Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2016
Symposion
Der Arzt hat Rechte, nicht nur Pflichten!
Von Horst Kreussler
Jahrestreffen von Juristen und Ärzten: Berliner Symposion zu den Rechten des Arztes.
Der Ausrufesatz in der Überschrift benennt heutzutage keine
platte Selbstverständlichkeit, sondern ist verkürzt die Botschaft des
zweitägigen 45. Symposions der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das
ärztliche Fortbildungswesen (KFS) für Juristen und Ärzte in Berlin mit
dem Thema "Die Rechte des Arztes in Klinik und Praxis". Das Thema
wurde wie stets aus den Vorschlägen der Teilnehmer des Vorjahres
ausgewählt: speziell deswegen, so die KFS-Geschäftsführerin Dr. Gisela
Albrecht, weil die Arztrechte zunehmend eingeschränkt und die
Patientenrechte zunehmend in den Vordergrund gerückt würden: "Die
Ärzterechte sind ein vernachlässigtes Thema geworden." Zwar sei das
ärztliche Zentralrecht der Therapiefreiheit "theoretisch noch
gegeben", aber praktisch nicht nur durch viele Vorschriften, auch
durch Leitlinien sowie ökonomische Zwänge erheblich eingeengt, sagte
ihr Stellvertreter Prof. Hans-Peter Vogel.
In zahlreichen Fachreferaten von medizinischer und juristischer Seite (knapp die Hälfte der über 150 Teilnehmer waren Mediziner) wurde dieser Befund analysiert und auch modifiziert.
Bereits die ersten Hauptreferate legten den Ton mehr auf "vernachlässigtes Thema in der Wahrnehmung von Ärzten". So wies Prof. Walter Schaffartzig (Berlin) für die Bundesärztekammer darauf hin, dass die Therapiefreiheit trotz aller Einschränkungen immer noch grundsätzlich sehr weit sei. Von juristischer Seite führte Prof. Jochen Taupitz (Mannheim) aus, der Eindruck eines Übergewichts von Patientenrechten bestehe zu Recht. Aber der Gesetzgeber habe einen Ausgleich schaffen wollen für das traditionelle Ungleichgewicht im Arzt-Patienten-Verhältnis. Außerdem - so im Patientenrechtegesetz (vgl. § 630a BGB) - dem besonderen Schutzbedürfnis der Patienten ähnlich wie dem der Käufer oder Mieter in anderen Vertragsverhältnissen.
Im Programmteil "Arzt und Patient" sah Prof. Hans-Friedrich Kienzle (Köln) die Ärzterechte ebenfalls eher in der Wahrnehmung vernachlässigt. Der Arzt habe zwar viele Pflichten, aber auch zahlreiche Rechte, auch wenn dies nicht immer bekannt sei. So habe er das Recht, medizinisch nicht indizierte Patientenwünsche abzulehnen, er "müsse nicht jede Patientenbegehrlichkeit bedienen". In Zweifelsfällen habe er auch das Recht, von sich aus ein Gutachten zu erstellen. Für ihn sei aber sicher: "Die meisten Ärzte haben ihren Beruf nicht gewählt, weil sie dadurch mehr Rechte als andere haben, sondern aus einer anderen Motivation."
Es fiel auf, dass das folgende wichtige juristische Referat von Rechtsanwalt Prof. Martin Stellpflug (Berlin) im Grunde mit den Statements der Mediziner weitestgehend harmonierte: keine Selbstverständlichkeit, denn Ärzte verstehen ihre Rechte, etwa auf Therapiefreiheit, naturgemäß möglichst weit, Juristen mit Blick auf sachgerechte Einschränkungen eher eng. Als Grundlage für das zu schützende Innenverhältnis zwischen Behandler und Patient bezeichnete er das ärztliche (bzw. psychotherapeutische) Berufsgeheimnis. Die Schweigepflicht sei deshalb zugleich ein Recht zur Verschwiegenheit mit entlastender Wirkung für den Geheimnisträger. Es schütze ihn vor äußeren Zumutungen Dritter, die in der Regel mit den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber dem Patienten kollidierten. Andererseits habe der Arzt auch Offenbarungsrechte, wenn andere Rechtsgüter wie das Kindeswohl im Falle von Kindesmisshandlungen dies erforderten (jetzt Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz). Das Recht auf Therapiefreiheit diene der Individualität des Behandlungsgeschehens und dem medizinischen Fortschritt und sei daher "denkbar weit und finde erst seine Grenze in der Sittenwidrigkeit".
