Patientenrechte und Datenschutz e.V. - 20. August 2018
"Das ist #Spahnsinn" - Datenschützer kritisieren die Pläne von Gesundheitsminister Spahn zur elektronischen Übertragung von Krankheitsdaten
Seit wenigen Tagen liegt ein Referentenentwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor. Datenschützer und Patienten sind alarmiert: "Bundesgesundheitsminister Spahn will eine auf zentralen Servern liegende 'elektronische Patientenakte' mit Zugriff sowohl über die Gesundheitskarte und ihre Telematikinfrastruktur, als auch über das Internet." erklärt Dr. Silke Lüder vom Bündnis "Stoppt die E-Card". "Das bedeutet eine gigantische Sammlung sensibler Daten auf einem zentralen Server - für Datendiebe ein extrem attraktives Ziel mit hohem finanziellen Wert. Patienten, deren Daten dort gespeichert werden, werden quasi enteignet", ergänzt Dr. Elke Steven, Geschäftsführerin von "Digitale Gesellschaft".
Außerdem bergen beide Zugriffswege Risiken: Der Zugang über die Gesundheitskarte erfordert ein zentrales Register aller vorhandenen elektronischen Akten in der Telematik-Infrastruktur. So kann man leicht nachprüfen, welche Versicherten keine elektronischen Akten haben. Bei Versicherten mit elektronischer Akte kann man über dieses Zentralregister mindestens feststellen, wo ihre Akte zu finden ist.
Der nun zusätzlich vorgesehene Zugang per Smartphone oder Tablet über das Internet bedeutet offene Schnittstellen in der Telematikinfrastruktur, welche aus Sicherheitsgründen als geschlossenes Netz geplant war. Damit vervielfältigt sich die Gefahr unbefugter Zugriffe auf die elektronischen Patientenakten. Die übertragenen Daten auf den oft unzureichend gesicherten Mobilgeräten sind weiteren Gefahren ausgesetzt: Zugriffe durch Schadsoftware, Staatstrojaner und persönliche Assistenten (wie z.B. Cortana oder Siri) der Internet-Konzerne.
Auch die Einwilligungsregelung soll sich ändern: Mit der Übertragung von Daten in die elektronische Akte durfte bislang erst begonnen werden, wenn der Betroffene gegenüber einem Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeuten oder Apotheker eingewilligt hatte und die Einwilligung auf der Gesundheitskarte dokumentiert war. Dies setzte voraus, dass die Patienten auch tatsächlich in der Lage sein mussten, ihre Entscheidung bewusst und in Kenntnis der Risiken einer Offenlegung ihrer Daten zu treffen - was bei Kranken und Hilfsbedürftigen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Nach dem Gesetzentwurf soll nicht einmal diese Möglichkeit mehr gegeben sein. Denn die Patienten sollen ihre Zustimmung auch pauschal auf anderen Wegen oder nur gegenüber der Krankenkasse erklären können. Dies macht es schwer nachvollziehbar, ob tatsächlich eine Einwilligung vorliegt oder ob sie eventuell sogar widerrufen wurde.
Außerdem soll eine "elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" (eAU) eingeführt werden. Das bedeutet, dass alle Angaben, die bisher vom Versicherten auf Papier an die Krankenkasse geschickt wurden, künftig unter Angabe der Diagnose über eine Telematikinfrastruktur geleitet werden sollen. Der Versicherte hat so keine Möglichkeit, sich gegen diese elektronische Übertragung sensibler Daten zu entscheiden.
"Die zentrale Speicherung mit Online-Zugang im Browser, ohne ausreichende Verschlüsselung vereint das Schlechte aus zwei Welten" fasst Anwalt und IT-Fachmann Jan Kuhlmann, Vorsitzender des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e.V., zusammen. "Die beabsichtigte Einwilligungsregelung und eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefährden die informationelle Selbstbestimmung des Versicherten. Wir bewerten diese Vorschläge als #Spahnsinn".
Die Aktion "Stoppt die e-Card"
www.stoppt-die-e-card.de ist ein breites Bündnis von mehr als 50
Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten und
Ärzteverbänden. Die Bündnispartner sehen in der elektronischen
Gesundheitskarte eine Gefahr für die ärztliche Schweigepflicht, die
informationelle Selbstbestimmung der Bürger und für eine gute
medizinische Versorgung. Das Bündnis ist seit 2007 aktiv.
die Datenschützer Rhein Main
https://ddrm.de/ - eine lokale Gruppe des Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion: Stoppt die e-Card!
Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die unzulässige
Videoüberwachung des öffentlichen Raums; die elektronische
Gesundheitskarte (eGK) und die Digitalisierung des Gesundheitswesens,
der Sozialdatenschutz, z.B. bei Job-Centern und die Überwachung durch
Geheimdienste und andere staatliche Stellen.
Der Digitale Gesellschaft e.V.
https://digitalegesellschaft.de/ hat sich der gerechten und
demokratischen Teilhabe aller Menschen am digitalen und vernetzten
Zeitalter verschrieben. Wir setzen uns gegen einseitige Sicherheits-
und Urheberrechtspolitik, für Transparenz und Fairness, gegen
Hinterzimmerlobbyismus und für Nutzerrechte ein. Wir wollen Grund- und
Freiheitsrechte in der digitalen Welt verteidigen und ausbauen.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ)
www.freie-aerzteschaft.de ist ein Verband, der den Arztberuf als
freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt mehr als
2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie
verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland
Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige
Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die
ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.
Die Humanistische Union e. V. - Landesverband Berlin-Brandenburg
http://berlin.humanistische-union.de/ ist eine unabhängige
Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961 setzen wir uns
für den Erhalt und Ausbau der Grundrechte in Deutschland ein. Wir sind
für die Durchsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Leben und
Sterben.
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
http://www.grundrechtekomitee.de Aktiv, streitbar, couragiert
und - wenn menschenrechtlich geboten - zivil ungehorsam engagiert sich
das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Im Themenbereich
"Gesundheitssystem / Bioethik" treten wir für Datensouveränität und
Patient*innenrechte ein und haben uns u.a. kritisch mit Big Data im
Gesundheitswesen und der e-Card auseinander gesetzt.
LabourNet Germany:
http://www.labournet.de/
Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
Patientenrechte und Datenschutz e.V.
https://patientenrechte-datenschutz.de/ ist ein Zusammenschluss von
Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen, die die elektronische
Gesundheitskarte und die geplante Vernetzung im Gesundheitswesen, die
sog. "Telematikinfrastruktur", aus Datenschutzgründen kritisieren.
Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin
https://uexkuell-akademie.de/ Auf der Suche nach einem passenden
Modell, um die Spaltung der Medizin in eine für seelenlose Körper und
eine für körperlose Seelen zu überwinden, haben sich in der Akademie
Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Fachrichtungen zusammen
getan. In Regionalgruppen, Workshops, Modellwerkstätten und Tagungen
werden die Grundgedanken des entstehenden Modells
(wissenschaftstheoretische Ansätze der Semiotik, des Konstruktivismus
und der Systemtheorie) vertieft, diskutiert und in ihrer Brauchbarkeit
überprüft. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie der Humanmedizin,
die die individuelle Wirklichkeit der Beteiligten reflektiert.
*
Quelle:
Patientenrechte und Datenschutz e.V.
Jan Kuhlmann, Dr. Bernhard Scheffold
Pressemitteilung vom 20. August 2018
Internet: https://patientenrechte-datenschutz.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2018
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