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ARTIKEL/1093: Schleswig-Holstein - Ärzte im Notdienst versorgen jährlich rund 300.000 Patienten (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2009

Notfallbereitschaftsdienst
Ärzte im Notdienst versorgen jährlich rund 300.000 Patienten

Von Jörg Feldner


Die Zwischenbilanz der KV Schleswig-Holstein drei Jahre nach der Reform des Notdienstes fällt positiv aus.

Seit fast drei Jahren läuft die neue Struktur des ärztlichen Notfallbereitschaftsdienstes: landesweit einheitlich, mit KV-eigenen Anlaufpraxen an Kliniken und Besuchsdiensten, mit landesweit einheitlicher Notdienstnummer. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Die alte, an Kreis- und Stadtgrenzen orientierte Notdienstorganisation mit Notdienstringen ganz unterschiedlicher Größe wurde 2006 und 2007 ziemlich zügig abgelöst. So zügig, dass manche sich überfahren fühlten; der Notdienstbeauftragte der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Dr. Hans-Joachim Commentz aus Schleswig, hat die Kritik noch im Ohr. Warum war die neue Struktur denn notwendig? Commentz berichtet aus 16 Jahren Erfahrung als Kreisstellenvorsitzender: "Das lief ja lange Zeit recht gut. In meiner Region hatten wir 14 Ringe mit fünf bis zehn teilnehmenden Ärzten; die Belastung durch den Bereitschaftsdienst war allerdings ganz unterschiedlich: Einer war vielleicht die ganze Woche dran, andere nur am Wochenende. Irgendwann jedoch wurden die kleinen Ringe zu klein - Kollegen schieden aus, weil sie in den Ruhestand gingen. Für Urlauber, die sich in der Region nicht auskannten, wurde es manchmal schwierig, einen Arzt zu finden; Beschwerden waren die Folge."

In dieser Situation entstand die Idee, die Organisation des Notdienstes streng entlang der politischen Kreisgrenzen aufzubrechen und durch Gebietszuschnitte zu ersetzen, die auch Einwohnerdichte und Fahrtstrecken mit einrechneten. Commentz baute eine Modellregion auf, die im Juni 2006 mit einer Anlaufpraxis am Martin-Luther-Krankenhaus in Schleswig den Betrieb aufnahm. Selbstverständlich kam ein Besuchsdienst hinzu. Die Einsätze bei diesem Modellversuch koordinierte die Leitstelle der Feuerwehr. Commentz: "Das waren Profis, mit denen ließ sich gut zusammenarbeiten, nach vier Wochen lief alles rund." Eine Fragebogenaktion bei Patienten sechs Wochen nach dem Start bescheinigte durchweg Zufriedenheit.

Allerdings kam dann auch bald die Bürokratie ins Spiel. Feuerwehrleute sind Beamte, und das Beamtenrecht setzt der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren enge Grenzen. Die Leitstellenaufgabe musste auf längere Sicht unabhängig von der Feuerwehr organisiert werden. Ärztekammer und KV griffen diese Herausforderung mit einer gemeinsamen Arbeitsgruppe Notdienst auf und entwickelten eine gemeinsame Satzung, die den Notdienst seit dem 01.01.2007 landesweit einheitlich organisiert. Die Einzelheiten sind weitgehend bekannt, hier noch einmal in Kürze:

Organisierter Notdienst (Anlaufpraxen und Besuchsdienst): Montag, Dienstag und Donnerstag von 18:00 Uhr bis 8:00 Uhr am Folgetag, Mittwoch und Freitag von 13:00 Uhr bis 8:00 Uhr am Folgetag, Sonnabend, Sonntag, Feiertag von 8:00 Uhr bis 8:00 Uhr am Folgetag. Die Anlaufpraxen sind in der Regel an den Wochentagen bis 23:00 Uhr (kleinere nur bis 21:00 Uhr) mit Vertragsärzten besetzt, an Wochenenden und Feiertagen von 10:00 bis 12:00 Uhr und dann wieder von 17:00 bis 23:00 Uhr. Der Dienst in der "tiefen Nacht" wird in den Anlaufpraxen üblicherweise ab 23:00 Uhr von den Bereitschaftsärzten des jeweiligen Krankenhauses fortgeführt.

Die Zahl der Anlaufpraxen hat sich bis heute auf 30 vergrößert (siehe Karte), in einigen der 27 Notdienstregionen gibt es zwei. Hinzu kommt eine nur von Mai bis Oktober besetzte "Urlauber"-Anlaufpraxis in Büsum. Noch eine Besonderheit: Eine der KV-eigenen Anlaufpraxen befindet sich außerhalb Schleswig-Holsteins, auf Hamburger Stadtgebiet in der Heidberg-Klinik Norderstedt.

