Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2023
"...und dann sind alle glücklich"?
Kliniken hadern mit Reform
von Dirk Schnack
KLINIKEN. Worauf müssen sich die Krankenhäuser einstellen? Welche Bedingungen sind erforderlich, damit sie auch künftig Patienten stationär versorgen können? Welche Standorte wollen, welche können wir uns leisten? Verlässliche Antworten auf diese Fragen kann derzeit niemand geben. Die dynamische Entwicklung führt auch in Schleswig-Holstein zu immer mehr Kontroversen.
Länder gegen den Bund, Oppositions- gegen Regierungsparteien,
ländliche Strukturen gegen Städte, Kliniken gegen Vertreter des
ambulanten Bereichs - die Zukunftsperspektiven für die Krankenhäuser
sind seit Vorlage der Vorschläge der von Bundesgesundheitsminister
Prof. Karl Lauterbach (SPD) eingesetzten Expertenkommission nicht
klarer geworden.
Deutlich sind dagegen die schwierigen Bedingungen für die Krankenhäuser. Dies zeigte sich u.a. am 22. März im Kieler Maritim: Rund 120 Akteure aus dem schleswig-holsteinischen Gesundheitswesen waren zum Parlamentarischen Abend der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein gekommen. Darunter u.a. Landesgesundheitsministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) und der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß. Die Stimmung unter den Klinikvertretern hätte besser sein können - die bevorstehende Krankenhausreform und die aktuelle wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser lassen das derzeit nicht zu. Seit eine von Prof. Karl Lauterbach im Dezember 2022 eingesetzte Regierungskommission einen Vorschlag zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung vorgelegt hat, wird darüber öffentlich diskutiert - und vor allem gestritten.
Ob das bis Sommer angestrebte Konzept dann tatsächlich vorliegen wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Fest steht, dass in Bund und Ländern mit Hochdruck daran gearbeitet wird. Fest steht auch, dass diejenigen, die die Reform umsetzen sollen, in der Expertenkommission nicht vertreten waren und dass nicht parallel an einer Auswirkungsanalyse gearbeitet wurde. Ebenso, dass die finanzielle Lage der Krankenhäuser sich zuspitzt. Zwei Insolvenzverfahren von großen, versorgungsrelevanten Krankenhäusern in Schleswig-Holstein (imland und Diako) und die Erwartung zahlreicher Häuser, dass sie das laufende Jahr mit einem Defizit abschließen werden, zeigen die angespannte Situation in den Krankenhäusern in Schleswig-Holstein, aber auch in zahlreichen anderen Regionen.
740 Millionen Euro So hoch beziffert die Deutsche Krankenhausgesellschaft die aktuelle Deckungslücke bundesweit für die Kliniken - monatlich!
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft berechnete eine monatliche Deckungslücke von bundesweit 740 Millionen Euro für die Kliniken. Eine Blitzumfrage unter den Krankenhäusern in Schleswig-Holstein bestätigte das laut KGSH für unser Bundesland. "Der Regelfall sind mittlerweile negative Jahresabschlüsse und Erwartungen. Ausgeglichene Ergebnisse melden nur noch wenige Krankenhäuser, Überschüsse sind seltene Ausnahmen", so die KGSH anlässlich ihres Parlamentarischen Abends. Hochgerechnet auf die Gesamtheit ergibt sich aus den Jahresabschlüssen für das abgelaufene Jahr laut KGSH ein Negativsaldo von rund 100 Millionen Euro. Für 2023 erwarten die Kliniken sogar eine Verdoppelung dieses Verlustes. Als Hauptursachen werden die allgemeine Inflation, gestiegene Energiepreise und Erlösausfälle aufgrund von Bettensperrungen genannt.
KGSH-Geschäftsführer Patrick Reimund sagt dazu: "Warten auf die Krankenhausreform wird die Krankenhäuser nicht retten. Es besteht akuter Handlungsbedarf, wenn Strukturplanung nicht durch Insolvenzverwalter erfolgen soll. Der Bundesgesetzgeber muss noch vor dem Sommer in einem Vorschaltgesetz die Finanzierung der Krankenhäuser absichern. Darin müssen die ungedeckten Preissteigerungen und die Tarifsteigerungen vollständig abgedeckt werden."
"Die Krankenhäuser liegen auf der Intensivstation."
