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ARTIKEL/1167: Ortstermin mit dem Gesundheitsminister - Einmal ins reale Leben und zurück (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2010

Ortstermin mit dem Gesundheitsminister
Einmal ins reale Leben und zurück: Rösler besucht Landarztpraxis

Von Dirk Schnack


Er war noch niemals in einer Landarztpraxis: Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler holte das im vorpommerschen Dorf Loitz nach.

Wie lernt ein Politiker, welche Probleme in der ärztlichen Versorgung bestehen? Am besten durch die Begleitung der Arbeit vor Ort, mag sich Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler gedacht haben. Er ist zwar Arzt, hat aber zwischen seiner Ausbildung und seiner politischen Karriere nie die Gelegenheit gehabt, den haus- und speziell den landärztlichen Alltag kennen zu lernen.

Das holte er im vergangenen Monat bei Dr. Astrid Elgeti im vorpommerschen Dorf Loitz bei Demmin nach. Hätte nicht schon der Begleit- und Medientross die Praxis bevölkert, wäre der Ministerbesuch in dem kleinen Ort für die Patienten wohl tatsächlich überraschend gekommen. "Wir wussten von nichts", sagen die Wartenden. Berliner Limousinen, Begleitschützer und Mitarbeiter seines Stabes sorgen mit ihrer Anwesenheit aber dafür, dass eine gespannte Erwartung herrscht. Als Rösler das Zimmer betritt, gelingt es ihm mit wenigen Worten, die angespannte Atmosphäre zu lockern. Er kommt an diesem Tag nicht aus Berlin, sondern direkt von zu Hause, das seit kurzem auch auf dem Lande liegt. Ohne Krawatte ist er gekommen, das Jackett legt er schnell beiseite und krempelt die Ärmel seines weißen Hemdes auf. Der smarte Politprofi will genau das heute nicht sein und er spürt schnell, dass er so besser in das hemdsärmelige Loitz passt.

Den Patienten scheint es zu gefallen - niemand hat in den nächsten 90 Minuten etwas dagegen, dass Rösler bei den Behandlungen von Dr. Astrid Elgeti mit im Sprechzimmer sitzt. Dort erfährt Rösler von den Beschwerden der Patienten und wie die Hausärztin sie versorgt. Elegti kennt fast jeden Patienten persönlich, obwohl rund 1.500 im Quartal in ihre Einzelpraxis kommen. Um die versorgen zu können, beschäftigt sie drei Angestellte, betreibt zwei Zweigsprechstunden in der Umgebung und öffnet ihre Praxis auch am Sonnabend. Eine Patientin bezeichnet sie als "Super-Ärztin" und beteuert: "Die ist immer für einen da, wenn man sie braucht." Seit über 25 Jahren kommt die Patientin zu Elgeti, obwohl es noch Alternativen im Ort gibt. Zwei weitere Hausärzte praktizieren in Loitz, und im elf Kilometer entfernten Demmin ist die Versorgung durch niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie durch eine Klinik noch gewährleistet. Doch die Menschen hier wissen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist und die Ärzte Probleme haben, Nachfolger zu finden. Elgeti und ein weiterer Arzt im Ort sind über 50 Jahre alt und den Patienten ist klar, dass ohne sie die ambulante Versorgung kaum aufrecht zu erhalten ist. Im Gespräch mit Rösler macht Elgeti auch deutlich, was ein Nachfolger neben den fachlichen Anforderungen als Voraussetzungen für die Landarzttätigkeit mitbringen muss: die Bereitschaft, in den Augen der Patienten immer die Ärztin zu sein, auch außerhalb der Sprechstunde. Das geht so weit, dass sie auch auf dem Friedhof angesprochen wird, wie ein Hautausschlag behandelt werden kann. Rösler weiß, dass viele der jungen Ärzte davon abgeschreckt werden, verschweigt aber die Probleme nicht. Bei der Beobachtung der Hausärztin wird Rösler klar, mit wie viel Papierkram sich Praxisinhaber herumschlagen müssen. Er sieht, dass die Umsetzung von DMP Bürokratie nach sich zieht und er erfährt, dass über Elgetis Existenz auch noch ein inzwischen abgewehrter - Regress schwebte. Beeindruckend und lehrreich findet Rösler die Erfahrung, neben einer Kollegin wie Elgeti zu sitzen. Gegenüber den Medien bricht Rösler eine Lanze für die Ärzte in den neuen Bundesländern. Die haben nicht nur mehr, sondern auch eine höhere Zahl an multimorbiden Patienten als ihre Kollegen im Westen zu versorgen, betont er. Und es ist der Minister, nicht die Hausärztin, der das Thema Honorar anspricht. Nur rund ein Prozent an Privatpatienten gibt es in der Praxis, berichtet Rösler. Von Elgeti selbst kommt dennoch keine Klage und sie stellt klar: "Geld ist nicht das Problem. Ich kann von meinem Verdienst gut leben."

