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UMWELT/873: Thema Klimaschutz im Gesundheitswesen - Zwischen Fortschritten und Ernüchterung (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2023

Zwischen Fortschritten und Ernüchterung

von Dirk Schnack


KLIMA. Das Thema Klimaschutz ist im Gesundheitswesen seit Jahren präsent - nicht nur auf den Deutschen Ärztetagen. Fragt man aber nach konkreter Umsetzung und Erfolgen, hakt es oft. Eine Umfrage zeigt, wo Ärztinnen und Ärzte sich mehr Initiative wünschen.

Dass Klimaschutz vielen Ärztinnen und Ärzten wichtig ist, lässt sich an der Präsenz des Themas auf Veranstaltungen und in Fachmedien ablesen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich Erfolge einstellen. Ärztinnen und Ärzte sehen ihre Bemühungen zum Teil gebremst, weil die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen sie hemmen.

Dies zeigt eine Umfrage der Hamburger Stiftung Gesundheit im Auftrag des Berliner Centre für Planetary Health Policy (CPHP), die zum Ärztetag veröffentlicht wurde. Deutlich werden die Wünsche der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte in Sachen Klimaschutz in folgenden Bereichen:

• Leitlinien und Empfehlungen: 82 Prozent wünschen sich diese zum ressourcenschonenden Einsatz von Medikamenten und Medizinprodukten. 79 Prozent sind für eine Vereinbarkeit von Hygienevorschriften und Nachhaltigkeit und 67 Prozent erwarten Beratung von Fachgesellschaften und Berufsverbänden.

• Fort- und Weiterbildung: 68 Prozent wünschen sich diese zu Klimafolgen und klimafreundlichem Lebensstil, 63 Prozent zu klimafreundlicher Ernährung und 53 Prozent würden Umwelt- bzw. Klimamanager begrüßen.

• Strukturelle Anreize: 76 Prozent sind für steuerliche Vergünstigungen für klimafreundliche Maßnahmen, 57 Prozent wünschen sich eine Abrechnungsziffer für Hitzeberatung und 46 Prozent ein Umweltsiegel für Einrichtungen.

• Vor Ort: 59 Prozent würden es begrüßen, wenn es Unterstützung zum Klimaschutz durch Kollegen oder Kolleginnen gäbe. 57 Prozent wären für eine Priorisierung von Nachhaltigkeit in ihrer Einrichtung.

Die Umfrage zeigt auch, dass Maßnahmen und Beratungen zum Hitzeschutz ausbaufähig sind. Laut Umfrage hat fast die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen noch keine regelmäßigen Hitzeschutzmaßnahmen wie etwa Verschattung oder das Verschieben von Sprechzeiten in die Morgen- oder Abendstunden vorgenommen.

Dorothea Baltruks, Co-Autorin der Umfrage, forderte eine intensivere Vorbereitung von Kliniken und Praxen: "Andernfalls werden hohe Temperaturen weiterhin Gesundheit und Wohlbefinden vor allem vulnerabler Gruppen wie Kleinkinder, Schwangere, Menschen, die im Freien Arbeiten, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen bedrohen."

Die unterbliebenen Schutzmaßnahmen überraschen auch, weil immerhin 59 Prozent der Teilnehmenden regelmäßig oder mehrmals gesundheitliche Auswirkungen von Hitzewellen bei den Patienten erkennen. Insbesondere Ärztinnen und Ärzte aus der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin, Dermatologie, Pädiatrie und Psychiatrie nehmen diese Auswirkungen wahr. Lediglich 31 Prozent gab an, solche Auswirkungen bei ihren Patienten gar nicht zu beobachten.

Was aber unternehmen die Ärztinnen und Ärzte persönlich, um Klimaschutz in ihren Arbeitsalltag zu integrieren? Am weitesten sind sie bei der Einführung und Umsetzung von Konzepten, die den Ressourcenverbrauch reduzieren helfen. 53 Prozent haben damit bereits begonnen, weitere 22 Prozent werden dies in naher Zukunft anpacken. Ein Zehntel der Teilnehmenden ist noch unentschlossen, 15 Prozent sehen dies als nicht relevant an.