Dr. Gerald Gaß
Deutliche Worte finden auch Klinikvertreter außerhalb des Landes. "Die Krankenhäuser liegen auf der Intensivstation - und niemand kümmert sich um lebensrettende Sofortmaßnahmen", sagte etwa Gaß in einem Podcast des Klinikbetreibers Asklepios. Dessen Vorstand Kai Hankeln beklagte: "Keiner will die Investitionsmittel geben, die Länder wären zuständig, haben es aber nicht, der Bund übernimmt sie nicht und die Gesetzlichen Krankenversicherungen sind selbst klamm."
Die deutlichen Worte sind verständlich, schließlich sind die Finanzen nicht das einzige Thema, das den Kliniken zusetzt. Die ungeklärte Frage, wie die ambulante Leistungserbringung zwischen den Kliniken und den niedergelassenen Ärzten zu fairen Bedingungen künftig gestaltet werden könnte, zählt ebenfalls dazu. Über allem schwebt seit Jahren der Fachkräftemangel - Themen, die mit der jetzt geführten Diskussion nach Überzeugung von Experten kaum gelöst werden. Gaß und Hankeln zumindest halten diese Vorstellung für naiv. "Die Reform wird das Fachkräfteproblem ja nicht lösen. Auch das ist so ein Narrativ: Wir verteilen einfach die Mitarbeiter, die da sind, auf weniger Häuser - und dann sind alle glücklich. Dass in den wenigen Häusern dann auch mehr Fälle sind und die Arbeitsbelastung dadurch keineswegs kleiner wird - das wird ignoriert", sagt Hankeln.
Was wird außerdem an den Reformvorschlägen kritisiert?
• Die DKG bemängelt - genauso übrigens wie der Marburger Bund (MB) -, dass laut Reformvorschlag aus Berlin zu viele Krankenhäuser in die Level-Kategorie 1i fallen und damit faktisch keine Krankenhäuser mit üblicher stationärer Versorgung mehr wären. Dies würde vor allem in der Fläche zu Versorgungsengpässen führen. "Im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land muss das Gesundheitsministerium hier dringend nachbessern" so die DKG.
• Als "unscharf " empfinden MB und DKG die Aussagen zur Kooperation zwischen den Kliniken: "Wenn nur in einem Umkreis von fünf Kilometern Luftlinie kooperiert werden darf, verschärft das die Situation noch einmal und ignoriert, dass Zusammenarbeit zwischen Standorten gerade eines der Erfolgsrezepte zur Bewältigung der Corona-Pandemie war."
• Ein echter Abbau von Bürokratie ist nicht zu erwarten. "Wir können nicht Fachkräftemangel und Überarbeitung beklagen, und gleichzeitig unser hervorragend qualifiziertes Personal für ausufernde Bürokratie statt für die Patientinnen und Patienten einsetzen", so die DKG.
"Das Gutachten soll Klarheit zur Kompetenzverteilung sowie der Kostenverantwortung schaffen."
Prof. Kerstin von der Decken
Wie umstritten die Reformpläne sind, zeigt auch das von drei Bundesländern in Auftrag gegebene Rechtsgutachten bei Prof. Ferdinand Wollenschläger vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Augsburg. Die Gesundheitsminister von Bayern, Nordrhein-Westfalen und die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein - alle CDU bzw. CSU - lassen damit die Pläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen. Ihre Befürchtung: Der Bund könnte bei Umsetzung der Reformpläne in die Krankenhausplanung der Länder "hineinregieren" und damit seine Kompetenzen überschreiten. Es geht zum Beispiel um die geplante Vorhaltevergütung für Kliniken, die nur erfolgen soll, zu deren Erbringung das jeweilige Krankenhaus durch Zuweisung eines entsprechenden Levels sowie der erforderlichen Leistungsgruppe bestimmt ist. Zudem soll das Krankenhaus die mit Level und Leistungsgruppe jeweils verbundenen Mindestvoraussetzungen erfüllen. "Das Gutachten soll auch dazu beitragen, für alle Beteiligten Klarheit zur Kompetenzverteilung sowie der Kostenverantwortung zu schaffen. Damit wollen wir auch dazu beitragen, Perspektiven für eine rechtssichere Basis der notwendigen Reform zu eröffnen. Bundesseitig kommt dieser Aspekt zu kurz", sagte Schleswig-Holsteins Justiz- und Gesundheitsministerin Prof. Kerstin von der Decken. Sie betonte auch, dass es zur Qualität und Intensität der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern deutlich unterschiedliche Vorstellungen gebe. "Wir haben - aus gutem Grund - in Deutschland kein staatliches Gesundheitssystem, bei dem Kliniken einfach per politischem Beschluss eröffnet, verschoben oder geschlossen werden können. Die vom Bund geplanten Strukturveränderungen greifen massiv in die Krankenhausplanung der Länder ein und haben erhebliche Kostenfolgen", gab die Ministerin zu bedenken.