Umgekehrt habe der Arzt auch das Recht, nicht zu therapieren, sagte anschließend der RA und Arzt Prof. Peter Gajzik, wenn er sich auf gute Gründe berufen könne wie Eigenschutz (bei gefährlichen oder gewalttätigen Patienten), besondere Infektionsgefahr oder auch eindeutige Überlastung.
Rechte des Arztes in speziellen Bereichen ergänzten die generelle Analyse. Gegenüber dem Arbeitgeber, z. B. der Klinikleitung, haben Ärzte trotz Weisungsgebundenheit auch Rechte auf Meinungs- und Weisungsfreiheit (RA Hans-Jörg Kreyes, Leipzig), auf angemessene Arbeitsbedingungen und auf Fort- und Weiterbildung (Rudolf Henke, mb, Dr. Christoph Jansen (Düsseldorf) und im Wettbewerbsrecht (Dr. Christian Reuther, Berlin).
Selbstverständlich haben Ärzte auch Rechte gegenüber Behörden, wie Dr. Rudolf Ratzel aus München feststellte, und gegenüber ihren Standesorganisationen Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung (KV), wie der frühere Justiziar der Ärztekammer Hamburg, Dr. Horst Bonvie, erläuterte: Gegenüber der Kammer gibt es Abwehrrechte, z. B. gegen Maßnahmen der Überwachung der Berufsausübung nach dem Heilberufsgesetz, d. h. Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung von Rüge, Ordnungsgeld, Abmahnung. Zweitens Berufsausübungssicherungsrechte, d. h. das Recht auf Mitwirkung der Kammer bei der Wahrnehmung der Berufsfreiheitsrechte des Arztes. Drittens Teilhaberechte an Fortbildung und Qualitätssicherung, Versorgungswerk und Organisation der Weiterbildung. Anders gegenüber der KV, die in ein Kollektivvertragssystem eingebunden ist: hier bestehen mittelbare Rechte, unmittelbar vor allem das Recht auf Gehör und Beratung (letzteres werde oft nicht ausreichend beachtet, wie Stellpflug von "ratlosen vertragsärztlichen Mandanten" berichtete).
Schließlich bestehen Rechte auch im gesellschaftlichen Bereich, etwa gegenüber Bewertungsportalen oder im Patent- und Urheberrecht, denn: "Viele Verbesserungen und Erfindungen im medizintechnischen und pharmakologischen Bereich stammen von Ärzten bzw. ihrem Personal", so Rechtsanwalt Dr. Martin Quodbach aus Köln.
Ein Ausblick von diesem 45. Symposion könnte so aussehen: Die Themafrage (Ärzterechte vernachlässigt?) dürfte in Zukunft noch mehr Bedeutung gewinnen, weil der multi-laterale Druck auf die Ärzteschaft eher zunehmende Tendenz hat. Wieweit die gängigen Schlagworte dabei eine Rolle spielen, mag jeder selbst bewerten: Regulierung, De-Privilegierung, Bürokratisierung, Egalisierung.
Die Kaiserin Friedrich-Stiftung wurde 1903 auf Initiative von Ernst von Bergmann, Robert Kutner und Friedrich Althoff in Berlin gegründet und zur Trägerin des Kaiserin Friedrich-Hauses bestimmt, das zwischen 1904 und 1906 aus privaten Spenden errichtet wurde.
Als gemeinnützige Einrichtung hat sie sich bis Ende des Zweiten Weltkrieges der Pflege und Fortentwicklung ärztlicher Fortbildung gewidmet. Nach 1945 ruhte die Stiftungstätigkeit bis 1972, als sie auf Initiative von Wilhelm Heim in West-Berlin reaktiviert wurde. Nach der Wiedervereinigung wurde die Stiftung wieder in ihre alten Rechte eingesetzt und konnte im Herbst 1992 in ihren im Regierungsviertel in Nähe zur Charité gelegenen Stammsitz - das Kaiserin Friedrich-Haus - zurückkehren.
Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2016 im
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Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, März 2016, Seite 33
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2016
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