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AUSLAND/2518: Gesundheitsversorgung in Afrika - Im Schatten des Wirtschaftsbooms (Securvital)


Securvital 2/2019 - April-Juni
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Gesundheitsversorgung in Afrika
Im Schatten des Wirtschaftsbooms

von Stefanie Seyferth


Äthiopien gilt als afrikanisches Wirtschaftswunderland. In der Hauptstadt wachsen Wolkenkratzer in den Himmel, aber auf dem Land mangelt es den Menschen an Nahrung, Wasser und ausreichender Gesundheitsversorgung.

Seit mehreren Jahren gehört Äthiopien zu den Ländern mit dem größten Wirtschaftswachstum weltweit, mit enormen Steigerungsraten von zehn Prozent und mehr pro Jahr. Der neue Wohlstand ist vor allem in der Hauptstadt Addis Abeba zu bewundern: Moderne Hochhäuser, Einkaufszentren, Universitäten und eine 500 Millionen Dollar teure elektrische Stadtbahn zeugen vom Aufschwung. Dank ausländischer Investitionen insbesondere aus China ist Äthiopien auf bestem Wege, die größte Wirtschaftsmacht in Ostafrika zu werden.

Doch das Land am Horn von Afrika mit einer Jahrtausende alten kulturellen Tradition hat die Armut noch längst nicht überwunden. Ein Großteil der gut 100 Millionen Einwohner lebt im Schatten des Wirtschaftswunders. Vor allem auf dem Land lebt die Bevölkerung unter ärmsten Bedingungen. Viele müssen kilometerweit bis zur nächsten Wasserquelle laufen, leiden an Mangelernährung und haben kaum Zugang zu einer staatlichen Gesundheitsversorgung.

Hoffnung für die Armen

Im Süden Äthiopiens, 400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ist am Beispiel einer kleinen ländlichen Gesundheitsstation zu sehen, was eine engagierte Initiative zur besseren Gesundheitsversorgung leisten kann und wie sehr sie benötigt wird. Das "Taza Catholic Health Center" ist eine Anlaufstelle für die Armen und auch die letzte Hoffnung für viele, die anderswo keine Hilfe finden.

Im Behandlungsraum der kleinen Klinik sitzt die zehnjährige Bogalch Awka mit ihren Eltern. Zwei Stunden lang sind sie zu Fuß hierher gelaufen. Das Mädchen hat Fieber und Herzrasen. Vor drei Monaten war sie schon einmal hier, wegen einer Typhus-Erkrankung. Die Behandlung half, alles schien gut zu gehen. Doch jetzt ist das Fieber zurück und das Herzrasen dazugekommen. "Wahrscheinlich ist das Kind an Malaria erkrankt", sagt die Leiterin der Gesundheitsstation, Meskel Kelta.

Die 35-jährige katholische Schwester hat eine Ausbildung zum "Health Officer" absolviert. Damit darf sie Krankheiten diagnostizieren, Medikamente verschreiben und kleine Operationen durchführen. Sie versorgt bis zu 100 Patienten täglich. Die meisten Menschen, die zu ihr kommen, können sich einen Besuch beim Arzt oder in einem staatlichen Krankenhaus nicht leisten. Wer in die Klinik von Schwester Meskel Kelta kommt, zahlt nur etwa halb so viel und manchmal auch gar nichts. "Ich würde niemanden wegschicken, weil er kein Geld hat. Manche können auch nicht sofort bezahlen, aber das ist okay", sagt die Krankenschwester.

Bei einer anderen Patientin steht am gleichen Tag noch eine Operation an den Augen bevor. Die Frau leidet an einem Trachom, einer in der Gegend weit verbreiteten Krankheit. Die bakterielle Augeninfektion ist eine der häufigsten Ursachen für Erblindung. Etwa 80 Millionen Menschen sind Schätzungen zufolge weltweit daran erkrankt, vor allem dort, wo es kein sauberes Wasser gibt und mangelnde Hygiene herrscht.

Operation mit Notlicht

"Vor drei Jahren habe ich das erste Mal bemerkt, dass etwas nicht stimmt", sagt die Patientin Momena Yanuse. Ihre Augen wurden rot und entzündeten sich. Ihre Wimpern wuchsen auf einmal in die verkehrte Richtung und kratzen nun ununterbrochen an den Innenseiten ihrer Augenlider. Durch die Reizung tränen ihre Augen ständig und an den Lid-Innenseiten haben sich Narben gebildet. In diesem Stadium ist es höchste Zeit zu operieren.