Relativ weit sind die Ärzte, wenn es um eine präventionsorientierte und ressourcenschonende Zuwendungsmedizin geht. 42 Prozent haben damit begonnen, 22 Prozent haben dies demnächst vor. Am wenigsten ist bislang bei der Fort- und Weiterbildung passiert. Nur 15 Prozent haben solche Angebote schon einmal wahrgenommen.

Dieses Ergebnis könnte ernüchtern, da Klimaschutz aus der Ärzteschaft zwar gefordert wird, andererseits im eigenen Verhalten offenbar noch viel Luft nach oben besteht. Anne Schluck von der Klima AG des Praxisnetzes Malente/Eutin sagte dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt dazu: "Mehr geht sicherlich immer. Jedoch ist es vor allem in Kliniken und nicht inhabergeführten Einrichtungen kaum möglich, ganz entscheidende Veränderungen durchzusetzen. In der eigenen Praxis sieht das natürlich anders aus. Hier kann im Kleinen viel verändert werden."

Wichtig ist ihr eine ressourcenschonenende Medizin mit einer patientenorientierten Arbeitsweise. So könnten viele Untersuchungen und Verschreibungen, die für einen Großteil des CO2-Abdrucks einer Praxis verantwortlich sind, vermieden werden. Schluck gab zu bedenken, dass man bei individuellen Bemühungen an seine Grenzen stößt, weil die Zahl der Untersuchungen, und nicht Effektivität und Qualität einer Behandlung auf die Gesundheit der Patienten vergütet wird. Dies müsse sich im System grundlegend ändern und außerdem Nachhaltigkeitskriterien bei der jeder Entscheidung mitbedacht werden. Schluck ist überzeugt, dass viele Kollegen nachhaltiger agieren wollen, aber rasch an die Grenzen z.B. von Hygienevorschriften stoßen oder daran scheitern, dass auf dem Markt im Medizinbereich kaum nachhaltige Materialen zur Verfügung stehen. Sie glaubt, dass finanzielle Anreize für Praxen und Kliniken bei der Transformation hin zu einem klimaneutralen Gesundheitssystem ihre Wirkung entfalten würden.

Und wie stark engagieren sich Landesärztekammern und Fachgesellschaften im Klimaschutz? Auch hierzu gibt die Umfrage Aufschluss. Vielen Ärzten ist ein solches Engagement schlicht unbekannt. Nur zwei Prozent gab an, dass ihre Landesärztekammer klimafreundliche Reisekostenbestimmungen hat und sie selbst diese auch nutzen. 81 Prozent wissen nicht, ob solche Bestimmungen in ihrer Kammer existieren. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob Versorgungswerke eine Strategie verfolgen, um klimaschädliche Wirkungen der Anlagen zu minimieren - 79 Prozent ist dies unbekannt. Die Autoren sind überzeugt, dass solche Strategien durch die Klimakrise bedingte ökonomische Risiken reduzieren und negativen gesundheitlichen Risiken durch bestimmte Industriesektoren entgegenwirken können. Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren hatte der 125. Deutsche Ärztetag die Versorgungswerke zu einem nachhaltigen Investment aufgefordert.

Schluck hält eine Änderung der strukturellen Rahmenbedingungen Richtung Nachhaltigkeit für dringend notwendig. Hygienevorschriften, Medizinprodukte und Vergütungssysteme müssten auf Nachhaltigkeit überprüft und entsprechend angepasst werden. "Nur dann besteht eine Chance für eine wirkliche Transformation des Gesundheitssystems Richtung Klimaneutralität", glaubt die Ärztin aus Eutin. Im Bereich Fortbildung sei die Ärztekammer Schleswig-Holstein schon "auf dem Weg, doch auch hier kann sicherlich noch mehr Angebot auch direkt in Kliniken, Ärztenetzen und Praxen stattfinden."

Für die Umfrage hatte die Stiftung Gesundheit bundesweit 20.000 Ärztinnen und Ärzte befragt. 433 Ärztinnen und Ärzte aus Kliniken (35 Prozent), Praxen (61 Prozent) und MVZ (vier Prozent) mit einem Altersdurchschnitt von 61 Jahren hatten sich beteiligt, zwei Drittel von ihnen sind männlich.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2023
76. Jahrgang, Seite
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. September 2023

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