Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

GESCHICHTE/548: Der Lebensreformer und Naturheilkundler Friedrich Eduard Bilz, 1842-1922 (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 12 vom 3. Juli 2012

"Das Volk weigere sich, sich irre leiten zu lassen!"
Der Lebensreformer und Naturheilkundler Friedrich Eduard Bilz (1842-1922)

Von Marina Lienert



Im Juli 1882 veröffentlichte ein Kolonialwarenhändler aus der kleinen sächsischen Stadt Meerane eine Schrift mit dem vielsagenden Titel "Der Schlüssel zur vollen menschlichen Glückseligkeit oder Umkehr zum Naturgesetz. Ein Beitrag zur Lösung der zeitgemäßen Frage: Wie hat die heutige Menschheit sich einzurichten, wenn sie Siechthum, Krankheit, Armuth und sonstiges Elend meiden und den Vollgenuß der irdischen Glückseligkeit dauernd erringen will?" Im Vorwort bezeichnet Bilz sich als ein "Mann aus dem Volke", der "kernige Wahrheiten in schlichter Form dem Volke predigen" wolle. Sein Lebensweg scheint ihn in der Richtigkeit seiner Thesen zu bestätigen, hat er doch selbst Armut und Krankheit hinter sich lassen und ein langes, von beruflichem Erfolg und persönlichem Glück erfülltes Leben führen können. Sein Eintreten für eine wahre Lebensreform trat allerdings in den Hintergrund gegenüber seiner Bedeutung als Naturheilkundler. In der Gegenwart zeugt das Bilz-Bad in Radebeul aber immer noch davon, dass er seinen erworbenen Wohlstand auch zur Verwirklichung seiner lebensreformerischen Ideen einsetzte.

Die Verbundenheit mit der Natur wurde ihm in die Wiege gelegt, wurde er doch am 12. Juni 1842 als Sohn eines Gemüsebauern in Arnsdorf bei Penig geboren. Nach dem Besuch der Volksschule musste er zeitig in der Wirtschaft mithelfen. Als er dann im Alter von vierzehn Jahren vom schwer kranken Vater in die Weberlehre geschickt wurde, litt er schwer unter den gesundheitsgefährdenden Arbeits- und Lebensbedingungen: "Ich mußte dann gleich den anderen Arbeitern jeden Tag vierzehn Stunden arbeiten. Auch Sonntags wurde durchschnittlich einen halben Tag gearbeitet. Weil die Beschäftigung überhaupt anstrengend war, so muß ich bemerken, dass sie für einen jungen Burschen von vierzehn Jahren sicher als Überanstrengung betrachtet werden dürfte. [...] Ich schlief volle drei Jahre mit drei anderen Schlafkollegen zusammen [...] in einem unventilierten Kämmerchen, wo kaum die zwei Betten Platz hatten, in denen wir vier zusammen schliefen [...]." Bilz ging auf die Walz und fand schließlich in Meerane Arbeit als Webergeselle. In mehrfacher Hinsicht glückliche Umstände beeinflussten seinen Lebensweg Ende der 1860er Jahre entscheidend: Im April 1868 wurde ihm und der Tochter des Meeraner Webermeisters Johann August Kreil, Marie Auguste (1848-1907), die erste Tochter geboren. Zwei Monate später heirateten Friedrich Eduard und Marie Auguste. Bilz richtete in einer kleinen Mietwohnung eine eigene Familienweberei ein. Eine grundlegende Verbesserung der materiellen Verhältnisse seiner Familie aber konnte er erst mit der Eröffnung eines Kolonialwarenladens in einem vom Schwiegervater gekauften Haus in der Albanstraße 18 erreichen. Hier erwirtschaftete er mit kaufmännischem Geschick ein sicheres Einkommen für seine immer weiter wachsende Familie. Doch von seinen insgesamt zwölf Kindern wurden fünf entweder tot geboren oder starben bereits vor Vollendung des vierten Lebensjahres. Auch diese Erfahrungen mögen ihn bewogen haben, sich dem 1872 in Meerane gegründeten Naturheilverein anzuschließen.

