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ARTIKEL/1256: Gesundheit und Pflege - Lösungsansätze für künftige Versorgungsstrukturen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012

Fachtagung
Gesundheit und Pflege sollen als Einheit betrachtet werden

Von Dirk Schnack


Verbandsübergreifende Arbeitsgruppen legten Lösungsansätze für künftige Versorgungsstrukturen vor. Folgt nun der Gesundheits- und Pflegerat?

Das Projekt Gesundheit und Pflege in Schleswig-Holstein hat seine Ergebnisse vorgelegt. Beendet ist die Arbeit der verbandsübergreifenden Arbeitsgruppen damit nicht: Jetzt geht es an die Umsetzung der zum Teil mühsamen Kompromisse. Helfen soll dabei ein Gesundheits- und Pflegerat Schleswig-Holstein, den Mit-Initiator Prof. Fritz Beske auf einer Fachtagung zum Thema am 3. März in der Kieler Halle 400 vorschlug. Damit könnte die angebahnte Kooperation zwischen den 19 beteiligten Verbänden und Interessengruppen vertieft und zugleich die Realisierung mancher Vorschläge unterstützt werden.

Beske selbst ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass mit schnellen Lösungen nicht gerechnet, andererseits aber keine Zeit verloren werden darf. "Man muss konkret werden und in längeren Zeiträumen denken als es Politik gemeinhin tut", sagte Beske in Kiel. Und er stellte nach den Erfahrungen der vergangenen Monate, in denen die unterschiedlichen Gruppen gemeinsam nach Lösungen für Versorgungsprobleme gesucht hatten, fest: "Man kann, man muss mit den Verbänden zusammenarbeiten. Man muss Gesundheit und Pflege als Einheit betrachten und die Verbände in die Lösungen einbeziehen."

Wichtigster Unterstützer ist dabei Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg (FDP), der sich auch kurz vor der Landtagswahl nicht scheute, die zum Teil unbequemen Botschaften mit zu tragen. Beske hatte sie zu Beginn der Tagung noch einmal skizziert: Die personellen und finanziellen Spielräume werden uns nicht mehr die Versorgung erlauben, die wir uns wünschen. Die Zahl der erwerbsfähigen Menschen wird deutlich zurückgehen - damit sinkt auch die Zahl der Menschen, die in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, und die Zahl derjenigen, die in Gesundheit und Pflege als Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Zugleich steigt aber die Zahl der Menschen, die Leistungen abrufen, weil die geburtenstarken Jahrzehnte der 60er und 70er Jahre bald hohen Bedarf an Versorgung haben werden. Schon heute ist klar, dass die Zahl der Herzinfarkte, der Schlaganfälle und der Pflegebedürftigen stark ansteigen wird. Vor dieser Ausgangslage fanden sich vor rund einem halben Jahr 19 Verbände und Organisationen unter Moderation des Fritz Beske Instituts zusammen, um nach einer sorgfältigen Analyse gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. Dass die manchem Beteiligten schwer gefallen und gegen die Ansichten eigener Mitglieder ausgefallen sind, zeigt das Beispiel DocMobil. Dieser Vorschlag aus dem Kieler Gesundheitsministerium wird eigentlich von Ärztekammer und KV als untauglich betrachtet, um die Versorgung auf dem Land zu verbessern. Die Arbeitsgruppe zum Thema Bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen hatte ihn trotzdem auf ihre Vorschlagsliste gesetzt. Dr. Klaus Bittmann, Vorsitzender der Ärztegenossenschaft und Sprecher der Arbeitsgruppe, schlug vor, das DocMobil genauso wie einen Shuttleservice, der Patienten in die Praxen transportiert, zu erproben und evaluieren zu lassen. Dies gilt auch für ein entsprechendes Modell auf Apothekerseite, das ApoMobil. Als Modellregion war in der Vergangenheit Dithmarschen in der Diskussion. Weitere Empfehlungen zu bedarfsgerechten Vorsorgungsstrukturen:

- Benötigt wird ein kommunal orientierter Versorgungsansatz, der die Patienten durch alle Leistungsbereiche führt. Die Kommunen sind deshalb in die regionale Bedarfsplanung einzubeziehen.

