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ARTIKEL/1459: Gesundheits-Apps - Nutzern fehlt es an Kompetenz (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2017

Digitalisierung
Nutzern fehlt es an Kompetenz

von Dirk Schnack


Mobile Health - unter diesem Stichwort sind Gesundheits-Apps längst in den Alltag eingezogen. Die Auswirkungen sind nicht immer positiv.


Gesundheits-Apps sind längst nicht mehr aufzuhalten. Welches Nutzenpotenzial haben diese Anwendungen für die Gesundheitsversorgung? Welche Versorgungslücken können sie schließen? Welche Anforderungen an Evidenznachweise sind erforderlich und könnten diese Anwendungen sogar durch die gesetzliche Krankenversicherung erstattungspflichtig werden? Mit solchen Fragen war der traditionelle gesundheitspolitische Vorabend der Kieler Woche in der Herrmann Ehlers-Akademie überschrieben. Am Ende wurde deutlich: Die Stärkung der Nutzerkompetenz ist eine der zentralen Herausforderungen, wenn Gesundheits-Apps im Alltag sinnvoll eingesetzt werden sollen.

"Wir müssen lernen, mit der Digitalisierung umzugehen", forderte PD Dr. Urs-Vito Albrecht vom Peter L. Reicherts Institut für medizinische Informatik (Technische Universität Braunschweig und Medizinische Hochschule Hannover) in Kiel. Er verwies auf die Kompetenz und die Bereitschaft der Menschen in vielen anderen Bereichen, sich mit kritischen Themen auseinanderzusetzen. "Die Leute schaffen es ja auch beim Autokauf, warum soll das bei Gesundheits-Apps nicht möglich sein?", fragte Albrecht. Er erwartet nicht etwa, dass jeder Einzelne zum Spezialisten wird, aber schon, dass sich Menschen mit grundlegenden Fragen wie der nach der der Datenschutzerklärung oder dem Impressum beschäftigen.

Dabei spielt das Alter eine untergeordnete Rolle, wie Schleswig-Holsteins TK-Chef Dr. jur. Johann Brunkhorst betonte: "Alte Menschen sind keine digitalen Analphabeten." Auch er forderte, dass Menschen kritisch auf jedes App-Angebot schauen, bevor sie es nutzen. Nach seiner Empfehlung sind aber für eine echte Einschätzung, ob man Vertrauen in eine Gesundheits-App haben kann, Antworten auf folgende Fragen wichtig:

  • Welches Interesse verfolgt der Anbieter?
  • Wer trägt die Kosten für die Entwicklung der App?
  • Wer liefert die wissenschaftliche Expertise?
  • Bleiben die Daten ausschließlich für den Patienten nutzbar?
  • Sind die Wirkungen im Echtbetrieb erprobt worden?
  • Steigert die App die Behandlungsqualität?
  • Wird mit der App die Patientenautonomie gestärkt?

Da der einzelne Nutzer kaum Antworten auf alle Fragen finden wird, kommt der datenschutzrechtlichen Gestaltung von App-Lösungen erhebliche Bedeutung zu. Marit Hansen, Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, machte deutlich: "Ihr Smartphone ist nicht so sicher wie erhofft." Datenschutzanforderungen müssten deshalb in die Technik eingebaut werden. Bei Empfehlungen von Produkten und Diensten müsse der Datenschutz verstärkt berücksichtigt werden. Und vor allem sollte Europa sich in diesen Fragen stärker engagieren und nicht dem Markt die Entwicklung überlassen. Dem einzelnen Nutzer riet Hansen, sich nicht ausschließlich auf Zertifizierungen - die zum Teil käuflich seien - zu verlassen. Risiken seien manchmal besser beherrschbar, wenn man einzelne Funktionen von Diensten abstelle.

Deutlich wurde aber auch: Niemand rechnet damit, dass die Bedenken zu einer nachlassenden Nachfrage nach Gesundheits-Apps führen werden. Lisa Gausepohl von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank zeigte anhand von Daten aus der 360 Grad-Studie ihres Unternehmens, dass Heilberufler in der digitalen Vernetzung das größte Veränderungspotenzial im Gesundheitswesen sehen. Als Folge rechnen sie zwar mit erheblichen Veränderungen in den Versorgungsstrukturen, erwarten aber Stabilität in der Beziehung zu ihren Patienten. Für die wirtschaftliche Seite ihrer Praxis rechnen die 500 befragten Heilberufler infolge der Digitalisierung mit steigenden Investitionen bei nicht schritthaltenden Profiten.

Viele erwarten laut Studie in den kommenden zehn Jahren eine revolutionäre Veränderung der medizinischen Versorgung - bedingt durch die Digitalisierung. Dabei stehen zwei Entwicklungen im Fokus: Große Datenmengen können in kürzester Zeit mithilfe algorithmusgetriebener Entscheidungsprozesse ausgewertet und daraus personalisierte Therapien entwickelt werden und telemedizinische Anwendungen führen zu neuen Möglichkeiten für die medizinische Versorgung in der Fläche.


Info

Bei Anwendungen mit direkter medizinischer Wirkung erwartet jeder vierte der 500 befragten Heilberufler aus einer Studie der Deutschen Apotheker- und Ärztebank eine schnelle Umsetzung, mehr als die Hälfte eine mittelfristige.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201707/h17074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli/August 2017, Seite 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2017

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