmen Stem Cell Systems GmbH und STAR Healthcare Management GmbH.

Weitere Informationen zu d-LIVER:
http://www.d-liver.eu

Ansprechpartner

Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT
Ensheimer Straße 48
66386 St. Ingbert

Dipl.-Inform. Stephan Kiefer
Home Care & Telemedizin
stephan.kiefer@ibmt.fraunhofer.de

Dr. Thomas Velten
Biomedizinische Mikrosysteme
thomas.velten@ibmt.fraunhofer.de

Dr. Erwin Gorjup
In-vitro-Kulturtechniken
erwin.gorjup@ibmt.fraunhofer.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.d-liver.eu
http://www.ibmt.fraunhofer.de/de/Arbeitsgebiete/ibmt-telematik-intelligente-gesundheitssysteme/ibmt-telematik-home-care-telemedizin.html
http://www.ibmt.fraunhofer.de/de/Arbeitsgebiete/ibmt-biomedizinische-mikrosysteme.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution259

Quelle: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT, Dipl.-Phys. Annette Maurer, 15.02.2012


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012