Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 9, September 2023
"Eine enorme Leistung unserer Beschäftigten"
Dirk Schnack sprach mit Klinikdirektor Prof. Achim Rody
GEBURTSHILFE. Das Marien-Krankenhaus in Lübeck hat seine Geburtshilfe am 9. Juli wie berichtet wegen Personalmangels schließen müssen. Einzige Geburtsklinik in der Hansestadt ist seitdem die am UKSH. Wie die künftig die erwarteten 1.400 Geburten zusätzlich bewältigen will, schildert Klinikdirektor Prof. Achim Rody im Interview mit Dirk Schnack.
Was bedeutet die Schließung der Geburtshilfe im Marien-Krankenhaus für
Ihre Klinik rein zahlenmäßig?
Prof. Achim Rody: Im vergangenen Jahr hatte das Marien-Krankenhaus rund 1.400 Geburten, bei uns waren es genau 1.856. Schon dieses Verhältnis zeigt, welche Veränderungen damit auf uns zukommen. Weil es keine weitere Geburtsklinik in Lübeck mehr gibt, gehe ich davon aus, dass künftig fast alle werdenden Mütter in Lübeck bei uns entbinden werden. Ich bin aber überzeugt, dass wir das schaffen. Wir freuen uns auf diese Aufgabe, haben aber auch Respekt. Wir werden auch für die deutlich höhere Zahl an Entbindungen keine Kompromisse bei der Sicherheit eingehen.
Was macht Sie so sicher? Schließlich entspricht der prognostizierte
Anstieg der Fallzahl einem Wachstum um 75 %!
Rody: Wir wurden ja nicht von heute auf morgen vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Entwicklung zeichnete sich schon etwas länger ab und wir konnten uns vorbereiten. Das Land hat unserer Klinik ermöglicht, die Kapazitäten anzupassen - räumlich und personell. Am 25. September werden wir voraussichtlich unseren zweiten Kreißsaal eröffnen und damit unsere räumlichen Kapazitäten für die Geburtshilfe verdoppeln. Die ärztlichen Vollzeitstellen in der Frauenklinik können wir um 7,5 auf 34,9 Stellen aufstocken. Ab Oktober werden diese zusätzlichen Stellen alle besetzt sein. Auch die Hebammenstellen werden aufgestockt.
Das sind die personellen Kapazitäten. Reicht das?
Rody: Nein, das allein würde sicherlich nicht reichen. Ohne das Engagement unserer Mitarbeitenden wäre das Ganze nicht möglich. Hier haben alle an einem Strang gezogen, um den Umzug vom Marien-Krankenhaus an das UKSH möglich zu machen. Die Beschäftigten ermöglichen, dass sich die entbindenden Frauen trotz des erforderlichen umfangreichen Umbaus bei uns sicher und wohl fühlen. Und sie schulen und integrieren die Beschäftigten, die zuvor am Marien-Krankenhaus gearbeitet haben. Dabei geht es auch um Abläufe und IT-Systeme. Das Ganze ist eine enorme Leistung unserer Beschäftigten. Ohne dieses zusätzliche Engagement wäre die Herausforderung kaum zu meistern.
Die Beschäftigten des Marien-Krankenhauses haben dort gerne
gearbeitet - jedenfalls haben sie dies auf der Demonstration zum
Erhalt des Hauses vermittelt. Wie gelingt deren Integration, gibt es
keine Ressentiments?
Rody: Ich habe auch den Eindruck, dass fast alle Beschäftigten dort es begrüßt hätten, vor Ort weiter arbeiten zu können. Jetzt arbeiten wir daran, dass sie gerne bei uns arbeiten. Natürlich gab es vereinzelt auch Ressentiments gegen das UKSH, die wir aber abbauen können. Hilfreich war sicherlich, dass wir uns schon seit April regelmäßig alle 14 Tage getroffen haben, um uns gegenseitig kennenzulernen. Ich war bis auf eine Ausnahme regelmäßig dabei und habe das Gefühl, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Wenn es Probleme gibt, werden sie angesprochen und wir versuchen, sie zu lösen.
Das Marien-Krankenhaus musste die Geburtshilfe schließen,
weil es Personalprobleme gab. Wie gelingt es Ihnen, die zusätzlich
erforderlichen Stellen zu besetzen?
Rody: Ich glaube, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte insbesondere unter dem Aspekt der sich entwickelnden Krankenhausstrukturreform gerne an einem Haus der Maximalversorgung arbeiten. Sie bekommen das volle Weiterbildungsspektrum geboten und bleiben offensichtlich gerne auch anschließend bei uns - zumindest spiegelt das die gute Bewerbungslage bei uns wider.
