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POLITIK/1962: Gesetzesflut aus dem Bundesgesundheitsministerium beschäftigt die Kassenärztliche Vereinigung im Norden (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2019

KVSH
"Nicht nur Kopf durch die Wand"

von Dirk Schnack


Die Gesetzesflut aus dem Bundesgesundheitsministerium beschäftigt die KV im Norden. Versorgung vor Ort künftig im Team.


Wenn es unter Standespolitikern um die Bewertung der zahlreichen Gesetzesvorlagen aus dem Bundesgesundheitsministerium geht, dominiert in aller Regel die Kritik. Als Dr. Monika Schliffke in der jüngsten Abgeordnetenversammlung der KV Schleswig-Holstein eine differenziertere Betrachtung anstellte, stießen manche Formulierungen auf Verwunderung, die zu Nachfragen aus den Reihen der Abgeordneten führten.

Grund waren Passagen aus Schliffkes Bericht zur Lage, in dem sie Spahns Gesetzesaktivitäten Punkt für Punkt abarbeitete und einer Bewertung unterzog. In dieser Bewertung sagte Schliffke etwa: "Da gibt es immer noch genug und auch wesentliche Kritikpunkte, auch noch große Unwägbarkeiten, aber auch gute Ideen. Hier will jemand dem Gesundheitswesen einen enormen Innovationsschub verpassen, nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, auch durchaus im Dialog." Schliffke bescheinigte dem Bundesgesundheitsminister außerdem: "Hier traut sich auch jemand in vermintes Gelände, siehe gematik" und sagte an anderer Stelle: "Hier ist ein Macher am Werk."

Offensichtlich zu viel Lob für einen Minister, der von niedergelassenen Ärzten bislang hauptsächlich negativ bewertet wurde. Auf Nachfrage stellte die KV-Chefin noch einmal deutlich heraus, dass sie etwa das von Spahn zu verantwortende Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) unter dem Strich für eine Zumutung für Ärzte hält. Schon in ihrer Bilanz hatte Schliffke zuvor erklärt, das TSVG bleibe für sie "generell eine Respektlosigkeit gegenüber dem Arztberuf, die man mit Geld gar nicht zudecken kann." Auch ihr Vorstandskollege Dr. rer. nat. Ralph Ennenbach sah keinen Anlass zu einer Neubewertung des in der Abgeordnetenversammlung schon mehrfach kritisierten Gesetzes, nur weil dieses an manchen Stellen finanzielle Vorteile für Ärzte verspricht.

Zu den von Schliffke positiv bewerteten Details von Spahns Arbeit zählt dagegen der geplante Systemwechsel beim MDK, der zu einer eigenständigen Körperschaft umgewandelt und damit unabhängiger von den Krankenkassen werden soll.

Was Spahns Aktivitäten konkret an Nachteilen für die Versorgung bewirken können, zeigte Schliffke auch am sogenannten Faire-Kassenwahl-Gesetz. Dort ist geplant, die DMP-Programmpauschale, die den Krankenkassen derzeit im Risikostrukturausgleich separat pro Teilnehmer gezahlt wird, zu streichen. Diese Pauschalen aber sind die wesentliche Grundlage für die Finanzierung der DMP-Verträge. Schliffke befürchtet nun, dass die Krankenkassen dies zum Anlass nehmen, auch die DMP zu streichen. Was das für die Versorgung im Norden bedeuten würde, machte die KV-Chefin an Zahlen deutlich: 2.300 Ärzte aus Schleswig-Holstein beteiligen sich an DMP, sie haben 215.000 Patienten eingeschrieben. Das aus DMP generierte Umsatzvolumen beträgt 21,6 Millionen Euro. Erzielt wurden damit laut Schliffke "gravierende Versorgungsverbesserungen". Ihr Appell war unmissverständlich: "Hier darf gar nichts aufs Spiel gesetzt werden."

