Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 7/8, Juli/August 2023
"Wir werden eine andere Kliniklandschaft haben"
von Martin Geist
KLINIKREFORM. Das Krankenhauswesen hat Reformbedarf: In dieser Diagnose waren sich alle einig bei den "Gesprächen am Wasser", zu denen der Verband der Ersatzkrankenkassen vdek am Kieler-Woche-Donnerstag an seinen Sitz im Sell-Speicher gebeten hatte. Teils stark auseinander gingen die Meinungen allerdings in Detailfragen.
Reinhard Busse hatte sich der vdek Schleswig-Holstein einen
Kenner der Materie nach Kiel eingeladen. Busse ist Arzt, Professor für
Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin
und als Mitglied der "Regierungskommission für eine moderne und
bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" ganz nah dran an den
Diskussionen über eine Reform der Krankenhauslandschaft.
Mit Zahlen und internationalen Vergleichen verdeutlichte der Experte, dass manches nicht rund läuft im System. So kommen hierzulande rechnerisch 250 von 1.000 Menschen pro Jahr zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus, in der Schweiz sind es ein Drittel und in den Niederlanden zwei Drittel weniger.
Trotzdem ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Deutschen geringer als bei den Nachbarn, was laut Busse unter anderem am Umgang mit Herzinfarkten liegt. 500 davon treten hierzulande am Tag auf, 18 entfallen auf Schleswig-Holstein. Allerdings ist es bundesweit und auch im Norden so, dass längst nicht alle Betroffenen in einer Klinik landen, die personell und technisch optimal ausgestattet ist.
Ebenfalls nicht immer zum Besten bestellt ist es bei der Therapie von Brustkrebs. Nur 79 % der Fälle in Schleswig-Holstein werden in einem zertifizierten Brustkrebszentrum behandelt. 21 % der erkrankten Frauen suchen ein weniger gut ausgestattetes Krankenhaus auf und haben entsprechend geringere Heilungschancen.
Überhaupt macht der Fachmann bei der Krebsbehandlung große Unterschiede in Europa aus. In Deutschland sind damit durchschnittlich vier Klinikaufenthalte verbunden, in vielen anderen Ländern nur zwei. Auch bei Leiden wie Diabetes oder Herzinsuffizienz lassen sich die Deutschen laut Busse deutlich häufiger stationär behandeln als andere Betroffene in Europa.
Die Forderung der Regierungskommission lautet deshalb, systemrelevante Krankenhäuser zu stärken, was bei insgesamt 62 Einrichtungen in Schleswig-Holstein auf 15 Kliniken zuträfe, die zusammen 67 % der Patienten aufnehmen. Besonders die kleinen Häuser könnten dann zum Beispiel zu medizinischen Versorgungszentren ohne oder mit nur sehr wenigen Betten werden. Gerade die Frage, was aus kleineren Kliniken werden soll, treibt im Flächenland Schleswig-Holstein aber viele Menschen um. "Die Versorgung besonders der Frauen und Kinder im ländlichen Raum darf nicht auf der Strecke bleiben", mahnte Sylke Messer-Radtke, wohnhaft im Kreis Schleswig-Flensburg und Vorständlerin im Landfrauenverband.
Axel Post von der spezialisierten Klinik Manhagen forderte, die Fachkliniken im Blick zu behalten und merkte allgemein an: "Nur weil die Struktur anders ist, muss die Leistung nicht besser sein."
Auf der anderen Seite berichtete Regina Hein von den Sana Regio Kliniken von "großer Begeisterung" seitens des Personals und auch von einer zufriedenen Patientenschaft angesichts des Konzentrationsprozesses in ihrem Unternehmen mit zusammen fast 900 Betten. Der Standort Wedel wurde bereits aufgegeben, in einigen Jahren soll auch Elmshorn stillgelegt werden, um alle Leistungen in einem Zentralklinikum in Pinneberg anzubieten.
Claudia Straub vom vdek Schleswig-Holstein bezeichnete die Ideen der Regierungskommission als "in großen Teilen sehr gut" und betonte: "Wir sollten uns darauf einrichten, dass es künftig weniger Kliniken geben muss."
Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) gab sich diplomatischer und sprach davon, "dass wir auf jeden Fall eine andere Kliniklandschaft haben werden". Jedoch räumte sie ein: "Es kann sein, dass die eine oder andere Klinik schließt oder in eine andere Gesundheitseinrichtung umgewandelt wird." Unerlässlich ist für von der Decken so oder so die Rücksicht auf die ländlichen Regionen. Kahlschläge dürfe es dort nicht geben, versicherte sie.
*
Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 7/8, Juli/August 2023
76. Jahrgang, Seite 22
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. August 2023
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang