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AUSLAND/2580: Brasilien - Indigene Munduruku übersetzen selbst Informationen zum Coronavirus (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien
Indigene Munduruku übersetzen selbst Informationen zum Coronavirus

Von Catarina Barbosa



Indigene Frauen sitzen in Stuhlreihen in einem Zelt - Bild: © Rosamaria Loures/Brasil de Fato

Die Vereinigung Wakoborun übersetzte Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19 in die Muttersprache der Munduruku
Bild: © Rosamaria Loures/Brasil de Fato

Die indigenen Munduruku haben selbst ihre eigenen Übersetzungen zum Coronavirus durchgeführt. Eigentlich wäre das die Aufgabe des Amtes für Indigene Gesundheit SESAI gewesen.

(Belém, 01. April 2020, Brasil de Fato) - In der durch das Coronavirus ausgelösten Pandemie steht Brasilien vor der großen Herausforderung, die notwendigen Informationen an die Menschen zu bringen, die kein Portugiesisch sprechen. Laut dem letzten Zensus des Brasilianischen Institut für Geographie und Statistik IBGE (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatistica) im Jahr 2010 werden landesweit 274 indigene Sprachen von Menschen gesprochen, die 305 Ethnien angehören.

Deshalb hat die Frauenvereinigung der Munduruku Wakoborun (Associação das Mulheres Munduruku Wakoborun) Informationen zu Präventivmaßnahmen selbst in ihre Muttersprache übersetzt. Das Dokument wird über WhatsApp und per Radio in den umliegenden Dörfern verbreitet. Laut der staatlichen Indigenenbehörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio) liegt die Zuständigkeit für die Übersetzung von Informationsmaterial in die indigenen Sprachen eigentlich beim Amt für Indigene Gesundheit SESAI [1] (Secretaria Especial de Saúde Indígena), das dem Gesundheitsministerium angegliedert ist. Das Nachrichtenportal Brasil de Fato kontaktierte die SESAI telefonisch und per Mail, um herauszufinden, ob die entsprechenden Dokumente bereits den verschiedenen Ethnien in ihrer jeweiligen Sprache überreicht wurden. Jedoch erhielt es bis zur Publikation dieses Artikels keine Antwort.


Reaktionen der Munduruku in Pará auf Covid-19

In Jacareacanga, im Südwesten des Bundesstaates Pará im Norden Brasiliens gelegen, ist die 33-jährige Maria Leusa die führende Vertreterin der Munduruku von Alto Tapajós. Im Moment hat sie keinen Kontakt zu ihren Angehörigen in den Dörfern, denn die Indigenen isolieren sich, um sich gegen die Corona-Pandemie zu schützen. Ihrer Meinung nach sei es dringend notwendig, Information über Schutzmaßnahmen gegen die Krankheit in den entsprechenden Gebieten zu verbreiten: "Ich kann leider nicht persönlich vor Ort sein, aber ich kann über WhatsApp kommunizieren, indem ich das übersetzte Informationsschreiben in die Dörfer schicke. So versuche ich meiner Gemeinschaft zu helfen, damit sie mithilfe des übersetzten Leitfadens verstehen können, wie sie sich gegen die Krankheit schützen können."

Die Frauenvereinigung Wakoborun [2] wurde ursprünglich im Februar 2018 gegründet, um sich gegen Wasserkraftprojekte zu wehren, die die von Indigenen bewohnten Gebiete bedrohen. Mit dem Namen der Gruppe wird Wakoborun geehrt, eine mutige und starke Munduruku-Kämpferin. "Wir Frauen beteiligen uns an den Diskussionen unserer Gemeinschaft darüber, wie es mit unserem Volk weitergehen soll. Wir haben den Verein mit dem Ziel gegründet, die Bewegung der Widerstandskämpfer*innen zu stärken, um sowohl die Partizipation als auch die Selbstorganisation der Frauen zu unterstützen, die sich für Autonomie und Prinzipien der Selbstverwaltung einsetzen", führt Maria Leusa aus. "So haben wir angefangen, mehrere Treffen zu organisieren, an denen auch Männer teilnehmen, da wir gemeinsamen unser Territorium verteidigen wollen: Frauen, Männer, Pajés (Schamanen), Kinder und unsere Alten. Alle können mitmachen. Das gehört zu den Prinzipien der Vereinigung, dass das gesamte Volk der Munduruku miteinbezogen wird."