Sorgen bereitet ihr, dass so wenige junge Kollegen bereit sind, aufs Land zu gehen. Rösler sieht sich damit darin bestärkt, dass sich die Politik stärker um die Versorgung kümmern sollte. "Gesundheitspolitik ist eben nicht nur Diskussion um Finanzen, wichtiger ist die Versorgung." Er weiß, dass auch er selbst daran gemessen wird, ob er für dieses Ziel die richtigen Rahmenbedingungen setzen kann. "Die Menschen bewerten, ob und wo sie einen Arzt finden. Nur mit dem Arzt vor Ort ist ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis möglich." Damit meint er ein Verhältnis, wie es Elgeti zu ihren Patienten pflegt. Damit auch künftig Ärzte wie sie praktizieren können, spricht sich Rösler für eine Überarbeitung der Bedarfsrichtlinien aus, kann sich Zuschläge vorstellen und ist für die Abschaffung von Regressen in unterversorgten Regionen. Vor allem aber sollte aus seiner Sicht mehr jungen Ärzten der Einblick in den landärztlichen Alltag ermöglicht werden, damit sie entscheiden können, ob diese Tätigkeit für sie infrage kommt.

"Wer lieber forscht und nur wissenschaftliche Bücher liest, muss nicht unbedingt so eine Praxis führen", sagt Rösler. Damit meint er vielleicht auch sich selbst. Auf die Frage eines Medienvertreters, ob er sich selbst denn die Arbeit in so einer Landarztpraxis vorstellen könne, weicht er geschickt aus und verweist darauf, dass er mit seiner Familie ja gerade auch erst aufs Land gezogen sei. Unausgesprochen macht er klar, dass Augenarzt Rösler seine Zukunft in der Politik sieht.

Fest steht, dass seine Meinung über die landärztlichen Kollegen an diesem Tag nicht gelitten hat - und sein Image bei den Menschen im Land auch nicht. "Nett und angenehm", so beschreiben die Patienten den Politiker, der sich Mühe gab, seine Distanz zum Berliner Politikbetrieb mit Sätzen wie diesen zu betonen: "In der Hauptstadt kann man sich in modernen Großpraxen hinter schicken Glasfassaden behandeln lassen, aber das ist nicht die Wirklichkeit." Rösler hat beschlossen, an diesem Tag noch länger in der Wirklichkeit zu bleiben. Er begleitet Elgeti zu den Hausbesuchen und informiert sich anschließend in Greifswald über die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Arzthelferinnen. Ob er dann, wie ein Patient vermutete, Loitz und die besuchte Arztpraxis wieder vergessen haben wird, ist fraglich - zu groß war der Unterschied zu seinem Alltag.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201009/h10094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildung der Originalpublikation:

Landärztin Dr. Astrid Elgeti hatte Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler zu Besuch in ihrer Landarztpraxis. Anschließend begleitete er die Ärztin auf ihren Hausbesuchen - und war beeindruckt.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt September 2010
63. Jahrgang, Seite 30 - 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2010

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