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ARTIKEL/1495: Jahresempfang der Techniker Krankenkasse in Kiel - Digitalisierung auf dem Weg (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2018

Digitalisierung
Schleswig-Holstein ist auf dem Weg

von Astrid Schock


Videosprechstunden für benötigte Expertise. Elektronische Übermittlung von Patientendaten und mehr Datennutzung als Datenschutz. TK-Jahresempfang zum Thema.

Rund 2,8 Millionen Menschen leben in Schleswig-Holstein, circa die Hälfte ist auf ärztliche Versorgung im ländlichen Raum angewiesen. Ein Drittel der derzeit tätigen Gebietsärzte geht in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Wie kann die technische Entwicklung dieses Defizit ausgleichen und auf welchen Gebieten erscheint die Digitalisierung der medizinischen Welt als sinnvoll? Mit diesen Themen beschäftigte sich der diesjährige Jahresempfang der Techniker Krankenkasse, der stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der TK, Thomas Ballast, konkretisiert:

  • Digitalisierung geht nicht vorbei.
  • Digitalisierung schafft mehr Transparenz, Information und Kommunikation.
  • Digitalisierung braucht Infrastruktur.
  • Digitalisierung braucht Menschen, die diese schaffen und nutzen.

Bereits heute sind diese Erkenntnisse im Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein spürbar: Sowohl Dr. Jens Lassen, Arzt in Weiterbildung in einer hausärztlichen Praxis im ländlichen Bereich, als auch das von Harald Stender, Koordinator ambulante Versorgung im Kreis Dithmarschen, betreute Ärztehaus in Büsum nutzen bereits Videosprechstunden. Kommt ein Patient mit Symptomen, die einer fachärztlichen Beratung bedürfen, kann schnell und unkompliziert ein augenärztlicher Kollege aus Rendsburg per Video hinzugezogen werden. Patienten sind der neuen Technik gegenüber aufgeschlossen und dankbar, nicht auf einen in ferner Zukunft liegenden Facharzttermin warten zu müssen. "Eine zeitnahe Diagnose und ein zügiger Behandlungsbeginn überzeugen", so Lassen.

Die Praxen in Leck und in Büsum arbeiten mit der neuen Technik im Rahmen eines Pilotprojektes, welches von der Robert-Bosch-Stiftung finanziert wird. Neben der augenärztlichen Videosprechstunde sind auch Videosprechstunden für die Gebiete Rheumatologie und Dermatologie denkbar.

Ebenso ist die Nutzung so genannter Telerucksäcke, welche bereits in Pilotprojekten in Travemünde genutzt werden, auch für andere ländliche Gebiete interessant. Mit diesen Rucksäcken führen Medizinische Fachangestellte Hausbesuche durch, die im Vorwege eine Weiterbildung zur Nicht-ärztlichen Praxisassistenz (NäPa) absolviert haben. Es lassen sich mit Hilfe des Rucksacks sechs verschiedene Parameter vor Ort messen und bei Auffälligkeiten direkt den behandelten Arzt per Video hinzuschalten. Diese Technik begeistert beide Seiten gleichermaßen.

Die Kosten für einen Telerucksack belaufen sich derzeit auf monatlich 500 Euro und werden im Rahmen des Pilotprojektes von der Robert-Bosch-Stiftung getragen. Stender appelliert jedoch an die Landesregierung, die Kosten nach Abschluss des Projektes zu übernehmen und nicht bereits erlangte Ziele wieder aufzugeben. Zudem sieht das Vergütungssystem derzeit keine Abrechnungsmöglichkeit für den Arzt vor, wenn seine angestellte NäPa die Hausbesuche durchführt. Hierfür ist immer noch ein persönlicher Hausbesuch des Arztes notwendig, die Behandlung per Video wird nicht vergütet. "Wenn Innovationen gewollt sind, so müssen auch finanzielle Anreize geschaffen werden" findet Stender.

Auch in einem weiteren Projekt rückt die Digitalisierung weiter in den Vordergrund: QuaMaDi - Qualität in der Mamma-Diagnostik. Das bereits im Jahr 2001 begonnene Projekt beschäftigt sich mit der Frühdiagnostik von Mamma-Karzinomen. Bei einem Verdacht des Gynäkologen erstellen zwei Radiologen unabhängig voneinander einen schriftlichen Befund, stimmen diese nicht überein, untersucht ein dritter Kollege die Untersuchungsergebnisse. Im Projektzeitraum konnte so die Entdeckungsrate von Mamma-Karzinomen auf 60 % erhöht werden. In Gebieten ohne QuaMaDi liegt die Entdeckungsrate nur bei knapp 45 Prozent. Doris Scharrel, niedergelassene Gynäkologin und Professor Fritz Schäfer, Oberarzt am UKSH sowie Leiter Mammadiagnostik und Intervention, berichten jedoch von technischen und personellen Problemen beim Ausfüllen von Formularen und jährlichen Transport- und Druckkosten in Höhe von 600.000 Euro. Durch die Erweiterung des Projektes zu eQuaMaDi - elektronische Qualität in der Mamma-Diagnostik - sollen die Nutzer bei dem Ausfüllen von Fragebögen unterstützt und die Daten sicher und schnell ausgetauscht werden. Derzeit laufen die Ausschreibungen und auch die Telematik-Infrastruktur wird derzeit bereitgestellt. "Zukünftig könnten die geschaffenen Strukturen und Erkenntnisse des eQuaMaDi-Projekts die Überlebensrate bei Mamma-Karzinomen auch Schleswig-Holstein übergreifend maßgeblich erhöhen", so Schäfer.