Die Schwester führt Momena Yanuse zur Operationsliege. Sie hält den Kopf ihrer Patientin in den Händen und spricht beruhigend auf sie ein. Dann desinfiziert sie ihr linkes Auge, betäubt es und deckt den Rest des Gesichtes ab. Inzwischen ist es draußen dunkel geworden. Noch dazu ist der Strom ausgefallen. Die Operation findet trotzdem statt. Eine Helferin holt eine Taschenlampe und leuchtet in das Gesicht der Patientin, während Schwester Meskel Kelta mit einem feinen Skalpell am Augenlid operiert. Anschließend verbringt Momena Yanuse noch eine Nacht in der Klinik, dann wird sie wieder nach Hause gehen.

Ihr Dorf liegt sechs Stunden Busfahrt und eine Stunde Fußmarsch entfernt. Neben den Untersuchungs- und Behandlungsräumen gibt es auf dem Gelände des "Taza Catholic Health Center" auch eine Station für unterernährte Kinder. Seit vier Tagen wird der kleine Makitu Mohammad hier behandelt. Seine Großmutter hat ihn gebracht. Sie sagt, er sei fünf Jahre alt. Er sieht viel jünger aus. "Wahrscheinlich weiß die Familie nicht genau, wie alt er ist, aber mangelernährten Kindern sieht man ihr Alter oft nicht an", sagt Meskel Kelta.

Die Haare des Jungen sind bis auf einen Büschel an der Stirn ausgefallen, der Bauch ist aufgebläht, seine Arme zu dünn. "Viele erkennen die Zeichen für Mangelernährung nicht", sagt die Schwester. "Wenn sie merken, dass traditionelle Rituale nicht helfen, bringen sie ihre Kinder zu uns." Auch bei Makitu Mohammad hat eine in vielen Dörfern praktizierte Methode nichts gebracht: Mit einem glühenden Stock sollte die Schwellung am Bauch gelindert werden. Auf der Haut haben sich Brandmale gebildet, an der Mangelernährung hat sich nichts geändert.

Nun erhält Makitu Mohammad in der Klinik ein mit Nährstoffen angereichertes Milchpulver. Die Behandlung scheint zu helfen. Er ist nach wenigen Tagen schon etwas kräftiger geworden. Meskel Kelta nimmt ein Maßband und legt es dem Jungen um den Oberarm. Das Band ist in drei Farben unterteilt: rot, gelb, grün. "Elf Zentimeter, das ist gelb", stellt sie fest. "Wenn er weiter zunimmt, ist er vielleicht in zwei Tagen schon im grünen Bereich." Armut und Mangelernährung sind ein großes Problem in der Region um Taza. Hier wachsen mehr Pflanzen und Bäume und die Landschaft ist grüner als andere Teile des Landes. Aber die Gegend ist auch dichter besiedelt, die Bevölkerungszahl ist hoch. Als Folge davon hat kaum eine Familie genug Land, um sich ausreichend zu ernähren. Wenn noch dazu der Regen ausbleibt, kommt es zu Dürren und immer wieder auch zu Hungersnöten.

Schwester Meskel Kelta bemüht sich, den Menschen zu zeigen, wie sie trotzdem manche Krankheiten vermeiden können. "Achtet darauf, euch Hände und Gesicht zu waschen, wann immer ihr Wasser habt", sagt sie den Bewohnern in den umliegenden Dörfern, die sie regelmäßig besucht. "Versucht so abwechslungsreich wie möglich zu essen!" Doch sie weiß auch, dass das nicht leicht ist. Manche Familie hat nicht einmal die kleine Summe von 15 Birr (etwa 50 Cent), um sich Saatgut zu kaufen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die ländliche Gesundheitsstation kümmert sich um Krankheiten aller Art. Operiert wird auch, wenn der Strom ausfällt.

- "Ich würde niemanden wegschicken, weil er kein Geld hat." Schwester Meskel Kelta

- Die Gesundheitsstation teilt auch Saatgut aus, damit Mais für die nächste Ernte angesplanzt werden kann.

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Quelle:
Securvital 2/2019 - April-juni, Seite 32 - 34
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2019

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