Bilz fand in der Naturheilkunde aber nicht nur die Anleitung für eine gesunde Lebensweise und eine Heil(selbst)behandlung im Krankheitsfall, wie er in seinem Erstlingswerk darlegte. Er glaubte im "Naturgesetz "auch die Lösung aller gesellschaftlichen Fragen gefunden zu haben. Die Herstellung der naturgemäßen Staatsordnung, die Verhinderung der Kriege sollte aber nicht "auf dem Wege der Gewalt oder durch Ratschläge zum Umsturz" erfolgen: "Es giebt einen besseren und weit wirksameren Weg. Das Volk weigere sich, sich irre leiten zu lassen durch diejenigen, welche ein Interesse an der Aufrechterhaltung des jetzigen Zustandes haben und durch Erweckung seiner Leidenschaften das Volk nur zu oft zum Werkzeug ihrer selbstsüchtigen Zwecke machen." (S. 71) Bilz ging von der These aus, dass der Mensch das Produkt seiner Verhältnisse sei und alle schlechten Verhältnisse von den Menschen selbst geschaffen würden. Daher müssten die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder den gottgegebenen Naturgesetzen angepasst werden. Die von ihm propagierten notwendigen Reformen umfassten alle Lebensbereiche: Er forderte ein gesellschaftliches Eigentum an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln, das Recht und die Pflicht zur Arbeit für alle, eine Verkürzung der Arbeitszeit auf maximal 8 Stunden täglich oder auch den Verzicht auf unnötigen Luxus, wie modische, aber wenig zweckmäßige Kleidung. Mit dem modernen Begriff des nachhaltigen Wirtschaftens ließen sich seine Auffassungen zur Produktqualität durchaus zusammenfassen. Er begrüßte den technischen Fortschritt und wollte ihn zum Wohle aller eingesetzt wissen. Aus der Arbeitspflicht ergab sich auch ein Grundgehalt, das bis zum Lebensende, also auch während einer Krankheit und des gesetzlich festzulegenden Rentenalters gezahlt werden sollte. Eine naturgemäße, gesundheitserhaltende Lebensweise mit viel Sport und Spiel in der Freizeit und vorwiegend naturheilkundliche Behandlung im Krankheitsfall sollten allen ein langes, glückliches Leben ermöglichen.

Bilz vermochte es offenbar tatsächlich, seine doch sehr utopisch klingenden Gedanken allgemeinverständlich und überzeugend darzulegen. Das Buch erlebte schon im folgenden Jahr (1883) eine zweite Auflage, nun ergänzt um einen naturheilkundlichen Anhang. Dieser wiederum fand soviel Anklang, dass Bilz sich zu einer umfassenden Überarbeitung entschloss. Als er 1888 eine dritte Auflage herausbrachte, nannte er den ersten Teil nun "Das neue Heilverfahren und die Gesundheitspflege", während ein zweiter Teil seine lebensreformerischen Auffassungen wiedergab. Der später unter dem Titel "Das neue Naturheilverfahren" in millionenfacher Auflage verkaufte, allgemein nur das "Bilz-Buch" genannte Bestseller wurde in dreizehn Sprachen übersetzt und machte Bilz zum wohl populärsten Naturheilkundler neben Pfarrer Sebastian Kneipp. Beide überwanden die in der Naturheilkunde verbreitete Festlegung auf ein besonderes Naturheilverfahren, also etwa die Kaltwasserheilkunde nach Prießnitz, die Schrothsche Diätetik oder die Licht-Luft-Therapie nach Rikli. Bilz probierte alle ihm bekannten Verfahren selbst aus und warnte insbesondere vor Übertreibungen. Man könnte einen wesentlichen Unterschied in den naturheilkundlichen Auffassungen zu Kneipp darin benennen, dass dieser mit erhobenem Zeigefinger seine Jünger mahnte "So sollt ihr leben!", bei Bilz hingegen die Naturheilkunde vor allem Spaß machen und schmecken sollte.