Ängste und Sorgen durch das Coronavirus

Der Zensus von 2010 ergab auch, dass die indigene Bevölkerung in Brasilien 896.000 Menschen umfasst, von denen 572.000 (entspricht 63,8 Prozent) in ländlichen Gebieten leben und 517.000 (entspricht 57,5 Prozent) in offiziellen Indigenen Territorien. Die Zahlen stützen sich zum einen auf die Selbstbezeichnung als indigene Person, die Ethnie betreffend, und zum anderen auf Bewohner*innen anerkannter Indigener Territorien (TI, Terras Indígenas).

Davon gehören nach Angaben von Maria Leusa 14.000 Menschen den Munduruku an, die in fünf verschiedenen Regionen leben. Die durch das Coronavirus ausgelöste Sterblichkeit mache vielen Indigenen in den Dörfern Angst [3]: "Wir wissen, dass wir durch diese Krankheit viele unserer Weisen (os sábios) verlieren werden, da die Ältesten am stärksten betroffen sind."

Eine andere Sorge der Sprecherin ist, dass die Gesundheitsversorgung nicht auf eine große Anzahl von Krankheitsfällen ausgelegt ist. Sie wisse, dass das nächst gelegene Krankenhaus nicht darauf vorbereitet sei, Corona-Kranke zu behandeln. Obwohl die Information über das Coronavirus relativ frisch ist, definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits Personen mit Atemproblemen, Diabetes oder hohem Blutdruck als Risikogruppen. Leusa führt in diesem Kontext an, dass in ihrem Dorf viele Personen mit diesen Vorerkrankungen leben; vor allem über 60-Jährige und Indigene seien in Diabetes-Behandlung. Die Vereinigung Wakoborun versucht hier, mit traditionellen Heilmitteln entgegenzusteuern, um ihre Kinder und Alten zu schützen und die Auswirkungen des Virus abzufedern. Dabei greifen sie auf das Wissen ihrer Pajés zurück, die ihnen den Umgang mit diversen Mitteln gegen Krankheiten beigebracht haben.


Pandemie als Ausdruck fehlender Wertschätzung gegenüber der Natur

Für die Munduruku ist es wichtig, in Einklang mit der Natur zu leben und jeden Teil des Ökosystems zu respektieren. Für Leusa ist die Pandemie deshalb ein Ausdruck der fehlenden Wertschätzung des Menschen gegenüber der Natur: "Wir wussten, dass diese Dinge passieren würden, denn wir kämpfen schon lange darum, der Regierung klar zu machen, dass wir keine Wasserkraftanlagen in unseren Flüssen wollen und trotzdem wurden sie gebaut", erklärt sie. "Wir wissen, dass sie heilige Güter beschädigen. Was heute in der Welt geschieht, fußt auf dem rücksichtslosen Umgang mit diesen Kostbarkeiten, und das darf nicht sein, sie dürfen nicht unsere Umwelt zerstören."

Die Munduruku leben über verschiedene Dörfer verteilt. Maria Leusa wohnt zum Beispiel in Boca das Tropas, ca. eine Stunde von Jacareacanga entfernt. Dort leben 20 Personen, unter ihnen Kinder, Erwachsene und Alte. Andere Dörfer liegen jedoch weiter weg, zwischen zehn Stunden und manchmal bis zu einem ganzen Tag per Boot. Die Indigenen von Rio das Tropas, Tapajós und vielen anderen Dörfern isolieren sich nach einer Empfehlung der SESAI in ihren Territorien, um eine Infektion mit dem Coronavirus zu verhindern. Jedoch "ist in der SESAI niemand da", kritisiert sie. "Sie kümmern sich nur um Notfälle, wenn es welche geben sollte."


"Die aktuelle Situation ist ein Chaos"

Alesandra Korap, eine Munduruku aus dem Dorf Praia do Índio berichtet, dass zwar das Gesundheitsministerium seine Aufgaben wahrnehme, jedoch auf bundesstaatlicher Ebene keine Umsetzung der Schutzmaßnahmen erfolge. Sie unterstellt der bundesstaatlichen Regierung, dass sie so die Indigenen in ihrer Region auslöschen wolle: "Wir wissen, dass unser Volk immer kleiner wird. Von Seiten der Regierung existiert aber kein Monitoring. Das betrifft vor allem die Präsenz von Garimpeiros (informellen Bergarbeitern) und Holzfällern in unseren Gebieten. Manche Garimpeiros landen in Flugzeugen auf Indigenen Territorien (TI), und wenn sie sich anstecken, dann hauen sie wieder ab, nach SÃo Paulo oder Mato Grosso, um sich behandeln zu lassen, und alles andere ist ihnen egal."

