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AUSLAND/1420: Gazastreifen - Angriffsziel Krankenhaus (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 2. Januar 2009

Angriffsziel Krankenhaus
Über 500 israelische Luftschläge im Gazastreifen. Eine erste Bilanz

Von Karin Leukefeld


Über 500 Luftangriffe haben die israelischen Streitkräfte nach eigenen Angaben seit Beginn des Überfalls auf Gaza geflogen. In 95 Prozent aller Fälle seien die Ziele getroffen worden, erklärte am Donnerstag ein Militärvertreter der Nachrichtenagentur AP. Ein Spionageflugzeug identifiziere zunächst verdächtige Ziele, die vom Kommandozentrum bestätigt und zum Einsatz freigegeben würden. Die Zieldaten würden dann in ein Waffensystem eines F-16-Kampfflugzeuges eingespeichert, der Pilot starte und die lasergesteuerte Bombe werde abgeworfen. Um den Tod von Zivilpersonen zu vermeiden, würden die Bewohner eines Zielgebäudes von einem automatischen Anrufsystem aufgefordert, das Haus zu verlassen.

Empfänger eines solchen Warnanrufes war beispielsweise der Leiter des Krankenhauses Al-Shifa in Gaza-Stadt. Das israelische Militär habe ihn aufgefordert, das Krankenhaus zu evakuieren, berichtete der Arzt dem italienischen Journalisten Vitorio Arrigoni, man werde es bombardieren. Das Krankenhaus hat seit Beginn der Angriffe 400 Tote und mehr als 1500 Verletzte aufgenommen und ist völlig überfüllt. Der Arzt weigerte sich, der Aufforderung Folge zu leisten.

»Moscheen, Schulen, Krankenhäuser, Universitäten, Märkte, Einkaufszentren und viele, viele Wohnhäuser« seien von den Israelis angegriffen und zerstört worden, so Vitorio Arrigoni, der sich als Freiwilliger der Solidaritätsbewegung »Free Gaza« im Gazastreifen aufhält. Zu den Zielen israelischer Luftangriffe gehörten bisher Wechselstuben, ein Lager für Inkubatoren für Neugeborene, eine Fabrik für Verbandsstoffe, Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Hafenanlagen, zwei Trinkwasserwerke und eine Kläranlage nördlich von Gaza-Stadt.

Die israelische Armeeführung gibt an, ausschließlich »Hamas-Einrichtungen« anzugreifen. Regierungsgebäude, Ausbildungszentren, Waffenfabriken und Tunnelanlagen würden bombardiert. Doch die Hamas-Mitglieder versuchten, sich »hinter der Zivilbevölkerung zu verstecken«, erklärte Yuval Disðkin, Chef des nationalen israelischen Geheimdienstes, anonymen Quellen zufolge in einer Regierungssitzung. In Krankenhäusern würden sie sich als Ärzte oder Krankenschwestern verkleiden, hochrangige Hamas-Leute würden durch Tunnel nach Ägypten geschmuggelt, Moscheen seien zu Kommandozentralen umfunktioniert worden.

Mit dieser »Argumentation« wird jedes in Gaza stehende Gebäude zu einem »legitimen Angriffsziel« der israelischen Armee. Die Islamische Universität von Gaza sowie fünf Moscheen wurden bisher dem Erdboden gleichgemacht, weil dort angeblich Waffen produziert oder gelagert worden seien. 140 Tunnel, durch die wegen der israelischen Totalblockade des Gazastreifens monatelang Lebensmittel, Medikamente und sogar Vieh transportiert wurde, wurden am Mittwoch und Donnerstag zerstört, weil Waffen geschmuggelt worden seien. Nach ägyptischen Angaben wurde ein Tunnel zerstört, durch den dringend benötigter Brennstoff nach Gaza gepumpt wurde.

Nach israelischer Lesart dürfte es sich bei dem Sanitäter, der am Mittwoch neben seinem deutlich als Ambulanz gekennzeichneten Wagen getötet wurde, um einen getarnten Hamas-Funktionär gehandelt haben. Hamas-Leute hatten sich wohl auch in dem Eselskarren im Flüchtlingslager Jabalia versteckt, der durch einen Luftangriff zerfetzt wurde. Dabei starben zwei Schwestern im Alter von vier und zehn Jahren, Haya und Laama Hamdan. Nach Angaben des palästinensischen Menschenrechtszentrums Mizan wurden bisher 20 Kinder getötet und 40 schwer verletzt.


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Quelle:
junge Welt vom 2. Januar 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2009