Für die Umsetzung seiner Vorstellungen beließ es Bilz nicht bei seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Zur besseren Vermarktung seiner Verlagsprodukte - insbesondere seiner Zeitschrift "Bilz' Haus- und Familienschatz" - war er 1889 nach Dresden in eine Wohnung im Obergraben 2 gezogen, wo es ihm aber bald wiederum zu eng wurde. So erwarb er im folgenden Jahr in der Oberlößnitz das Strubellsche Weinberggrundstück auf dem Strakenweg 86 (heute Eduard-Bilz-Straße 53). Der Weinbau war in den vergangenen Jahren der Reblaus zum Opfer gefallen und gleichzeitig wurde die Oberlößnitz nun zu einem bevorzugten Wohnort begüterter Dresdner Bürger. Bilz wählte ein Grundstück weit oben am Hang, mit einer wunderbaren Sicht über das Elbtal, eigener Quelle, zwei Teichen sowie Kuh- und Pferdeställe. Die klassizistische Villa war unter anderem mit einer römischen Badestube und einem Backofenraum ausgestattet. Wann sich Bilz entschloss, in sein Haus auch Patienten aufzunehmen, ist unklar. Dies war möglicherweise auch seine Absicht, legte er doch keinen allzu großen Wert auf die Absegnung seiner Tätigkeit durch die Behörden. Jedenfalls erhielt Bilz 1892 nach dem Umbau seines Hauses die Erlaubnis, höchstens 15 Kranke gleichzeitig in seiner Villa zu versorgen. Der enorme Patientenandrang, noch gesteigert mithilfe eines intensiven und kontinuierlichen Werbefeldzuges, ermöglichte ab 1894 den weiteren Ausbau des Sanatoriums, das schließlich bis zu 180 Hilfesuchende gleichzeitig aufzunehmen vermochte. Da in Sachsen die überall im Deutschen Reich herrschende Kurierfreiheit insofern eingeschränkt war, dass ein Sanatorium immer unter ärztlicher Leitung zu stehen hatte, musste auch Bilz einen Arzt einstellen. Zeitweise konnte er auf drei approbierte Ärzte verweisen, welche zunächst die Diagnosestellung übernahmen, während Bilz und andere angestellte Heilpraktiker die Therapiepläne erstellten. Später verfügten die Ärzte selbst über die notwendige Kenntnis der Naturheilkunde, um selbständig auch das therapeutische Herangehen zu bestimmen. Dafür wurden sie vom Ehrengericht der ärztlichen Standesorganisation zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt, da sie zur Schande der gesamten Ärzteschaft das Treiben eines "Kurpfuschers" unterstützten.

Die Ärzteschaft war auch entsetzt über das Treiben in dem 1905 eröffneten "Licht-Luft-Bad", das auf zunächst 90.000 m², später sogar auf 300.000 m² Fläche in drei Abteilungen (Familien-, Herren- und Damenbad) für wenig Geld die Möglichkeit bot, sich in Licht und frischer Luft zu bewegen und zu entspannen. In Luft-Hütten konnten die Badegäste sich auch bei schlechterem Wetter erholen. Die Badeteiche ergänzte Bilz 1912 um eine weitere Attraktion, das "Undosa-Wellenbad", heute noch im Sommer das Ziel zahlreicher Dresdner und Radebeuler Erholungsuchender. Kein anderer bedeutender Naturheilkundler oder Naturarzt setzte so wie Bilz das mit der Naturheilkunde verdiente Vermögen zu nicht unbeträchtlichen Teilen dafür ein, das von ihm propagierte Ideal einer naturgemäßen Lebensweise für Alle zu verwirklichen. Hier glaubte er die Erziehung der Kinder mit Spiel und Spaß beeinflussen zu können, um langfristig eine gerechtere, gleiche Lebenschancen für jeden bietende Gesellschaft erreichen zu können.

*

Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 23. Jg., Nr. 12 vom 03.07.2012, S. 7
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82, Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2012