Die Zahl von 1.400 Geburten am Marien-Krankenhaus zeugt von
einem hohen Vertrauen der werdenden Eltern in dieses Haus. Wie wollen
sie das Vertrauen dieser Eltern gewinnen?
Rody: Wir versuchen, sie mit Qualität, Einfühlungsvermögen und Empathie zu überzeugen und bekommen bislang viele positive Rückmeldungen. Eltern, deren erste Kinder noch im Marien-Krankenhaus geboren wurden und die dort auch gerne wieder hingegangen wären, bedanken sich bei unseren Mitarbeitenden. Nach unserer Wahrnehmung sind die meisten Eltern dankbar dafür, dass das UKSH ein Perinatalzentrum Level I und damit der höchsten Versorgungsstufe ist. Die nächsten Häuser dieser Versorgungsstufe sind ohne Ausnahme eine Autostunde entfernt - in Schwerin, Kiel und Hamburg.
Diese hohe Sicherheit ist ja aber nicht bei jeder Entbindung
erforderlich.
Rody: Genau deshalb bieten wir Eltern, die vor einer Geburt mit voraussichtlich geringem Risiko stehen, eine Geburt im "Low-Risk"-Kreißsaal mit unmittelbarer Anbindung an das Eltern-Kind-Zentrum an. Dort arbeiten die Hebammen, die bislang im Marien-Krankenhaus gearbeitet haben. Das alte Marien-Krankenhaus können wir hier nicht neu aufbauen oder kopieren. Aber wir können versuchen, Gutes zu übertragen. Noch einmal zum Vertrauen der Eltern: Das besteht ja genauso in unsere Klinik. Ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, dass es daran fehlte, auch nicht, als im Marien-Krankenhaus noch entbunden werden konnte.
Bei der Demonstration für den Erhalt des Marien-Krankenhauses
zur Jahreswende hörte man auch Vorbehalte gegen das UKSH, u.a. gegen
ein zu großes, vermeintlich anonymes Zentrum am Rande der
Stadt ...
Rody: Ich muss an dieser Stelle betonen, dass das Marien-Krankenhaus nicht wegen uns schließen musste. Wir haben da keinen Konkurrenten übernommen oder in irgendeiner Weise negativen Einfluss genommen. Der Grund für die Schließung lag einzig in der Personalsituation. Warum wir diese Probleme nicht haben und dass wir alles andere als anonym sind, habe ich schon beschrieben. Wichtig ist mir: Keiner hier freut sich, dass am Marien-Krankenhaus keine Entbindungen mehr stattfinden können. Aber wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Wir haben auch überlegt, ob dem Marien-Krankenhaus in irgendeiner Art geholfen werden könnte. Dazu gab es ja mehrere Treffen mit hochrangigen Vertretern der Stadt und der Landesregierung. Die jetzt gefundene Lösung war offensichtlich die Bestmögliche. Und positiv bleibt: Werdende Eltern in Lübeck oder Umgebung müssen sich keine Sorgen machen - die Geburtsklinik ist da und wird ausgebaut, bei maximaler Sicherheit.
Bleibt der Kritikpunkt mit der Lage am Stadtrand ...
Rody: Der UKSH-Campus liegt ja nun ganz bestimmt nicht in der Peripherie. Vom Zentrum zu uns sind es nur wenige Autominuten und wir haben außerdem eine gute Anbindung an die Umgehungsstraße, sodass Patienten aus dem Umland uns hervorragend erreichen. Das Marien-Krankenhaus lag traditionell mitten in der Altstadt. Dort kann ein Campus von der Größe des UKSH natürlich nicht liegen. Unsere Lage hat aber große Vorteile: Wir haben noch angrenzende Flächen, auf denen wir wachsen und uns damit an neue Herausforderungen anpassen können. Genau das nutzen wir bei unseren Planungen für den Neubau einer eigenständigen geburtshilflichen Klinik in Nachbarschaft zum Eltern-Kind-Zentrum. Im Zentrum Lübecks wäre so etwas nicht möglich.
Sie sind seit über zehn Jahren Klinikdirektor in Lübeck.
Haben Sie persönlich eine vergleichbare Situation wie jetzt in ihrer
beruflichen Laufbahn schon einmal erlebt?
Rody: Nein, noch nie. Das ist eine absolute Ausnahmesituation, die mit viel Unsicherheit für die Mitarbeitenden in beiden Häusern verbunden war. Ich bin positiv überrascht, wie die Beschäftigten, aber auch der Vorstand des UKSH diese Herausforderung angenommen haben. Trotz begrenzter Ressourcen wurden wir gefragt, was wir brauchen, um die zusätzlichen Entbindungen zu bewältigen - und haben dies bekommen. Das ist alles andere als selbstverständlich.
Vielen Dank für das Gespräch.
*
Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 9, September 2023
76. Jahrgang, Seite 20-21
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. Oktober 2023
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