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AUSLAND/2095: Südsudan - Zehntausende Überlebende nach Gewalt in Bentiu von Krankheiten bedroht (Ärzte ohne Grenzen)


Ärzte ohne Grenzen - 28. April 2014

Südsudan: Nach beispielloser Gewalt in Bentiu sind Zehntausende Vertriebene von Krankheiten bedroht



Juba/Berlin, 28. April 2014. Zehntausende Überlebende der brutalen Gewalt in der Stadt Bentiu im Südsudan sind nun akut von Krankheiten bedroht. Auf dem Gelände der UN-Truppen, wo nach den Kämpfen am 15. April innerhalb weniger Tage 22.000 Vertriebene Zuflucht gesucht haben, fehlen Trinkwasser und Latrinen. Werden die Wasserversorgung und die Sanitäranlagen nicht schnell verbessert, droht der Ausbruch vermeidbarer Krankheiten.

Auf dem überfüllten Gelände müssen sich derzeit 130 Personen eine Latrine teilen, viele verrichten ihre Notdurft im Freien. Das stellt ein gewaltiges Gesundheitsrisiko dar. Derzeit stehen weniger als sechs Liter Wasser pro Person und Tag zur Verfügung, als Minimum gelten 15 Liter. Die Vertriebenen stehen vor der verzweifelten Wahl zwischen den gravierenden Gesundheitsgefahren in der UN-Basis und der Lebensgefahr im ungeschützten Bereich der Stadt. Einige Vertriebene sind dennoch in die Stadt zurückgekehrt.

"Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen tun weiterhin ihr Bestes, um die Bevölkerung inmitten dieses brutalen Konfliktes zu versorgen", sagt Raphael Gorgeu, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen. "Aber wir befürchten, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Die Kapazitäten der Hilfsorganisationen sind begrenzt. Es ist die gesetzliche und moralische Verantwortung aller bewaffneten Gruppen, zivile Todesopfer zu vermeiden, humanitäre Hilfe zu ermöglichen und medizinische Einrichtungen zu verschonen. Die Opposition und die Regierung müssen sich daran halten."

Ärzte ohne Grenzen verurteilt die unbeschreibliche Gewalt, die in Bentiu stattgefunden hat. Die Organisation fordert von allen bewaffneten Gruppen, ein verantwortliches Verhalten unter ihrem Kommando zu garantieren und die Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung in den von ihnen kontrollierten Zonen wahrzunehmen.

Nach den Kämpfen am 15. April hat Ärzte ohne Grenzen ein zusätzliches chirurgisches Team und mehr medizinisches Material nach Bentiu eingeflogen. Die Mitarbeiter behandeln derzeit 230 Kriegsverletzte mit Schussverletzungen.

Welch beispiellose Gewalt sich während der jüngsten Kämpfe in der Stadt abgespielt hat, belegen nun auch Augenzeugenberichte, die ein Team von Ärzte ohne Grenzen in der vergangenen Woche gesammelt hat. Die Bewohner beschreiben grausame gezielte Tötungen, selbst innerhalb des staatlichen Krankenhauses.

"Was ich in Bentiu gesehen habe - verstümmelte und verwesende Leichen auf den Straßen, Hunden und Vögeln zum Fraß preisgegeben - ist ein Affront gegen die Menschlichkeit", sagt Raphael Gorgeu. "Die Gewalt im Südsudan hat eine besonders hässliche Wendung genommen. Sie beraubt die Bewohner ihrer grundlegenden Menschenwürde. Es ist schrecklich, so etwas bezeugen zu müssen."

Augenzeugenberichten zufolge wurden selbst im Krankenhaus bis zu 33 Menschen getötet, darunter ein Klinikmitarbeiter. Unter den Opfern befanden sich demnach Personen aus der Region Darfur im Sudan sowie Angehörige sowohl der Volksgruppen der Nuer wie auch der Dinka.

"Bewohner, die vor der Gewalt ins Krankenhaus geflohen waren, wurden je nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen gezielt angegriffen", sagt Christopher Lockyear, Programmverantwortlicher in Amsterdam. "Wir müssen einmal mehr beobachten, dass Krankenhäuser, die sichere Zufluchtsorte sein und von allen respektiert werden sollten, Tatorte grausamer Übergriffen werden."

Ärzte ohne Grenzen hat schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Dezember ein Projekt zur Behandlung von HIV/Aids und Tuberkulose im Krankenhaus von Bentiu betrieben. Seit Endes 2013 hat die Organisation die Hilfsprogramme im ganzen Land massiv aufgestockt. Derzeit leisten mehr als 300 internationale und mehr als 3.000 südsudanesische Mitarbeiter humanitäre Hilfe in 21 Projekten, die sich auf neun von zehn Bundesstaaten verteilen. In den vier Monaten seit Ausbruch der Gewalt haben sie mehr als 200.000 Patienten behandelt, fast 85 Prozent davon waren Kinder unter fünf Jahren.

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Augenzeugenbericht eines Klinikmitarbeiters:

"Die Gefechte begannen morgens gegen 6.30 Uhr. Zivilisten und Überläufer der bewaffneten Gruppen flohen auf das Gelände des Krankenhauses, als die Auseinandersetzungen begannen. Streitkräfte der Opposition drangen gegen 9.30 Uhr auf das Gelände ein. Die Soldaten beschuldigten uns, auf der Seite der Regierung zu stehen. Jeder, der in Bentiu geblieben sei, als die Stadt unter der Kontrolle der Regierung stand, sei ein Verräter. Wir sagten ihnen, wir gehörten zum medizinischen Personal. Ich hielt mich mit anderen Angestellten des Krankenhauses in einem der Gebäude versteckt. Wir sahen, wie eine Gruppe Menschen getötet wurde. Darunter auch ein Mitarbeiter der Klinik, ein Mann aus Darfur, sowie eine Frau und zwei Männer vom Stamm der Nuer. Der Mann aus Darfur wehrte sich gegen die Angreifer, und die ganze Gruppe wurde getötet. 22 Personen aus Darfur wurden hinter das Krankenhaus gebracht, 21 von ihnen wurden getötet, nur ein Kind blieb verschont. Später sah ich die Leichen von je drei Personen aus Darfur, die vor und auf dem Krankenhausgelände getötet worden waren. Ich war vor Ort, als sie die Verwundeten aus der Moschee brachten, sie kamen alle aus Darfur. Sie wurden von anderen Patienten in Uniform geschlagen und ausgeraubt, weil diese sie nicht im Krankenhaus haben wollten. Nachdem die Soldaten das Gelände verlassen hatten, ging ich zum Stützpunkt der UN-Truppen. Ich fühle mich nicht mehr sicher im Krankenhaus. Viele Menschen haben Beziehungen zu beiden bewaffneten Parteien. Ich habe Angst, die UN-Basis zu verlassen."

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2014