Die derzeit in Schleswig-Holstein herrschende Infrastruktur zeigt jedoch noch Handlungsbedarf durch die Landesregierung. Denn nur wenn die notwendige Infrastruktur vorhanden ist, kann auch die neuste Technik genutzt werden. Minister Dr. Heiner Garg betont, dass der weitere Ausbau der Infrastruktur Grundvoraussetzung für eine bestmögliche Nutzung ärztlicher Versorgung in Schleswig-Holstein ist. Neben der Forcierung des Glasfaserausbaus müssen aber auch gemeinsame Kapazitäten sektorenübergreifend erschlossen werden. Am Ende durchgeführter Projekte muss stets die Überführung in die Regelversorgung angestrebt werden, und dies bei Vergütungssystemen, die die Sektoren verbinden. "Vergütungssyteme kranken daran, dass sie nicht zueinander passen", so Garg. Der in Schleswig-Holstein herrschende innovative Geist darf nicht durch zu strengen Datenschutz gebremst werden. Es solle viel mehr über Datennutzung- und nicht Datenschutz diskutiert werden.

Die gesundheitspolitischen Sprecher Bernd Heinemann (SPD), Dennys Bornhöft (FDP), Flemming Meyer (SSW) und Hans Hinrich Neve (CDU) betonen, dass Projekte wie die Videosprechstunden und eQuaMaDi von höchster Bedeutung sind, um die Medizin in Schleswig-Holstein zukunftssicher gestalten zu können. Die Balance zwischen Datennutung und Datenschutz ist derzeit allerdings noch nicht geschaffen, diese ist aber unerlässlich, um die gegebenen Techniken zufriedenstellend nutzen zu können. Auch eine funktionierende Infrastruktur sowie die Bereitschaft der tätigen Ärzte für das Anwenden neuster Technik ist hierbei unumstößlich.

Das Projekt elektronische Gesundheitsakte TK-Safe ist eine weitere Möglichkeit der medizinischen Digitalisierung. Hier hat der TK-versicherte Patient die Möglichkeit, seine Patientenakte mittels einer App selbst zu verwalten. In diese können sowohl seine Patientendaten der behandelnden Ärzte als auch selbst eingepflegte Informationen wie nicht verschreibungspflichtige Medikamente oder andere Dokumente eingetragen werden. Der Patient entscheidet selbst, welche Informationen er wann und wem zur Verfügung stellt. Die Daten liegen sicher auf Servern in Deutschland. Dr. Markus Schlobohm, Geschäftsbereichsleiter Unternehmensentwicklung der Techniker Krankenkasse, berichtet, dass dreiviertel der TK-Versicherten dieses Angebot befürworten und viele bereits die Beta-Version nutzen. Professorin Claudia Schmidtke, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages, begrüßt die zügige Umsetzung des bis 2021 umzusetzende Terminservice- und Versorgungsgesetzes und hofft, dass sich weitere Krankenkassen auf den Weg machen, diese Möglichkeit für ihre Patienten zu eröffnen. Auch bei ihrer täglichen Arbeit als leitende Oberärztin der Herzchirurgie im Herzzentrum der Segeberger Kliniken verspricht Schmidtke sich durch die medizinische Digitalisierung zukünftig eine Erleichterung.

"Das offene und positive Klima, das zwischen allen Akteuren des Gesundheitswesens in Schleswig-Holstein herrscht, bestärkt sowohl die Leistungserbringer als auch die Kostenträger und die Politik gemeinsam Schleswig-Holsteins Weg in die Digitalisierung zu formen und ebnen", so Garg.


500 Euro

im Monat kostet die Nutzung des Telerucksackes. Derzeit noch von der Robert Bosch-Stiftung im Rahmen eines Pilotprojektes finanziert, erhoffen sich die Anwender nach Projektabschluss eine Kostenübernahme durch die Landesregierung.


2021

bis zu diesem Jahr ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz in Schleswig-Holstein umzusetzen. Die Techniker Krankenkasse ist mit der Einführung der elektronischen Gesundheitsakte TK-Safe bereits auf einem guten Weg.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Vertreter aus Politik, der Kostenträger und Leistungserbringer diskutieren auf dem Jahresempfang der Techniker Krankenkasse Anfang September in Kiel die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Schleswig-Holstein.

- Links: Minister Dr. Heiner Garg (mitte) im Gespräch mit Dr. Johann Brunkhorst (links) und Thomas Ballast (rechts).

- Rechts: Dr. Jens Lassen, Arzt in Weiterbildung, berichtet von seinen Erfahrungen mit Videosprechstunden in seiner Praxis in Leck, Nordfriesland.

- Doris Scharrel und Professor Fritz Schäfer im Gespräch mit Moderator Dirk Schnack über das Projekt eQuaMaDi.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201810/h18104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, Oktober 2018, Seite 18 - 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2018

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