- Kommunale Lenkungsausschüsse sollten ein regionales Sicherstellungskonzept entwickeln.

- Erforderlich sind z. B. sektoren-, fach- und berufsgruppenübergreifende Schwerpunktpraxen mit zentraler Lage in der Region.

Bei Überlegungen zur wohnortnahen hausärztlichen Versorgung spielte neben dem demografischen Wandel auch das veränderte Berufsverständnis von jüngeren Ärzten und besonders von Ärztinnen eine wichtige Rolle. Gefordert wurde deshalb ein Ausgleich von Beruf, Familie und Freizeit. Die KV-Vorsitzende Dr. Ingeborg Kreuz als Sprecherin der Arbeitsgruppe erinnerte außerdem an die ausufernde Bürokratie, die Hausärzte mit zahlreichen Anfragen und Dokumentationspflichten belastet. Die Empfehlungen zu diesem Themenkomplex:

- Von Unterversorgung bedrohte Gebiete benötigen Pilotprojekte, mit denen eine mobile, ortsungebundene hausärztliche Versorgung ermöglicht wird.

- Verschlankung des Dokumentations- und Formularwesens, um Zeit für den Patienten zu gewinnen.

- Abschaffung der Praxisgebühr. Prüfung eines Modells mit Selbstbeteiligung, das sozial ausgewogen, an der Inanspruchnahme orientiert und bargeldlos ist.

- Delegation ärztlicher Leistungen auf entsprechend fortgebildete medizinische Fachangestellte.

- Einrichtung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin an den Standorten Kiel und Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.

Zum Bereich Telemedizin und elektronische Vernetzung in Gesundheit und Pflege kritisierte Dr. Franz Bartmann als Sprecher der Arbeitsgruppe, dass es in Schleswig-Holstein keine flächendeckende telematische Infrastruktur und kein zentral koordiniertes Konzept für eine telemedizinische und elektronische Vernetzung in Gesundheit und Pflege gibt, sondern ausschließlich isolierte Insellösungen durch Initiative einzelner Gruppierungen. Die Telemedizin gewinne jedoch an Bedeutung. Die Empfehlungen:

- Einrichtung eines Landesgremiums "Telematik" zur Koordinierung aller in Schleswig-Holstein vorhandenen und geplanten telematischen/telemedizinischen Projekte.

- Begutachtung aller vorgesehenen Maßnahmen durch eine Projektgeschäftsstelle.

- Landesweite Einführung der elektronischen Fallakte (eFA) als sektorenübergreifende Kommunikationsplattform für fallbezogene klinische Daten.

- Nutzung der Erfahrungen der Segeberger Kliniken mit der Erfassung von Vitaldaten und Ausweitung auf Schleswig-Holstein insgesamt unter Leitung des Segeberger Telemedizinzentrums. Nahziel: Einrichtung von zwei weiteren Zentren.

Gesundheitspolitiker von Koalition und Opposition begrüßten es, dass die Verbände zu gemeinsamen Lösungen gefunden haben. Ursula Sassen (CDU) und Anita Klahn (FDP) hatten keine Kritik an den gefundenen Empfehlungen. Dr. Marret Bohn (Bündnis 90/Die Grünen) würde das Fragezeichen, mit dem die Arbeitsgruppe eine Pflegekammer noch versehen hatte, streichen. Sie vermisst eine stärkere Berücksichtigung der Situation psychisch Kranker und sprach sich für eine sofortige Besetzung des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin aus. Bernd Heinemann (SPD) kann sich ein DocMobil nicht vorstellen. Seine für Pflege zuständige Parteikollegin Birte Pauls ist ebenfalls gegen das Fragezeichen hinter der Pflegekammer.

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dr. rer. pol. Heiner Garg (li.) und Prof. Fritz Beske während der Pressekonferenz in der Halle 400.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012 - März 2012
65. Jahrgang, Seite 18 - 19
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
V.i.S.d.P.: Dr. Franz Bartmann
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Internet: www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2012

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