Die Indigene befindet sich momentan in Santarém, wo sie Jura an der Universidad Federal del Oeste de Pará (UFOPA) studiert. Aus der Ferne ihr Wissen zu teilen ist für sie eine Form, die Menschen in ihrem Dorf zu unterstützen. Die Vereinigung Wakoborun sei sehr besorgt, erklärt sie. Deshalb sei der Leitfaden entwickelt worden, der nun in den Dörfern verbreitet wird. "Wir versuchen, aus der Distanz alles im Rahmen unserer Möglichkeiten zu tun. Ich bin weit weg und sorge mich um die Ältesten, um die Kaziken, die Frauen und die Kinder. Die aktuelle Situation ist ein Chaos. Wenn sich das Virus in indigenen Gebieten verbreitet, wird die Regierung dies für ihre Zwecke nutzen, um sich mehr Territorium anzueignen."


Nationaler Plan der FUNAI

Am 26. März unterzeichnete die Bundesabgeordnete Joenia Wapichana (Rede-RR) zusammen mit zehn weiteren Abgeordneten im Abgeordnetenhaus einen Entwurf zur Überwachung und Kontrolle. Der Entwurf schlägt vor, die administrativen Vorgehensweisen und eventuellen Versäumnisse der Zentralregierung und des Gesundheitsministeriums bezüglich der getroffenen Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 zu überwachen. Der "Plan zur Nationalen Eindämmung der Ansteckung indigener Völker mit dem neuartigen Coronavirus" [4], der durch die FUNAI erarbeitet wurde, lässt sich entnehmen, dass historisch gesehen bei Indigenen eine größere Vulnerabilität gegenüber Viruserkrankungen bestehe, vor allem, was Atemwegserkrankungen betreffe. Laut dem Plan seien Erkrankungen der Atemwege "weiterhin die Hauptursache der Kindersterblichkeit in der indigenen Bevölkerung". Die FUNAI bestätigt außerdem, dass speziell die isoliert lebenden Indigenen besonders verletzlich gegenüber ansteckenden Infektionskrankheiten seien. Deshalb entzog die Behörde mit der Ausbreitung des Coronavirus in Brasilien Mitte März sämtliche Zutrittsgenehmigungen in Indigene Territorien per Dekret [5].

Die Überwachung findet in Zusammenarbeit mit der SESAI statt. Insgesamt besteht das Netzwerk beider indigener Einrichtungen aus 225 lokalen technischen Einheiten, 39 regionalen Koordinationsstellen, elf ethnisch-ökologischen Schutzinitiativen, 1.199 Basiseinheiten für indigene Gesundheit UBSI (Unidade Básica de Saúde Indígena), 67 Unterstützungseinrichtungen für Indigene Gesundheit CASAI (Casa de Apoio à Saúde Indígena) in 34 ausgewiesenen Gebieten für Gesundheitliche Versorgung Indigener DSEI (Distrito Sanitário Especial Indígena). Laut der FUNAI berücksichtige der Aktionsplan für die Prävention Indigener gegen Covid-19 in Brasilien eine differenzierte Herangehensweise, die von der soziokulturellen Diversität, den epidemiologischen Besonderheiten und der logistischen Organisation der Völker herrühre. Diese Anforderungen der FUNAI müssen gleichwohl in Abstimmung mit den Kontingenzplänen der Gemeinden und Bundesstaaten umgesetzt werden, in Zusammenarbeit mit den DSEI, "sofern das möglich ist".


Übersetzung: Miriam Blaimer


Anmerkungen:
[1] https://www.saude.gov.br/saude-indigena
[2] https://www.kooperation-brasilien.org/de/themen/landkonflikte-umwelt/brief-vom-iii.-treffen-der-munduruku-frauen
[3] https://www.kooperation-brasilien.org/de/themen/indigene-sind-besonders-von-corona-betroffen?set_language=de
[4] https://portalarquivos2.saude.gov.br/images/pdf/2020/fevereiro/13/plano-contingencia-coronavirus-COVID19.pdf
[5] http://www.funai.gov.br/arquivos/conteudo/cogedi/pdf/Boletim%20de%20Servicos/2020/Boletim%20Edicao%20Extra%20de%2017.03.2020.pdf


URL des Artikels:
https://www.npla.de/thema/arbeit-gesundheit/indigene-munduruku-uebersetzen-selbst-informationen-zum-coronavirus/


Der Text ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Quelle:
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Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: poonal@npla.de
Internet: http://www.npla.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2020

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