So weit zum allgemeinärztlichen Notdienst, zu dem KV und Kammer gesetzlich verpflichtet sind. Als notwendige, aber freiwillige Leistung hinzugekommen sind drei fachärztliche Notdienste mit Kinderärzten, Augenärzten und HNO-Ärzten. Für die kinderärztliche Versorgung außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten stehen elf Anlaufpraxen parat; für die augenärztliche und HNO-Versorgung gibt es Spezialsprechstunden in fünf Regionen, die allerdings großräumig zugeschnitten wurden, um das ganze Landesgebiet abzudecken. Listen der regionalen Notdienstbeauftragten (dies sind nicht mehr die Kreisstellenvorsitzenden) für Allgemeinmedizin, Pädiatrie und Augenheilkunde/HNO findet man zum Download auf der Internetseite der KV (www.kvsh.de unter der Rubrik "Ärztlicher Bereitschaftsdienst"). Die Notdienst-Sprechstunden für HNO und Augenkrankheiten sind zurzeit noch auf die Wochenenden beschränkt, eine Ausweitung auf mittwochs und freitags wird vorbereitet. Dazu Commentz: "Die Notwendigkeit dieser fachärztlichen Dienste liegt für jeden auf der Hand, der selbst im Notdienst unterwegs war: Augenuntersuchungen sind diffizil, HNO-Erkrankungen können schnell mal lebensgefährlich sein."

So fasst Commentz den Status quo zusammen: "Schleswig-Holstein hat jetzt einen klar strukturierten, mit geschultem Fachpersonal besetzten, flächendeckend tätigen und leicht erreichbaren ärztlichen Notfallbereitschaftsdienst." Das war vor 2007 bei genauer Betrachtung nicht gegeben: "Im Kreis Herzogtum Lauenburg gab es gar keinen Notdienst für HNO-Fälle. Und im Hamburger Randgebiet gab es weiße Flecken ganz ohne Notdienst, da musste gleich der über 112 gerufene Krankenwagen hinfahren."

Wie hat sich die Inanspruchnahme des Notdienstes entwickelt? Was ist nun von den beteiligten - und auch den nichtbeteiligten - Ärzten zu hören, was von den Patienten? Die Gesamtzahlen sind beeindruckend: Rund 300.000 Patientenkontakte im Jahr; Montag, Dienstag und Donnerstag jeweils rund 200, mittwochs und freitags 400 bis 500, sonnabends und sonntags durchschnittlich 1.200 pro Tag. "Pro Woche erreichen mich ein bis zwei Beschwerden, die der Patienten-Ombudsverein an mich weiterleitet", berichtet Commentz. Auch wenn sicher nicht jeder Patient, der etwas zu bemängeln hat, beim Ombudsverein anruft oder einen Brief schreibt, dürfe man annehmen: "Die Zahl der Beschwerden bewegt sich im Promillebereich." Commentz fügt allerdings hinzu: "Doch ich höre auch schon mal von einem meiner Patienten, dass er weiter fahren musste als ihm lieb war, oder dass er zwei Stunden auf den besuchenden Kollegen warten musste, das kommt schon vor."

Insgesamt scheint die Zahl der Inanspruchnahmen leicht zurückzugehen; deutlich zurückgegangen sind die Zahlen im Besuchsdienst. Beides hat sicherlich auch mit dem gut geschulten Personal der zentralen Leitstelle in Bad Segeberg zu tun: Wer die landesweite Rufnummer 01805/119292 wählt, landet dort in der Oldesloer Straße in einer Außenstelle der KV bei einer der rund hundert (Teilzeit-)Kräfte, die den Patienten - häufig kommen auch Anrufe von Pflegepersonal aus Heimen nach einem aufklärenden Gespräch entweder zur nächstgelegenen Anlaufpraxis schicken, ihm das nächste Krankenhaus mit der für diesen Fall erforderlichen Fachabteilung nennen oder ihm den diensthabenden Besuchsdienstarzt nach Hause oder ins Pflegeheim schicken. Nebenbei hat die Leitstelle Fragen nach der nächsten Nachtdienstapotheke zu beantworten, nach dem nächsten Tierarzt, Zahnarzt usw.usw. Zwischen Mitternacht und Morgengrauen laufen aus dem Land stündlich nur 15 Anrufe ein; jeder zweite Anrufer muss besucht werden, bei der anderen Hälfte reicht eine Beratung.

Bevor die KV ihre landesweit zuständige Zentrale in Bad Segeberg eingerichtet hatte, gab es andere Wege, die sich jedoch als Umwege herausstellten. Vorübergehend wurden, nachdem die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr auslief, elf Arztrufzentralen eingerichtet; nach einem Jahr mit gemischten Erfahrungen hinsichtlich Vergleichbarkeit, Qualität und Dokumentation wurde dieses Übergangsstadium beendet.

Die Bezahlung der diensthabenden Ärzte im Notdienst ist auskömmlich: bis null Uhr 50 Euro pro Stunde, danach bis 8:00 Uhr 25 Euro pro Stunde plus 50 Euro je Besuch. Das ist deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt, wo sich die Stundensätze um die 35 Euro bewegen. Für die Benutzung des eigenen Autos - für den Notdienst von der KV ausgestattet mit Navi, Handy und Formularen - wird zusätzlich Wegegeld gezahlt. Die Teilnahme am allgemeinärztlichen Notdienst ist freiwillig, die Nachfrage ist größer als die Einsatzmöglichkeiten; die Teilnahme an den fachärztlichen Notdiensten ist Pflicht.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200911/h091104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Karte mit Anlaufpraxen (Quelle: KVSH)
- Hinweise auf die KV-Notfallpraxen finden sich an Kliniken im ganzen Land, hier in Husum.
- Der Notdienstbeauftragte der KVSH, Dr. Hans-Joachim Commentz aus Schleswig

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2009
62. Jahrgang, Seite 21 - 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2009

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