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RECHT/607: Neuer Antikorruptionsparagraf 299 - Unsicherheit bei Ärzten bleibt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2017

Kooperation
Unsicherheit bei Ärzten bleibt

Von Anne Lütke Schelhowe


Seit Inkrafttreten des § 299 stehen Kooperationsverträge auf dem Prüfstand. Was noch erlaubt ist und was gesetzeswidrig stand im Fokus des diesjährigen FKQS-Symposiums in Kiel.


Die einen finden ihn sinnvoll, die anderen überflüssig oder gar bedrohlich: Der im Sommer in Kraft getretene Antikorruptionsparagraf 299 scheidet die Geister. Das wurde auch Anfang Dezember beim Symposium des Förderkreises Qualitätssicherung im Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein (FKQS) in Kiel deutlich.

Karl Lienshöft, langjähriger Staatsanwalt und Untersuchungsführer für die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe, findet die neue gesetzliche Regelung "im Großen und Ganzen gut". Er verwies darauf, dass die inhaltliche Ausgestaltung der Verträge entscheidend sei: "Wenn es einen sinnvollen Beitrag für medizinische Versorgung darstellt und wenn die Vergütung angemessen ist, kann man nicht von einer Unrechtsvereinbarung sprechen. Dann haben Sie etwas vereinbart, was schon immer erlaubt war und weiterhin erlaubt bleibt." Auch einseitige Zuwendungen, z. B. Einladungen zu Fortbildungen durch die Pharmaindustrie könne man nicht per se als korruptes Verhalten bezeichnen, wenn nur die Tagungsgebühren und die Reisekosten erstattet werden. Erst bei zusätzlichen darüber hinausgehenden Leistungen könne man leicht in den Bereich der Korruption kommen.

Rechtsanwalt René T. Steinhäuser kritisierte das Gesetz in seinem Impulsvortrag dagegen scharf: "Wenn man sich die ganze Gesetzentwicklung ansieht und letztendlich auch das Ergebnis, dann finde ich es unverantwortlich, ein solches Gesetz zu verabschieden. Es betrifft eine Masse von Ärzten und schafft einen Generalverdacht, der nicht begründet ist." Aus jeder zulässigen Kooperation könne man auch illegale Konstruktionen ableiten. "Daher ist es fadenscheinig zu sagen, was vorher zulässig war, ist auch heute zulässig. Geprüft werden müssen alle Verträge", so Steinhäuser.

Einig waren sich der Untersuchungsführer und der Rechtsanwalt allerdings beim Problem der Angemessenheit der Vergütung. Denn was angemessen ist, wisse zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand: "Fragen Sie mal einen Staatsanwalt, was angemessen ist. Einer sagt 12,30 Euro, der andere 112,30 und der nächste 1.230 Euro", so Lienshöft. Die Angemessenheit der Vergütung bemesse sich nach dem Äquivalenzprinzip. Leistung und Gegenleistung sollen einander entsprechen. Da es aktuell aber noch keine Rechtsprechung gibt, könne noch niemand seriös beurteilen, was angemessen ist. Man könne sich dem nur nähern, z. B. durch die GOÄ, die als Anhaltspunkt verwendet werden könne. Schlussendlich zog Lienshöft in seinem Vortrag aber ein für Ärzte ernüchterndes Fazit: "Je weniger Sie vereinbaren, desto besser."

