Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


ARTIKEL/1506: Digitalisierung - Der große digitale Wurf (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Digitalisierung
Der große digitale Wurf

von Dirk Schnack


Hamburg braucht dringend eine Digitalisierungsinitiative, meint Klinikbetreiber Asklepios. Die Hansestadt will nun einheitlich agieren.


Schleswig-Holstein hat die Bedeutung der Digitalisierung für das Gesundheitswesen nicht nur früh erkannt, sondern auch im Koalitionsvertrag verankert. In Berlin soll der größte kommunale Klinikkonzern Deutschlands, Vivantes, nach dem Willen der Gesundheitssenatorin Dilek Kolat "Digital Health-Leuchtturm" werden. In Brandenburg fordert Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Liste ließe sich fortsetzen. In vielen Regionen lassen Gesundheitspolitiker unterschiedlicher Parteizugehörigkeit keinen Zweifel daran aufkommen, für wie bedeutsam sie die Digitalisierung bei der Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung halten. Manchmal geht die digitale Euphorie der Politik so weit, dass sie darüber, wie kürzlich in Mecklenburg-Vorpommern, die Selbstbestimmungsrechte der ärztlichen Selbstverwaltung schlicht vergisst.

Und Hamburg? Der Stadtstaat, in dem sich das UKE und der Klinikkonzern Asklepios seit Jahren als Pioniere digitaler Versorgung verstehen, hat von politischer Seite aus das Thema bislang nicht in den Vordergrund gestellt. Nun will man sich gleich an die Spitze stellen. Allerdings gab nicht Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks, sondern Asklepios Vorstandschef Kai Hankeln den Impuls. Er forderte vergangenen Monat eine einheitliche Digitalisierungsinitiative für das Gesundheitswesen in Hamburg. Von der Gesundheitssenatorin erwartet er, dass sie den Prozess steuert und moderiert.

Grund für den Vorstoß: Asklepios sieht derzeit keine deutsche Strategie in der Health-IT und traut der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen auch nicht zu, diese gemeinsam ohne politische Hilfe zu entwickeln. Hankeln befürchtet sogar, dass der Gesundheitsmarkt ohne einheitliche Strategie in wenigen Jahren von globalen Konzernen wie Amazon oder Google beherrscht wird. Er glaubt: "Das deutsche GKV-System ist auf die Global Player nicht vorbereitet."

Eine gemeinsame digitale Plattform hätte auf jeden Fall Vorteile für die medizinische Forschung, wie Asklepios herausstellte: "Allein Asklepios versorgt in Hamburg jährlich mehr als 700.000 Patienten. Die dabei gewonnenen medizinischen Daten könnten so datenschutzkonform und anonymisiert in die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden und Therapien einfließen."

Auch weil Hankeln den Akteuren auf Bundesebene keinen gemeinsamen Weg zutraut, soll im überschaubaren Hamburger Markt ein Anfang gemacht werden. "Wenn ein Bundesland dafür die Voraussetzungen mitbringt, dann ist es Hamburg", sagte Hankeln mit Blick auf die starken Digitalisierungsinvestitionen im UKE oder in den Asklepios-Häusern in Wandsbek und Rissen. Zudem hält er die Akteure in Hamburg für aufgeschlossen genug, trotz Konkurrenz zu einer einheitlichen Linie zu finden. Diese Sichtweise überrascht aus mehreren Gründen:

  • Der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern ist deutlich größer als in Flächenländern. In der Vergangenheit fiel es den Kliniken oft schwer, unter Konkurrenzdruck zu einer gemeinsamen Linie zu finden.
  • Das Verhältnis zwischen der KV und den Kliniken ist immer wieder berührt von gegensätzlichen Interessen. Insbesondere die MVZ-Gründungen von Asklepios werden vonseiten der niedergelassenen Ärzte in Hamburg aufmerksam verfolgt.
  • Die Selbstverwaltung beobachtet mit Skepsis, dass die Gesundheitssenatorin auf größeren behördlichen Einfluss drängt.

Dass nun ausgerechnet die Senatorin um Hilfe gebeten wird, um zu einer einheitlichen Digitalisierungsstrategie zu finden, wird nicht jeden Akteur im Hamburger Gesundheitswesen überzeugen. Hankeln dagegen meint: "Die Senatorin ist die Geeignete, diesen Prozess zu steuern." Prüfer-Storcks selbst hält die Initiative für sinnvoll und will die Steuerung auch übernehmen. "Es gibt noch viele nicht ausgeschöpfte Digitalisierungspotenziale in den Krankenhäusern, von der elektronischen Patientenakte über digitale Video-Konferenzen mit hochspezialisierten Experten bis zum Einsatz von Robotern bei 0Ps oder Online-Ambulanzen für psychisch kranke Menschen", sagte die Senatorin nach dem Vorstoß von Asklepios auf Anfrage. Sie gab aber auch zu bedenken, dass bislang noch nicht einmal die Hamburger Krankenhäuser unter sich zu einer abgestimmten Linie gefunden haben. "Bisher hat leider jedes Haus seine eigene Strategie verfolgt." Sinnvoll sei, dass sich die Hamburger Krankenhäuser untereinander über ihre verwendeten IT-Systeme abstimmen. Ähnlich klingt Hankeln, wenn er sagt: "Hamburg braucht einen großen Wurf und keinen Flickenteppich von Insellösungen."

Die bisherigen Bemühungen im Gesundheitswesen etwa mit den verschiedenen elektronischen Patientenakten wie TK-Safe oder Vivy reichen auch nach Ansicht von Asklepios-IT-Chef Henning Schneider bei Weitem nicht aus. Nach seiner Ansicht müssen Prozesse über Sektoren hinweg digitalisiert werden - von der ersten Terminfindung bei niedergelassenen Ärzten über die Einweisung in das Krankenhaus bis zum Entlassungsmanagement und zur Nachsorge der Patienten. Profitieren sollen davon nicht nur die Patienten durch schnellere Termine und abgestimmte Versorgung über die Sektoren hinweg. Die Mitarbeiter in Krankenhäusern und Praxen sollen entlastet werden, weil die digitalen Prozesse ihnen mehr Zeit für die Patienten ermöglichen. Die Leistungserbringer wiederum könnten sparen, weil nicht mehr jeder Akteur an teuren Insellösungen basteln müsste.

Diese Sichtweise erfordert allerdings ein Umdenken bei den Akteuren. Hankeln hat damit schon begonnen, versicherte er bei der Vorstellung der Initiative. Denn bislang hat auch der Klinikkonzern hinter verschlossenen Türen an eigenen Konzepten gearbeitet. Jetzt will man die eigenen Ideen offenlegen und zur Verfügung stellen und sich zugleich für die Vorschläge anderer Akteure aufgeschlossen zeigen: "Wir entwickeln Ideen für den Markt, nicht für uns."

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage der Finanzierung. Hankeln und Prüfer-Storcks setzen auf den Strukturfonds von Bund und Ländern. Hankeln beziffert den Kapitalbedarf stadtweit auf rund 28 Millionen Euro.


700.000

Patienten werden nach Angaben von Asklepios allein von den Einrichtungen des privaten Klinikkonzerns jährlich in Hamburg versorgt. Die dabei gewonnenen medizinischen Daten sollen künftig datenschutzkonform und anonymisiert in die Entwicklung neuer Nachbehandlungsmethoden und Therapien einfließen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang