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FORSCHUNG/2022: Gelähmte Muskelfasern durch niedrige Kaliumkonzentration (uni ulm intern)


uni ulm intern, Nr. 297, April 2009 - Das Ulmer Universitätsmagazin

Zusammenhänge entdeckt:
Gelähmte Muskelfasern durch niedrige Kaliumkonzentration    


Auch in der klassischen Physiologie werden noch unbekannte Phänomene entdeckt! Die gerade in PNAS erschienene Arbeit zeigt, dass Muskelzellen zwei Zustände einnehmen können, nämlich einen, in dem die Zellen entsprechend der Nernstschen Gleichung für Kalium polarisiert und elektrisch erregbar sind und Kraft entwickeln können (Z1), und einen zweiten, in dem sie auf etwa -60 mV depolarisiert und daher unerregbar und gelähmt sind (Z2). Die Bimodalität ist eine Folge der einwärts gleichrichtenden Kir Kaliumkanäle. Bei Hypokaliämie sinkt die Leitfähigkeit der polarisierenden Kir Kanäle so sehr, dass die depolarisierenden Einflüsse an der Membran überwiegen und viele Zellen in den Z2-Zustand übergehen.


Ist der depolarisierende Einfluss verstärkt (zum Beispiel durch ein winziges Membranleck!), steigt die relative Z2-Häufigkeit drastisch an (permanente Schwäche), obwohl sich das Ruhemembranpotential der polarisierten Zellen nur geringfügig ändert. Es reicht dann eine kleine Reduktion der Serumkaliumkonzentration auf Werte, die noch im Normbereich liegen, um alle Zellen in den Z2-Zustand zu versetzen.

Dieses (patho)physiologische Prinzip entdeckten wir bei der hypokaliämischen periodischen Paralyse und verifizierten es durch Anwendung von Ionophoren (1µM Gramicidin oder 10 µM Amphotericin). HypoPP ist somit ein genetisch bedingtes Modell für Krankheiten infolge eines Membranlecks und deren Behandlung zum Beispiel mit Azetazolamid, das viele Zellen von Z2 zurück nach Z1 verschiebt.

Auch andere Zellen wie Herzmuskelzellen und Nervenzellen exprimieren Kir-Kanäle und haben somit die Eigenschaft, in Abhängigkeit vom Blutkaliumwert Zustände mit normaler Funktion (Z1) oder Funktionsverlust (Z2) einnehmen zu können.

Daher kann eine diätetische oder medikamentöse Erhöhung der Kaliumkonzentration auch bei Krankheiten sinnvoll sein, bei denen ein »elektrischer Kurzschluss« der Zellmembran besteht, nach Schlaganfall oder Herzinfarkt zum Beispiel. Bei Postinfarktpatienten hat sich dieses Therapiekonzept schon seit einiger Zeit bewährt, ohne dass hierfür die Gründe bekannt waren.

Die Arbeit ist sofort in die Liste der 20 interessantesten Publikationen über Ionenkanäle des Februars 2009 und in die »Faculty of 1000 Biology« aufgenommen worden.


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Quelle:
uni ulm intern, Nr. 297 (39. Jg.), April 2009, S. 32
Herausgeber: Universität Ulm, Pressestelle
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uni ulm intern erscheint sechsmal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009