Welche direkten Folgen der Paragraf hat, schilderte Dr. Svante Gehring, Hausarzt und Geschäftsführer des Hausarztnetzes Nord HANN GmbH, in der anschließenden Diskussionsrunde. Dem Netz seien ad hoc vier Verträge mit Krankenhäusern weggebrochen, obwohl man sich auch in der Vergangenheit immer hatte juristisch beraten lassen. "Wir haben uns immer sehr viel Mühe gegeben, eine angemessene Preisgestaltung zu finden, die sich eher an den EBM-Werten orientiert als an der GOÄ. Aber im Moment haben wir keine Partner, die sich mit uns an einen Tisch setzen und Verträge machen wollen. Die sind alle in Schockstarre und warten auf die ersten Präzedenzfälle. Für mich als Geschäftsführer eines Netzes ist das der Super-Gau", so Gehring. Dadurch hemme das Gesetz auch die Entwicklung der Netze. Dr. Klaus Bittmann von der Ärztegenossenschaft Nord, der auch Gehring angehört, unterstützte seinen Kollegen aus dem Publikum: "Es geht hier um eine Gesetzesnovelle, die wirklich bedrohlich für jeden sein kann, der nicht absolut auf der sicheren Seite steht. Ich habe keinen Juristen, der mir unterschreibt, dass mein Vertrag in Ordnung ist." Dass es keine absolute Sicherheit geben kann, bestätigten auch die beiden Juristen. Steinhäuser ergänzt jedoch zur rechtlichen Beratung: "Wenn Sie uns schildern, wie Sie eine Kooperation zu gestalten gedenken und das tatsächlich so machen und Sie bekommen ein sauberes Gutachten auf Ihren Sachverhalt zugeschnitten, dann ist zumindest die Frage des Vorsatzes hinfällig."

Auch Dr. Franz Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und erster Vorsitzender des FKQS, wies darauf hin, dass bereits das Berufsrecht die Norm sei, die jetzt im Strafrecht umgesetzt werde, nur mit anderen Sanktionsmöglichkeiten. "Wer das Berufsrecht einhält und wer die Möglichkeit nutzt, sich berufsrechtlich beraten zu lassen und dort die Auskunft erhält, dass er auf der sicheren Seite ist, braucht vor dem Strafrecht keine Angst zu haben. Es hat sich im Grunde nicht so wahnsinnig viel getan." Auch Dr. Roland Ventzke, Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses Kiel, rief zu etwas mehr Gelassenheit auf. Er selbst habe alle Verträge seines Hauses geprüft und nur einen einzigen Vertrag als Folge des Gesetzes gekündigt. "EBM und GOÄ sind Marktpreise und damit habe ich einen Anhaltspunkt. Wir orientieren uns am GOÄ-Einfachsatz und damit fühle ich mich relativ sicher."

Für das Gesetz plädierte Armin Tank, Leiter der vdek-Landesvertretung Schleswig-Holstein: "So wie wir jetzt hier diskutieren zeigt ja, dass wir das Gesetz offensichtlich brauchen. Wir haben nicht nur niedergelassene Ärzte: Das sind gleichermaßen selbstständige Kaufleute und die sollten nicht anders behandelt werden. Wenn ich mir die Herleitung des Gesetzes anschaue, dann ging es darum, Schaden vom Gesundheitswesen und gerade Schaden vom Arzt-Patienten-Verhältnis abzuwenden. Insofern begrüßen wir das." Dem stimmte Karsten Jasper, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion zu. Das Gesetz sei auf die Patientensicherheit und einen fairen Wettbewerb gerichtet. Aber wenn es Korruption gebe, müsse diese richtig verfolgt und hart bestraft werden. Auf die Zukunft gerichtet würde sich Jasper wünschen, dass das Gesetz evaluiert und gegebenenfalls angepasst wird.

Weniger Unsicherheiten gibt es dagegen aufseiten der Pharmaindustrie, die von Leonie Ruhwinkel, Juristin bei der MSD Sharp & Dohme GmbH, vertreten wurde: "Wir beachten in der pharmazeutischen Industrie vier Grundprinzipien: Transparenz, Dokumentation, Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung und es muss einen Bedarf für die Leistung geben. Wenn man dies beachtet, hat man eine gute Sicherheit." Trotzdem gebe es Ärzte, die mit Vertretern der pharmazeutischen Industrie nicht einmal mehr gesehen werden wollen, aus Angst, sich dem Verdacht von Korruption auszusetzen. Ruhwinkel: "Das finde ich erschreckend."

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BESTECHLICHKEIT IM GESUNDHEITSWESEN

Gemäß § 299 StGB können Angehörige von Heilberufen, die im Zusammenhang mit der Berufsausübung einen Vorteil fordern, sich versprechen lassen oder annehmen als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung eines anderen im Wettbewerb, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Dies betrifft die Verordnung, den Bezug und die Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Zuführung von Patienten. Gleichzeitig wird auch bestraft, wer einem Angehörigen eines Heilberufs entsprechende Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt. Das Gesetz ist im Juni 2016 in Kraft getreten.

