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ARTIKEL/1484: Nationale Branchenkonferenz - Gesundheitswirtschaft ... Potenzial nicht voll ausgeschöpft (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2018

Gesundheitswirtschaft
Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft

von Dirk Schnack


Nationale Branchenkonferenz in Warnemünde: Experten erwarten weitere positive Impulse aus dem Gesundheitswesen für die Volkswirtschaft. Warnung vor Bummeltempo in der Digitalisierung.


Ohne das Thema Digitalisierung kommt derzeit kaum eine Veranstaltung im Gesundheitswesen aus - dies galt auch für die Nationale Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft. In einer der zahlreichen Diskussionsrunden hob Schleswig-Holsteins Kammerpräisdent Dr. Franz Bartmann auf die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen ab und warnte davor, sich aus Angst vor Veränderungen neuen Entwicklungen zu verschließen. Nach seiner Beobachtung kommt der entscheidende Schub für die Digitalisierung von den Patienten - und ist damit nicht aufzuhalten. Damit Ärzte die digitalen Möglichkeiten besser als bislang nutzen können, müssen nach seiner Ansicht die getrennten Abrechnungssysteme zwischen ambulant und stationär fallen. Stillstand können sich in dieser Frage weder Politik, noch Standespolitik leisten.

Bart de Witte, Leiter des Bereichs Digital Health bei IBM Deutschland, sieht einen Grund für das in Deutschland nach seiner Einschätzung langsame Tempo bei der Digitalisierung im Datenschutz, den er in Warnemünde als "Tatenschutz" umtitelte. "Wir führen die Diskussion durch eine starke deutsche Brille", sagte de Witte, der bei vielen Deutschen im Datenschutz ein "Alibi" dafür sieht, die Digitalisierung zu vernachlässigen. Er warnte: "Wir sind uns nicht bewusst, mit welcher Geschwindigkeit andere Länder die Digitalisierung forcieren" Zugleich werden nach seiner Wahrnehmung die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) hierzulande unterschätzt: "Es wird Unternehmen geben, die besser diagnostizieren, weil sie ausschließlich digital arbeiten." Im Umkehrschluss heißt das: Wer Wissen nicht digitalisiert, wird den Anschluss verlieren. Ganz abgefahren sieht de Witte den Digitalisierungszug für Deutschland nicht, er warnte aber: "Wenn wir nicht fünf Gänge höher schalten, verpassen wir den Zug."

Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz war die die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft. Auf rund 350 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung kam die Branche im vergangenen Jahr laut der kürzlich vorgestellten gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Nach Meinung von Experten wie Harald Kuhne, Leiter der Zentralabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, werden die mit diesen Ausgaben verbundenen Chancen heute stärker als früher beachtet. Das liegt auch daran, dass die Gesundheitsausgaben einen doppelten Effekt hervorrufen, wie Kuhne deutlich machte: Sie tragen zu einer verbesserten Gesundheit der Menschen in Deutschland bei und haben zugleich einen positiven Effekt auf die Volkswirtschaft.

Der zweite Effekt wird in der Gesamtrechnung deutlich:

• 11,9 Prozent beträgt der Anteil der Gesundheitswirtschaft an der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Zum Vergleich: Der Fahrzeugbau kommt auf fünf Prozent, der Maschinenbau auf drei Prozent. Jährlich wächst die Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft um 3,8 Prozent, in der Gesamtwirtschaft um 2,8 Prozent.

• 16,6 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland - das sind 7,3 Millionen Beschäftigte - arbeiten in der Gesundheitswirtschaft. Der Fahrzeugbau steuert zwei Prozent bei, der Maschinenbau drei Prozent. Jährlich wächst die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen um 1,9 Prozent, in der Gesamtwirtschaft um ein Prozent.

• Das Volumen der Exporte der Gesundheitswirtschaft betrug im vergangenen Jahr 126,4 Milliarden Euro. Jährlich wächst dieses Volumen um 6,6 Prozent, in der Gesamtwirtschaft um 4,1 Prozent.

Trotz der imponierenden Zahlen sehen viele Experten offenbar noch Luft nach oben. Dies gilt insbesondere für den Export und für die Ansiedlung ausländischer Gesundheitsunternehmen in Deutschland. Derzeit kommen Produkte und Dienstleistungen aus der Gesundheitswirtschaft auf einen Anteil von 8,4 Prozent an den gesamten deutschen Exporten. Der Fahrzeugbau kommt auf 20 Prozent, der Maschinenbau auf zwölf Prozent bei deutlich weniger Beschäftigten. Daraus eine Schwäche des Gesundheitssystems abzuleiten, wäre allerdings falsch: Denn mit der geringeren Exportquote ist das Gesundheitswesen bei Konjunkturschwankungen deutlich robuster als exportabhängige Branchen. Das hat sich schon in der Finanzkrise gezeigt und könnte auch in Zeiten von Importzöllen wieder an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommt: Selbst wenn sich die Konjunktur abschwächt, wird die Nachfrage nach Leistungen der Gesundheitsversorgung darunter kaum leiden - und die ist laut Gesamtrechnung immer noch stärker als die industrielle Gesundheitswirtschaft.

Potenzial weist der größte europäische Gesundheitsmarkt auch bei der Ansiedlung ausländischer Unternehmen auf. Dabei hat der deutsche Standort Vorteile zu bieten, die Investoren überzeugen. Für Klinikkonzerne wie die Schweizer Ameos, die auch in Schleswig-Holstein an mehreren Standorten präsent ist, zählt hierzu etwa der Versorgungsvertrag für Krankenhäuser und die damit verbundene Finanzierung. Ameos-Vorstand Michael Dieckmann stellte in Rostock fest: "Der deutsche Gesundheitsmarkt ist wegen der verlässlichen Gesetzgebung attraktiv." Hinzu kommen für ihn stabile Marktverhältnisse, hohe Planungssicherheit und das anhaltende Wachstum im Gesundheitssegment. Zum drohenden Fachkräftemangel, der oft als Risiko für Versorgung und weiteres Wachstum genannt wird, nannte Dieckmann die gut ausgebildeten Fachkräfte als klaren Vorteil des Standorts Deutschland - noch finde sein Unternehmen ausreichend Fachkräfte für die Versorgung.


700
Teilnehmer aus Versorgung, Politik und Industrie kamen zur 14. Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft, die jährlich in Rostock-Warnemünde veranstaltet wird.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201806/h18064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2018, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2018

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