Gibt es trotz dieser massiven Kritikpunkte aus Ländern und Kliniken auch Konsens? Wenig. "Bund und Länder sind sich einig, dass wir eine Klinikreform brauchen, um bei begrenzten Ressourcen und steigenden Bedarfen die Versorgung dauerhaft zu sichern", sagt Schleswig-Holsteins Ministerin dazu. Immerhin betonte sogar Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, dass die Länder zur "konstruktiven Mitwirkung an einer von Bund und Ländern gemeinsam erarbeiteten Krankenhausreform bereit" seien. Seinem Statement ließ Holetschek erwartungsgemäß ein Aber folgen: "Dies erfordere eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bei der die verfassungsrechtlich festgelegte Kompetenzverteilung beachtet wird."
Deutlich moderater geht von der Deckens Vorgänger Dr. rer. pol. Heiner Garg (FDP), dessen Partei in Berlin mit der SPD in einer Koalition regiert, mit den Vorschlägen Lauterbachs um. Dessen Reformprozess nannte Garg im Hinblick auf die künftige Krankenhausvergütung einen "Meilenstein", weil neben die Fallpauschalen erlösunabhängige Pauschalen treten sollen, die die Vorhaltekosten abdecken und damit die Existenz versorgungsrelevanter Kliniken gewährleisten sollen. Garg machte aber auch klar, dass er längst nicht jedes Krankenhausbett in Deutschland für versorgungsrelevant hält. Eine dauerhaft gesicherte qualitativ hochwertige Versorgung in Deutschland hänge nicht von der Anzahl der Krankenhausbetten in irgendwelchen Bettenplänen der Bundesländer ab, "sondern von der richtigen Konzentration hochkomplexer Leistungen in personell und sachlich bestens ausgestatteten Krankenhäusern und einer nahtlosen Zusammenarbeit mit dem niedergelassenen Bereich."
"Frau von der Decken muss endlich eine klare Vorstellung präsentieren." Dr. rer. pol. Heiner Garg
Kleinere Krankenhausstandorte ohne Versorgungsrelevanz zu modernen Medizinischen Versorgungszentren umzuwandeln, könne "immer öfter sinnvoller sein", so Garg, der solche MVZ auch in kommunaler Hand für angezeigt hält. Er betonte aber auch, dass für eine solche Umstrukturierung ausreichende finanzielle Mittel und politischer Gestaltungs- und Durchsetzungswille erforderlich seien. "All das vermisse ich bei dieser Landesregierung gegenwärtig", so Garg. Er forderte seine Nachfolgerin im Amt auf, ihre "Hausaufgaben" zu machen. "Frau von der Decken muss endlich eine klare Vorstellung präsentieren, wie sie sich die künftige Versorgungsstruktur für Schleswig-Holstein vorstellt - das schließt Standorte wie Eckernförde ausdrücklich mit ein", sagte Garg.
Auch die Investitionsmittel des Landes nahm Garg zum Anlass, seine Nachfolgerin zu kritisieren. Die waren in seiner Amtszeit zwar auch nicht höher, zeigen aber die massive Unterfinanzierung der Krankenhäuser. Bis Redaktionsschluss gab es zwar keine öffentlichen Zusagen für das von Reimund geforderte Sofortprogramm, wohl aber Lichtblicke für vereinzelte Standorte im Norden: Die Planungen für das Zentralkrankenhaus in Flensburg können dank Landesförderung forciert werden. Und im Kreis Pinneberg hat man sich auf einen Standort für ein neues zentrales Krankenhaus, das die bisherigen Kliniken in Pinneberg und Elmshorn ersetzen wird, geeinigt.
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2023
76. Jahrgang, Seite 8-10
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. April 2023
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