DMP sieht sie auch beim Entwurf für das Gesetz Digitale Versorgung tangiert. Danach soll Krankenkassen erlaubt werden, zwei Prozent ihrer Rücklagen in die digitale Entwicklung bis hin zu Joint Ventures mit Firmen zu investieren. Folge laut Schliffke: "Die Kassen werden sich mit der Bereitstellung von Programmen unmittelbar in die ärztliche Behandlung einmischen können." Die KV-Chefin schloss nicht aus, dass es als Folge in fünf Jahren keine DMP-Schulungen mehr geben wird, weil dies interaktiv per Youtube oder App erfolgt. Sie forderte deshalb: "Wenn diese Option für die Kassen, dann bitte auch für die KVen."

Auf der Agenda der KV steht seit Jahren die Frage, mit welchen Organisationsformen die ambulante Versorgung in der Fläche künftig sichergestellt werden kann. Das Konzept der kommunalen Eigeneinrichtung wird dabei eine Ausnahme bleiben. Zwei solcher Zentren (Büsum und Lunden) unterstützt die KV finanziell, ein weiteres hält Schliffke für denkbar - mahnt aber zur Zurückhaltung. "Falls sich weitere bilden, müssen wir Zuschüsse nicht beibehalten." Auch KV-Eigeneinrichtungen seien "nicht ihr Ding", wie sie betonte. Die geplante Modell-Telepraxis in Dagebüll sei ebenfalls eine Ausnahme.

Schliffke traf diese Klarstellungen nach einer Anfrage. In den vergangenen Monaten war unter manchen Praxisinhabern in Schleswig-Holstein der Eindruck entstanden, die KV setze einseitig auf Modelle, die die Einzelpraxis ersetzen. Schliffke betonte, dass dies nicht der Fall sei. Wohl aber sieht sich die KV in der Pflicht, über Alternativmodelle nachzudenken, wenn Einzelpraxen nicht mehr nachbesetzt werden können. Ein mögliches Modell wird in Bad Segeberg unter dem Arbeitstitel "Teampraxis" diskutiert. Darunter versteht die KV lokale Gesundheitszentren in ärztlicher Hand. Ein mindestens drei bis fünf Ärzte starker hausärztlicher Kern mit qualifiziertem Personal und bei Bedarf mit Andockstation weiterer fachärztlicher Kompetenz durch Zweigpraxis- oder Videooption. Ob sich die Ärzteteams in Berufsausübungsgemeinschaften oder MVZ bilden, ist für die KV nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Teams die Peripherie abdecken, sich durch Kosteneffizienz ein Praxismanagement leisten können und Angestelltenverhältnisse, Weiterbildungsassistenten und Teilzeitstellen für Nachwuchsärzte ermöglichen - für Ärzte, die sich in dieser Region möglichst dauerhaft etablieren möchten. Schliffke räumte ein, dass damit eine gewisse Zentralisierungstendenz und eine unternehmerische Herausforderung verbunden sei - "ohne die man aber auch Selbstständigkeit nicht erhalten kann."

"Wir sehen uns die regionalen Versorgungsbereiche deutlich unterhalb der bedarfsplanerischen Mittelbereiche, also in den Nahbereichen an, und wir sehen das Alter der Ärzte", erklärte Schliffke. Daraus indentifiziere die KV Regionen, die in den kommenden Jahren kritisch werden könnten.

Das Interesse an solchen Modellen zeigten die Nachfragen aus den Reihen der Abgeordneten. Deren Wunsch nach konkreteren Plänen zeigte aber ein Missverständnis: Die KV will und kann für solche Ärzteteams keine Blaupausen liefern. Wie die Modelle funktionieren, ist stark von den Gegebenheiten der jeweiligen Region und den handelnden Personen abhängig.


Ärzteteam

Unter dem Arbeitstitel "Teampraxis" könnten von Ärzten entwickelte Konzepte entstehen, wie sie in der Fläche kooperieren. Ob BAG oder MVZ ist dabei zweitrangig. Wichtiger ist, dass Kosten geteilt und Organisationsformen geschaffen werden, mit denen Anstellung, Teilzeit und Weiterbildung in der ländlichen Versorgung möglich werden. Dies erfordert von den sich zusammenfindenden Ärzten Flexibilität und unternehmerisches Denken.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201907/h19074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juli - August 2019, Seite 10
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2019

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