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BUCH/1206: Autobiografie - Steiniger Lebensweg hin zu einer menschlichen Medizin (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2010

Abschied vom Vogtland

Steiniger Lebensweg hin zu einer menschlichen Medizin


In "Abschied vom Vogtland" beschreibt Prof. Karl-Heinz Engelhardt, wie er die Nachkriegs- und Aufbaujahre erlebt hat.


Die positiven Reaktionen auf den ersten Teil seiner Biografie ("Licht und Schatten des Vergangenen"), hatten den Autor Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt (Kiel) bewogen, seine - exemplarisch gemeinte - bewegte Lebensgeschichte mit einem weiteren Band fortzusetzen.

Das Buch umfasst die spannenden Nachkriegs- und Aufbaujahre 1946 bis 1958. Die erste Hälfte spielt im Vogtland, also im Osten, und zeigt die Schwierigkeiten der Berufsfindung nach dem Schulabschluss. Wie der Protagonist zur Medizin findet, zeigt das folgende, für den Lebensweg bedeutsame Zitat (S. 49): "Dr. Reichwein, der allseits geachtete Mühltroffer Landarzt, stand ihm als Vorbild vor Augen, der ihn selbst behandelt hatte. Reichwein, Mitte vierzig, hörte seinen Patienten zu und ermutigte sie. Nach der Untersuchung schrieb er ein Rezept, und schon bevor sie ihr Medikament in der Löwenapotheke abgeholt hatten, fühlten sie sich besser. Sie vertrauten ihm. Vormittags hielt er Sprechstunde und nachmittags besuchte er die Patienten zu Hause, lernte das Umfeld des Kranken, seine Wohnung und Familie kennen. Wäre eine solche Arbeit nicht ein guter Weg, Aufschluss über den Menschen und über sich selbst zu gewinnen?"

Es folgen Beschreibungen der Zeit als Lehrling in einem Plauener Kellerlabor, die enttäuschte Hoffnung in West-Berlin und die Motive für die Flucht nach Westdeutschland Ende 1950. Manches dürfte der eine oder andere Leser als Kind selbst erlebt oder von Nahestehenden gehört haben: der Einmarsch der Amerikaner, später der Russen, die Demontage von Fabriken und Bahngleisen, der Austausch der Lehrer durch "unbelastete" Kollegen, die prosowjetischen Spruchbänder, der Uranbergbau im Erzgebirge ...

Die zweite Hälfte des Bandes berichtet vom Anfang im Westen als Hilfsarbeiter im Ruhrgebiet und als Medizinstudent in Hamburg, Tübingen und Heidelberg, mit all den schwierigen und guten Seiten des damaligen Studiums. Anschaulich schildert Engelhardt das Leben vor dem Hintergrund der Adenauer-Zeit und des Kalten Krieges.

Dabei geht es immer auch um allgemein Interessierendes wie Liebe, Krisen, Krankheit und Tod, politische und religiöse Konflikte, keineswegs aber um eine erinnerungsselige Verklärung des Vergangenen. Der Autor schreibt vorsichtig-selbstkritisch: "Wenn wir auf unser Leben zurückblicken, so ist es zu einem großen Teil im Meer des Vergessens verschwunden, es bleiben Inseln des Erinnerns, sozusagen Erinnerungskerne, die eines authentischen Mantels bedürfen: So könnte es damals gewesen sein."

Weil Engelhardt nicht nüchtern-historisch, sondern autobiografisch-romanhaft schreibt, gelingt es ihm, das Interesse nicht nur der Leser zu gewinnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dazu tragen die lebendigen, auch sprachlich gut lesbaren Porträts von menschlich bedeutsamen Persönlichkeiten aus Medizin, Philosophie und Theologie wie Viktor von Weizsäcker, Bürger-Prinz, Karl Jaspers oder Karl Barth bei.

Die norddeutschen Leser könnte besonders der Weg des Autors vom Süden in den Norden (1958 nach Kiel) interessieren. Bemerkenswert ist seine Liebe zum Meer und nicht nur zu den Alpen, ja die Hommage an Kiel im vorletzten Kapitel. Insgesamt ein bewegendes Buch, das dem Leser ins Gedächtnis ruft, wie viel Menschen einer Generation gemeinsam haben und wie unnötig viele Auseinandersetzungen angesichts der begrenzten Lebenszeit eigentlich sind: "Tua res agitur" (auch du bist gemeint), sagt uns Karlheinz Engelhardt. Er gibt damit wohl zugleich eine Anregung für andere (Ärzte), in der Muße des Ruhestands ihre Vita aufzuschreiben.

"Abschied vom Vogtland - Lehr- und Wanderjahre im geteilten Land", Vogtland-Verlag Wolfgang Günther 2009, 167 Seiten, 9,90 Euro.

Horst Kreussler


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201002/h10024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2010
63. Jahrgang, Seite 82
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010