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ARTIKEL/1454: Notfallversorgung - Immer mehr Selbstvorsteller (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2017

Notfallversorgung
Immer mehr Selbstvorsteller

von Dirk Schnack


Die Notfallversorgung beschäftigt alle Beteiligten, eine Lösung ist nicht in Sicht. Der Marburger Bund legt ein Eckpunktepapier vor.


Die Diskussion um die Notfallversorgung in Deutschland dauert an. Der Marburger Bund (MB) reagierte vergangenen Monat mit einem Eckpunktepapier, nachdem zuvor die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft Position bezogen hatten. Schleswig-Holsteins MB-Chef Dr. Henrik Herrmann bezeichnete das Eckpunktepapier als "richtigen und wichtigen Schritt", um die Notfallversorgung stärker zu vernetzen. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die Situation in Schleswig-Holstein, wo zwei Drittel der rund 100 Krankenhäuser an der Notfallversorgung teilnehmen. Dort sind die Patientenzahlen in den vergangenen Jahren um rund zehn Prozent gestiegen, ein Zuwachs, der laut Herrmann nicht allein mit dem demografischen Wandel zu erklären ist: "Zunehmend kommen Patienten als Selbstvorsteller in die Notaufnahmen, da sie dort eine effizientere Behandlung erwarten." Herrmann fordert deshalb die Einführung eines Triage-Systems, um zu entscheiden, ob ein Patient ambulant oder stationär behandelt werden soll. Herrmann sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, den an vielen Kliniken angesiedelten ärztlichen Bereitschaftsdienst über Anlaufpraxen stärker zu bewerben. Eine Steuerung über eine Gebühr lehnt er dagegen ab. Die Forderungen des MB:

1. Patientensteuerung nach Behandlungsdringlichkeit: Gelingen soll dies über ein Triage-System zur Ersteinschätzung der Patienten, das für Rettungsdienste, Notdienstpraxen, Notaufnahmen und für die Rettungsleitstellen gleich ist. Bei direktem Patientenkontakt wird die Triage durch die Messung von Vitalparametern ergänzt. Der MB geht davon aus, dass eine einheitliche, rein auf medizinischen Kriterien beruhende Vorgehensweise die Akzeptanz der Patienten erhöht und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Versorgungsebenen verbessert. Sinnvoll sei ein einheitliches IT-gestütztes System.

2. Sicherstellungsauftrag: Für eine gerechte Verteilung der Lasten sollte sich jeder Arzt an der Notfallversorgung beteiligen. Die einheitliche Rufnummer 116117 für den KV-Notdienst sieht der MB "nicht durchgängig prominent platziert". Die Hinweise zum ärztlichen Bereitschaftsdienst oder Notdienst seien schwer zu finden.

3. Zentrierung der Strukturen: Notdienstpraxen sollten zentral und nach Möglichkeit am Krankenhaus verortet sein. Dies habe den Vorteil, dass alle diagnostischen Möglichkeiten eines Krankenhauses bei entsprechender Indikation zur Verfügung stehen und bei Bedarf eine stationäre Aufnahme rasch erfolgen könne. Der Fahrdienst des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes soll erhalten bleiben, damit für immobile Patienten gesorgt ist.

4. Koordinierung der Notfallversorgung: Notdienstpraxis und Notaufnahme sollen personell und digital verknüpft werden. Doppelte Inanspruchnahmen könnten so vermieden und personelle Ressourcen für die Gesamtversorgung gehoben werden.

5. Definierte Strukturqualität und Ausstattung: Erforderlich sei die Etablierung eines gestuften Notfallsystems mit definierter Strukturqualität. Hierzu könne ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu entwickelndes gestuftes System der Notfallstrukturen beitragen. Die technische und personelle Ausstattung muss in Umfang und Qualität klar definiert werden.

6. Finanzierung: Allein aus Mitteln der bisherigen Vergütungssysteme ist die Finanzierung nach MB-Ansicht nicht ausreichend. Der Verband fordert zusätzliche Mittel von Bund, Ländern und Kommunen.

7. Modellprojekte: Perspektivisch sollten aus Sicht des MB neue Konzepte der Notfallversorgung erprobt werden. Insbesondere sollte überprüft werden, ob eine integrierte Notfallversorgung außerhalb der Sektorengrenzen der ärztlichen Versorgung und der bestehenden Finanzierungssystematik zu einer Verbesserung der Versorgung führt. "Deshalb sollte die Erprobung grundlegend neuer Organisationsformen und Finanzierungsmöglichkeiten in Modellprojekten gefördert werden, wie es bereits im Rahmen des Innovationsfonds erfolgt", heißt es in den Vorschlägen der Ärztegewerkschaft. Modellprojekte hierzu gibt es bundesweit. So arbeitet etwa das Ärztenetz in Ingolstadt bereits mit einer Triage. Erste Krankenhäuser in Schleswig-Holstein haben Anlaufpraxen und Kliniknotaufnahmen zusammengelegt, um Patienten besser steuern zu können.


Info

Über die Situation in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser wird derzeit bundesweit kontrovers diskutiert. Der Marburger Bund fordert in einem Eckpunktepapier eine bessere Verzahnung.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201706/h17064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2017, Seite 22
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2017

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