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"RICHTIG KOOPERIEREN"
KBV gibt Handlungsempfehlungen

Trotz des Anti-Korruptionsgesetzes bleibt Kooperation im Gesundheitswesen ausdrücklich erwünscht - sowohl innerhalb der Ärzteschaft als auch zwischen Ärzten und anderen Partnern wie Krankenhäusern, Therapeuten oder Apothekern. Damit ärztliche Kooperationspartner wissen, woran sie sich halten können und wie weit die Kooperation gehen darf, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Broschüre ihrer Reihe "PraxisWissen" dem Thema "Richtig kooperieren" gewidmet. Hierin werden nicht nur die neuen Korruptionsparagrafen im Strafgesetzbuch (§ 299a, § 299b, § 300) erläutert, sondern auch die wichtigsten Grundregeln für eine Zusammenarbeit geschildert. Die KBV nennt in der Broschüre folgende vier Grundsätze:

1. Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung
Die ärztliche Leistung und die dafür erbrachte Gegenleistung sollten in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es muss stets gewährleistet sein, dass es sich bei Zahlungen an Ärzte ausschließlich um das Entgelt für die Erfüllung von Verträgen handelt, die allein ärztliche Leistungen zum Inhalt haben und nicht die Verordnungs- oder Therapieentscheidung beeinflussen, denn dies ist auch strafrechtlich verboten. Gerade bei der Frage, ob die Vergütung angemessen ist, kann es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Was ist angemessen und welche Vergleichsgröße wird herangezogen - der Einheitliche Bewertungsmaßstab, diagnosebezogene Fallpauschalen, die Gebührenordnung für Ärzte oder Vergütungstabellen etwa für angestellte Ärzte an kommunalen Krankenhäusern oder Universitätskliniken? Bei Zweifeln empfiehlt es sich, die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) beziehungsweise Ärztekammer einzubeziehen.

2. Trennung von ärztlicher Leistung und Zuwendung
Entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendungen an Ärzte dürfen nicht mit dem Kauf von Waren oder dem Verordnungs- und Therapieverhalten gekoppelt sein. Sie sind gesundheits- und strafrechtlich verboten, wenn dadurch die medizinische oder therapeutische Entscheidung des Arztes beeinflusst werden soll.

3. Transparenz der Finanzflüsse
Verträge mit der Industrie sollten grundsätzlich der zuständigen KV oder Ärztekammer vorgelegt werden. Wichtig ist, dass Ärzte das Vorgehen genau dokumentieren. So sollte die Höhe der gezahlten Gelder nebst der Kalkulation bei der Vertragserstellung erfasst werden. Dies gilt auch für Kooperationen mit Kollegen, zum Beispiel im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft. In Zweifelsfragen hilft der Gang zum Anwalt, um unnötige Risiken zu vermeiden. Zu empfehlen ist ein Fachanwalt für Medizinrecht.

4. Dokumentation aller Formen der Zusammenarbeit
Kooperationsvereinbarungen sollten - einschließlich der Berechnung der Finanzflüsse - schriftlich und vollständig dokumentiert werden. So sind ordnungsgemäß vollzogene und rechtlich nicht zu beanstandende Geschäftsverbindungen jederzeit nachvollziehbar.

Hilfreich sind auch Fallbeispiele, die in der Broschüre aus verschiedenen Bereichen der Zusammenarbeit genannt werden. Hier wird gezeigt, was zulässig und was unzulässig ist. Die Beispiele betreffen die Zusammenarbeit von Vertragsärzten, die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, die Zusammenarbeit mit der Industrie und Kooperationen zwischen Krankenhaus und Vertragsarzt.

Neben den Vorschriften des Strafrechts werden die wichtigsten Vorschriften des Berufsrechts und des Sozialrechts sowie weitere gesetzliche Regelungen erläutert.

Die Broschüre kann heruntergeladen werden unter:
www.kbv.de/media/sp/Broschuere_Kooperation.pdf (DI)


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201701/h17014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Januar 2017, Seite 16 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2017

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