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AUSLAND/2317: Hilfe für Flüchtlinge im Nordirak (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2016

Flüchtlingshilfe
Medizinische Hilfe für Flüchtlinge vor Ort im Nordirak

Von Ioana Klopf, Rendsburg


Ioana Klopf aus Rendsburg berichtet, wie sie und ihr Mann Dr. Martin Klopf Flüchtlingen in ihrer Heimat helfen.


Immer mehr Flüchtlinge aus Syrien und Irak suchen in Europa Schutz. Zugleich wächst die Gefahr, dass sich die Lage der Menschen, die vor dem Terror des IS nach Kurdistan geflohen sind, verschlimmert. Es wird schwieriger, die Mittel zu beschaffen, damit UNHCR und andere Hilfsorganisationen finanziell in der Lage bleiben, den hunderttausenden Flüchtlingen im Nahen Osten zu helfen. In der kurdischen Region Dohuk im Nordirak, wo sich ungefähr doppelt so viele Flüchtlinge wie Einheimische aufhalten, gibt es 20 offizielle Flüchtlingslager. In 16 von ihnen leben fast ausschließlich Jesiden, in vier weiteren mehrheitlich syrische Flüchtlinge. Eine beachtliche Anzahl Flüchtlinge wohnt außerhalb der offiziellen Lager, in Rohbauten oder in Zelten. Die Solidarität der ansässigen Bevölkerung mit den Flüchtlingen ist riesig, doch die gesundheitliche Versorgung ist problematisch. Die Krankenstationen der offiziellen Camps sind nur auf Akutbehandlungen eingestellt. Facharztbesuche sind aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel und der mangelhaften öffentlichen Verkehrsanbindung nicht möglich. Um diesen Menschen zu helfen, aber auch um ein Zeichen zu setzen, bin ich Ende Oktober zusammen mit meinen Ehemann Dr. Martin Klopf, HNO-Arzt aus Rendsburg, der Einladung von Sylvia Wähling vom Menschenrechtszentrum Cottbus und der IGFM Frankfurt am Main gefolgt und zusammen mit zwei weiteren ärztlichen Kollegen aus Brandenburg ins nordirakische Kurdistan geflogen, um dort in Flüchtlingscamps medizinische Hilfe vor Ort zu leisten.

Mit einer von der Gesundheitsbehörde zur Verfügung gestellten mobilen Klinik haben wir Patienten in den Flüchtlingslagern Shekhan und Esyan behandelt. Die Menschen vor Ort brauchten uns - als Zuhörer ihrer tragischen Geschichten, bei der Behandlung akuter Beschwerden oder als Sammler chronischer Gesundheitsprobleme, die das örtliche Gesundheitssystem nicht bewältigen kann. Was bei Schmerzen, Fieber und Husten leicht zu behandeln war, da wir gut mit Medikamenten ausgestattet waren, war bei chronischen Herz-, Nieren- oder Gelenkkrankheiten schwierig. Ich spürte ein Gefühl der Ohnmacht beim Anblick behinderter Kinder, Schwangerer oder Neugeborener ohne oder mit nur unzureichender medizinischer Betreuung. Wir hielten Problemfälle schriftlich fest, um später zu versuchen zu helfen. Die Menschen nahmen das Leben so an, wie sie es erfuhren, und gaben die Hoffnung nicht auf, in die Normalität zurückkehren zu können. Wir fanden es bemerkenswert, dass sich niemand beklagte: Nicht die Jugendliche, die ihrer Schwester eine Niere gespendet hatte, nicht der vierjährige Junge, der aufgrund einer schweren Kopfverletzung durch den IS an einer Epilepsie erkrankte und nicht die junge zweifache Mutter, deren 18 Verwandte vom IS getötet wurden.

Jeden Morgen erwarteten uns zahlreiche Patienten. Unsere Helfer versuchten zunächst geordnete Verhältnisse durch Listen zu schaffen. Bei Nummer 250 fragten sie uns, ob das an einem Tag zu schaffen sei. Wussten wir auch nicht - wir konnten nicht abschätzen, wieviel Zeit jeder einzelne benötigen würde. Als aber die Menschen uns fast auf die Füße traten, gaben wir die Liste auf und setzten Prioritäten: Zuerst Säuglinge und Kleinkinder. Erwachsene mussten warten. Und das taten sie auch. Wir vergaßen zu essen und zu trinken, konzentrierten uns nur auf die Patienten. Von Zeit zu Zeit wurde uns eine Wasserflasche gereicht, die wir dankend an nahmen. Vor Einbruch der Dunkelheit machten wir Schluss, um die Behandlungen am nächsten Morgen fortzusetzen. Als sich ein junger Mann von mir mit den Worten "You have done it good!" verabschiedete, vergaß ich sofort die Müdigkeit. So tief dankende Worte hatte ich lange nicht mehr erlebt. Der Einsatz war eine Bereicherung für uns.


INFO

Die gesundheitliche Versorgung in den Flüchtlingscamps im Nordirak ist problematisch. Die Krankenstationen sind nur auf Akutbehandlungen eingestellt. Facharztbesuche sind nicht möglich.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201601/h16014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Januar 2016, Seite 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2016

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